SAP hat zuletzt durch mehrere Abgänge im Topmanagement von sich reden gemacht. Doch zumindest der nächste Wechsel ist von langer Hand geplant. Zum 1. Juli steigt Luka Mucic (42) zum Finanzvorstand auf. Er folgt auf den seit 2001 amtierenden Werner Brandt (60). BÖRSE ONLINE sprach mit beiden Managern über den Generationswechsel, Analystenzweifel und die größten Herausforderungen der kommenden Jahre.

Herr Brandt, Sie sind seit 2001 Finanzvorstand bei SAP - so lange wie kein anderer Finanzchef im Dax. Ende Juni gehen Sie in den Ruhestand. Liegen die Taschentücher schon bereit?

Brandt: Nein (lacht). Dass ich zum 30. Juni ausscheide, ist ja nun hinlänglich bekannt und intensiv vorbereitet. Mit meinem Nachfolger Luka Mucic arbeite ich bereits seit gut einem Jahr an der Übergabe. Das ist alles auf sehr gutem Weg. Von daher gehe ich mit sehr gutem Gewissen.

Und ganz ohne Wehmut?

Brandt: Was ich bedaure ist, dass ich viele Menschen, mit denen ich hier zu tun habe, künftig nicht mehr so häufig sehe. Aber ich habe schon bei der letzten Verlängerung meines Vorstandsvertrags für mich entschieden, mit 60 Jahren auszuscheiden. Wenn man eine bestimmte Altersgrenze erreicht hat, sollte man der jungen Generation die Möglichkeit geben, sich zu beweisen. Diese Zeit ist jetzt gekommen.


Wird es zum Abschied ein rauschendes Fest geben, oder sagt der Finanzvorstand lieber ganz leise Servus?

Brandt: Eher leise. Ich habe mich schon im März von meinem globalen Führungsteam verabschiedet. Von meinen engsten Mitarbeitern verabschiede ich mich demnächst.


Und Ihre Vorstandskollegen?

Brandt: Mit meinen Vorstandskollegen werde ich Essen gehen, voraussichtlich nach der Hauptversammlung.


Sie waren insgesamt 13 Jahre für die SAP-Finanzen verantwortlich. Wie oft war’s in all den Jahren denn richtig spannend?

Brandt: Der Spannungsbogen hat eigentlich nie nachgelassen. Als ich 2001 bei SAP angefangen habe, ist gerade die Dot.com-Blase geplatzt. Ab 2002 hatten wir eine Phase extremen Wachstums. Danach kamen die Themen rund um unsere Cloud-Lösung Business-ByDesign, 2008 die Finanzkrise. Und ab 2010 folgte die Neuausrichtung mit der klaren Fokussierung auf In-Memory-Technologie - also der Datenverarbeitung in Echtzeit in sehr leistungsfähigen Arbeitsspeichern, wo wir Vorreiter der gesamten IT-Industrie sind -, dem Weg in die Cloud und dem mobilen Zugriff auf alle Geschäftsanwendungen. Ruhig war’s eigentlich nie.


Was davon hat Ihnen am meisten Kopfzerbrechen bereitet?

Brandt: Das war sicherlich die Finanzkrise im September 2008. Damals standen die Wirtschaft, die Software-Branche und natürlich auch die SAP vor einer Klippe. Die Aufträge blieben praktisch über Nacht weg. Niemand wusste, wie es weiter gehen würde. Ich erinnere mich noch gut, dass wir in den ersten Oktober-Tagen 2008 mit den damaligen Co-Vorstandschefs Henning Kagermann und Léo Apotheker zusammensaßen und überlegten, wie wir reagieren sollen. Wir waren uns einig, dass wir sehr schnell unsere Kosten zurückfahren müssten. Dafür haben wir viel Schelte bekommen. Aber kurz danach haben praktisch alle Unternehmen ähnliche Schritte eingeleitet. Und im Nachhinein können wir sagen, dass wir damals absolut richtig lagen.


Wenn Sie den Konzern vergleichen: Wie sehr hat sich der Charakter der SAP zwischen 2001 und heute verändert?

Brandt: SAP ist gerade in den letzten Jahren sehr viel agiler und deutlich fokussierter geworden.


Auch schneller?

Brandt: Viel schneller. Die Dynamik im Markt hat zugenommen. Diese Dynamik nehmen wir erheblich stärker auf als vor einem Jahrzehnt.


Viele sagen, SAP sei heute auch amerikanischer als früher?

Brandt: Internationaler auf jeden Fall, schon wegen unseres raschen Wachstums in Asien oder Lateinamerika. Ob das Unternehmen amerikanischer geworden ist, wie es häufig kolportiert wird, das bezweifle ich. Sehen Sie: Die SAP kann keinen Erfolg haben ohne eine globale Aufstellung. Es ist unbestritten, dass in unserer Branche die Musik im Silicon Valley spielt. Daran müssen wir uns ausrichten. Wenn wir das nicht leisten würden, wären wir heute womöglich bereits Geschichte. Und was die angebliche Amerikanisierung anbelangt: Unser Vorstand ist weder amerikanisch noch deutsch. Wir sind global aufgestellt. Das ist ein Erfolgsgarant für die SAP. Dabei müssen wir die richtige Balance finden zwischen den USA und Deutschland.


Was nicht ganz einfach ist, schon wegen der unterschiedlichen Mentalität?

Brandt: Das kann man auch positiv sehen.


Nämlich?

Brandt: Denken Sie etwa an die Cloud. Der Impuls dazu kam aus dem Silicon Valley. Wenn wir das im Rahmen unseres Strategieschwenks 2010 nicht aufgenommen hätten, stünde die SAP heute nicht so gut da.

Mucic: Entscheidend ist ja, dass wir die wichtigen Impulse aufnehmen und nicht nur versprechen, sondern am Ende auch liefern. Diese Verbindung aus Innovationsoffenheit und Ingenieurskunst ist eine absolute Stärke der SAP.


Herr Mucic, zur Jahresmitte folgen Sie Herrn Brandt: Haben Sie Bammel vor der neuen Aufgabe?

Mucic: Ich habe Respekt vor der Aufgabe, aber keinen Bammel. Seit 1998 bin ich bei SAP und damit sogar noch länger im Unternehmen als Herr Brandt. Das Unternehmen, die Mitarbeiter und das Geschäftsmodell der SAP kenne ich sehr gut. Und ich hatte Gelegenheit, mich in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Positionen auf diese Aufgabe vorzubereiten.


Wird sich an der SAP-Strategie unter dem neuen Finanzvorstand etwas ändern?

Mucic: Nein. Wir haben eine klare Strategie in Richtung Cloud und In-Memory-Technologie definiert. Diesen Weg werden wir fortsetzen. Bei uns hat der Kunde die Wahl zwischen dem Kauf von Software wie bisher und einer Cloud-Lösung - das alles auf der Basis von HANA. Auf diesen Beinen stehen wir sehr gut und hier werden wir weitergehen.


Im Vorstand gab es zuletzt zahlreiche überraschende Wechsel. Das sorgt bei Investoren und Mitarbeitern für Verunsicherung. Wäre es nicht an der Zeit, mal ein bisschen Ruhe in den Laden zu bringen?

Mucic: Zunächst haben wir mit Gerd Oswald ein Vorstandsmitglied der seit 1996 im Vorstand ist und dessen Vertrag bis 2016 läuft. Und was generell das aktuelle Führungsteam angeht: Im Vorstand verfügen wir kumuliert über mehr als 120 Jahre SAP-Erfahrung. Alle Vorstandsmitglieder haben die strategische Neuausrichtung der vergangenen Jahre mitgetrieben. Gemeinsam stehen wir für unseren Weg in die Cloud auf Basis von SAP HANA.

Brandt: Ich verstehe, dass die Veränderungen Fragen aufwerfen, aber ich sage ganz offen, weshalb mich das nicht nervös macht: SAP ist in einer Branche unterwegs, die einem permanenten Wandel unterliegt. Damit umgehen zu können, ist ein Teil der DNA des Unternehmens.


Diese Ruhe teilen nicht alle Investoren. Zuletzt hat die SAP-Aktie unter Zweifeln gelitten, ob der Konzern beim eingeschlagenen Weg Richtung Cloud nachhaltig erfolgreich sein kann. Dazu fragen Analysten, ob SAP in der Cloud die gleichen Margen erreichen kann wie im traditionellen Verkauf von Software. Können Sie die Investoren beruhigen?

Mucic: Ich habe keine Zweifel, dass man langfristig mit dem Cloud-Geschäft Margen erzielen kann, wie mit dem klassischen Lizenz-Modell und, wenn wir es richtig machen, sogar noch bessere. Es stimmt: Gegenwärtig gibt es an den Kapitalmärkten eine abwartende Haltung, ob die SAP-Erfolge in der Cloud auch nachhaltig sind. Wir haben im Cloud-Geschäft bis 2017ein Umsatzziel von drei bis 3,5 Milliarden Euro. Das bedeutet eine Wachstumsrate von ca. 35 Prozent pro Jahr. Gegenwärtig liefern wir das. Aber natürlich müssen wir diesen Nachweis über einen längeren Zeitraum erbringen. Und was die Profitabilität in der Cloud anbelangt, gibt es viele Hebel, allen voran natürlich Skaleneffekte. Nach den Zukäufen der Vergangenheit nutzen wir diese Skaleneffekte; denken Sie etwa an den globalen Ausbau unserer Rechenzentren. Außerdem haben wir im Vergleich zu den reinen Cloud-Anbietern klare Synergien sowohl im Vertrieb als auch in der Entwicklung. Wir sind im Geschäft global unterwegs und haben den Vertrieb von klassischer Software und Cloud-Lösungen zusammengelegt. Für die Entwicklungsseite gilt dies ebenso. Wir müssen also nicht noch mal alles neu aufbauen oder zusätzliche Kapazitäten schaffen. Das wichtigste: Unsere Kunden werden eine einheitliche Bedienlogik nutzen können.


Aber mit Cloud haben Sie steigende Hardwarekosten für die Infrastruktur und es wird für die Kunden erheblich leichter, den Anbieter zu wechseln. Das klingt nach ordentlich Gegenwind?

Mucic: Unser großer Vorteil ist, dass wir nicht nur einzelne Module anbieten, sondern das volle Spektrum von Unternehmensanwendungen abdecken und dies mit fließenden Übergängen zwischen Cloud und on premise. Natürlich ist die theoretische Kündigungsmöglichkeit von Verträgen in der Cloud einfacher als im klassischen Lizenzmodell. Wenn eine Lizenz bilanziell eingebucht wurde, ist kein Finanzvorstand glücklich darüber, solch ein Asset im Falle eines Anbieterwechsels abzuschreiben. Im Mietmodell gibt es dieses Phänomen nicht. Hier muss sich die SAP wie jeder andere Anbieter beweisen. Wir müssen eine hohe Kundenzufriedenheit schaffen und darüber die Quote der Vertragsverlängerung unserer Cloud-Verträge hochhalten. Diese erfolgt dann zu wesentlich geringeren Vertriebskosten, womit sich die Profitabilität über die Zeit aufbaut. Das macht das Geschäft sehr berechenbar und nimmt uns zugleich den Druck, am Quartalsende abschließen zu müssen.


Das heißt für ihre Margen konkret?

Mucic: Selbst Wettbewerber wie Salesforce.com halten langfristig 35 Prozent für möglich, obwohl sich diese heute noch nicht in der Gewinnzone befinden.


Aktuell schafft SAP im Cloud-Geschäft laut UBS 15 Prozent operative Marge, der Verkauf von on premise Lizenzen bringt dagegen 50 Prozent.

Mucic: Da lassen wir mal die Analysten rechnen.


SAP hat im ersten Quartal dank der starken Mittelzuflüsse eine Nettoliquidität von 750 Millionen Euro gehabt, nach 1,47 Milliarden Euro Nettoverschuldung zum Jahresende. Was plant der Finanzchef mit dem ganzen Geld: weitere Akquisitionen?

Mucic: Auch da gilt: An der Strategie ändert sich erst mal nichts. Priorität hat für uns die eigene Entwicklung. Und wo es sinnvoll ist, werden wir unser Portfolio technologisch ergänzen.


Sprechen wir hier tendenziell eher von kleineren Zukäufen oder sind auch wieder größere Brocken drin?

Mucic: Der Markt ist durch eine relativ starke Konsolidierung gegangen. So viele große Unternehmen, die auch noch unser Portfolio ohne Überlappungen ergänzen würden, gibt es nicht mehr. Von daher ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass es künftig eher um gezielte Portfolio-Ergänzungen geht, denken Sie etwa an unsere jüngste Akquisition Fieldglass. Die zweite Priorität ist, kurzfristige Investitionen stemmen zu können. Erst wenn das erreicht wäre, würden wir uns mit anderen Dingen, wie Aktienrückkäufe beschäftigen.


Und die Aktionäre?

Mucic: Wir setzen unverändert auf Dividendenkontinuität mit steigenden Ausschüttungen. Wir wollen auch zukünftig mehr als 30 Prozent des Nettoergebnisses an die Aktionäre ausschütten.


Sie arbeiten nun schon seit gut einem Jahr sehr eng mit Herrn Brandt zusammen. Wie unterscheidet sich Ihr Arbeitsstil?

Mucic: Wir sind uns zu 95 Prozent ähnlich. Der Hauptunterschied ist: Werner Brandt liebt Papier und hat immer seine Ordner dabei (lacht).

Brandt: Meine Taschen sind schwer (lacht)

Mucic: Und ich liebe mein iPad. Da habe ich alles drauf.


Die gute Botschaft ist, dass die Schlepperei bald ein Ende hat. Ab dem 1. Juli beginnt ein neuer Abschnitt für Sie, Herr Brandt: Wird’s eher ein Ruhe- oder ein Unruhestand?

Brandt: Ruhestand wohl eher nicht. Ich werde viele Aufgaben fortführen, die ich heute schon habe und vielleicht kommt die eine oder andere zusätzlich Aufgabe auf mich zu.


Sie sitzen ja schon im Aufsichtsrat der Lufthansa und RWE. Bei Qiagen sind Sie inzwischen sogar Chefkontrolleur. Streben Sie nach der üblichen Wartezeit einen Sitz im SAP-Aufsichtsrat an?

Brandt: Nein. Ich scheide aus und werde dann wohl zusätzliche Aufsichtsratsmandate übernehmen, aber der Aufsichtsrat der SAP steht nicht zur Debatte.


Aber ein bisschen mehr Zeit für Hobbys bleibt künftig schon?

Brandt: Ich bin wieder bereit, mehr zu lesen und Musik zu hören, vor allem klassische Musik, aber natürlich auch die Rolling Stones. Die Stones rocken ja auch heute noch die Stadien - und haben die 60 längst überschritten.

Einschätzung der Redaktion:

SAP setzt konsequent auf die Cloud. Der Weg ist richtig. Mit der Echtzeitanalysesoftware HANA hat der Konzern einen Blockbuster im Programm. Kurzfristig lastet der Umbau zwar auf den Margen. Zudem hat Erzrivale Oracle zuletzt enttäuscht. Doch die Aktie hat Nachholpotenzial gegenüber dem Dax. Charttechnisch ist das Papier nach unten gut abgesichert. Langfristig bleibt die Aktie aussichtsreich.