An der Börse standen die Aktien nach einem lange anhaltendem Höhenflug von Rekord zu Rekord zuletzt jedoch unter Druck. Denn: Die aktuellen Impffortschritte streuen Zweifel unter Investoren, dass die hohe Nachfrage nachhaltig ist. Zur Lage des Unternehmens, was die Aktie macht und was Analysten sagen.
DAS IST LOS BEI SARTORIUS:
Sartorius erlebt derzeit einen wahren Bestellboom von Herstellern von Impfstoffen und Corona-Tests. Wegen der florierenden Geschäfte hob Konzernchef Joachim Kreuzburg bereits Mitte März seine Prognosen für das laufende Jahr an. Auch mittelfristig traut sich Sartorius mehr zu. Rückenwind gibt es aber nicht nur durch die Pandemie. Zur Vorlage der Zahlen für das erste Quartal sprach der Konzernchef auch von einer "sehr positiven" allgemeinen Geschäftsentwicklung.
Der Konzern baut wegen der starken Nachfrage auch seine Kapazitäten aus, unter anderem am Standort der Zentrale in Göttingen, aber auch in China, Südkorea und Puerto Rico. Bereits in den vergangenen Jahren waren die Niedersachsen kräftig expandiert. Die Mitarbeiterzahl des bereits 1870 als feinmechanische Werkstatt für Analysewaagen gegründeten Unternehmens wächst auch durch Übernahmen stetig und lag Ende 2020 bei 10 600. Mittelfristig sollen durchschnittlich mehr als 1000 Mitarbeiter pro Jahr zum Konzern hinzukommen, auch durch Übernahmen. Dabei soll der Fokus der Expansion auf Amerika und Asien liegen.
Dabei ist Sartorius auch mit mehr als 70 Prozent an der französischen Sartorius Stedim Biotech beteiligt, unter deren Dach das Biotech-Geschäft des Konzerns läuft. Die Biotechnologiesparte verkauft in der Pandemie gefragte Einweg-Materialien wie Bioreaktoren und Membranbeutel, aber auch Filtersysteme sowie Nähr- und Pufferlösungen für Zellkulturen. Dank der Nachfrage nach Corona-Tests floriert aber auch die Laborsparte, der Geschäftsbereich liefert unter anderem die Waagen, Pipetten und Verbrauchsmaterialien für Labore.
Im vergangenen Jahr hatte Sartorius dank der Pandemie seinen Umsatz um 28 Prozent auf rund 2,34 Milliarden Euro gesteigert. Für das laufende Jahr ist inzwischen sogar ein Erlösplus von rund 35 Prozent angepeilt, womit die Marke von drei Milliarden Euro übersprungen würde. Bis 2025 will Kreuzburg diesen Wert sogar auf rund fünf Milliarden Euro steigern. Erreicht werden soll das durch organisches Wachstum, in geringerem Maße aber auch durch Übernahmen. Allerdings hat auch der Konzernchef eingeräumt, dass die aktuellen Prognosen derzeit mit erheblich mehr Unsicherheit behaftet seien als üblich - dies gelte "nach oben wie nach unten".
Dabei verwies er auf die unterschiedlichen Nutzungsraten der am Markt derzeit verfügbaren Impfungen in verschiedenen Ländern, Unsicherheiten bei den Zulassungsprozessen und die ungeklärte Frage, inwieweit die Impfungen auch gegen womöglich weitere Mutanten wirksam sein können. Sartorius geht daher davon aus, dass es noch ein paar Monate dauern könnte, um mehr Klarheit über das Bestellverhalten der Kunden zu haben. Auch auf dem jüngsten Kapitalmarkttag des Unternehmens im Mai wollte er hierzu noch keine genaueren Aussagen machen. Dagegen gab es zuletzt von anderen Zulieferern bereits erste Hinweise, dass diese mit einem deutlichen Rückgang der Umsätze mit Covid-19-Bezug im kommenden Jahr im Vergleich zu 2021 rechnen.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Seit der Vorlage der Quartalszahlen im April haben sich einige Experten positiv geäußert, vielfach wurden Kursziele angehoben. Die Experten der Societe Generale (Société Générale (Societe Generale)) sprachen gar eine Kaufempfehlung aus. Wegen der hohen Bewertung der Aktie gibt es aber auch unverändert kritische Stimmen.
Die im dpa-AFX-Analyser seit April aufgeführten Experten rufen im Schnitt ein Kursziel von rund 460 Euro auf und liegen damit deutlich über dem aktuellen Kurs, dennoch stimmt hier die Mehrheit für ein Halten der Papiere. Ausreißer nach unten mit einem Kursziel von lediglich 324 Euro sind die Experten der UBS, sie votieren inzwischen seit gut einem Jahr für den Verkauf der Aktie und setzen seitdem konsequent einen der niedrigsten fairen Werte an.
Analyst Michael Leuchten machte sich zuletzt genau um jenen Punkt Sorgen, um den sich auch die aktuellen Bedenken des Marktes drehen: Zwar treibe die globale Impfstoffproduktion in der Coronakrise das Wachstum bei Sartorius kräftig an, schrieb er. Irgendwann werde sich dies jedoch verlangsamen, und dann sei die hohe Bewertung der Aktien nur noch schwer zu rechtfertigen.
Ähnlich ist der Tenor bei der DZ Bank. Analyst Sven Kürten geht davon aus, dass das "extrem positive Momentum" des Geschäfts nach Pandemie-Ende etwas nachlassen dürfte. Allerdings sollten turnusmäßige Covid-19-Auffrisch-Impfungen trotzdem weitere Erträge bringen, glaubt er. Zudem laufe auch ohne die Pandemie das Basisgeschäft bei Sartorius glänzend, der einer der weltweit führenden Biopharma-Produktionszulieferer sei.
Commerzbank (Commerzbank)-Experte Daniel Wendorff rechnet spätestens mit dem Bericht zum zweiten Quartal im Juli mit einer weiteren Aufstockung der Jahresziele. Zu diesem Zeitpunkt erwartet sich JPMorgan (JPMorgan ChaseCo)-Experte Richard Vosser dann auch eine erste konkrete Umsatzprognose für die im Zusammenhang mit Covid-19 entstehenden Erlöse im Jahr 2022.
Unterdessen sieht Delphine Le Louët von der französischen Großbank Societe Generale angesichts der jüngsten Kurskorrektur im Sektor wieder gute Chancen durch einen Einstieg in die Aktie, weshalb sie ihr bisher neutrales Votum aufgab. Zudem habe das Sartorius-Management sie auf dem Kapitalmarkttag von den langfristigen Wachstumschancen im Bereich der Gen- und Zelltherapien und vom regionalen Produktionsansatz des Unternehmens überzeugt, schrieb sie.
Das höchste Kursziel kommt mit 548 Euro von der Investmentbank Warburg Research. Das operative Wachstum des Laborzulieferers sei unverändert stark, schrieb Analyst Michael Heider in einer Studie Ende Mai. Das Geschäftsumfeld sei extrem günstig und werde von der Pandemie des Coronavirus noch zusätzlich angetrieben.
DAS MACHT DIE AKTIE
Auch aus Sorge um den nachlassenden Covid-19-Wind hatten Investoren ab der zweiten Aprilhälfte vielfach einen Bogen um Pharmaaktien gemacht, doch seit Mitte Mai geht es für den gesamten Sektor wieder aufwärts. Dagegen hat sich die im MDAX notierte Sartorius-Vorzugsaktie noch nicht wieder gefangen. Mit dem Mittwoch-Schlusskurs von knapp 390 summieren sich die Verluste seit dem Rekordhoch von 502 Euro von Anfang Februar auf etwas mehr als 20 Prozent.
Trotz des jüngsten Kursrückschlags schafft es das Papier seit Jahresbeginn aber immer noch auf ein Plus von rund 13 Prozent. Noch günstiger fällt die längerfristige Bilanz aus: Seit Anfang 2020, also bevor die Corona-Pandemie die Welt erfasst hatte, verdoppelte sich der Kurs - über fünf Jahre gesehen summiert sich das Plus auf rund 500 Prozent. Wer noch früher eingestiegen ist, hat ein noch größeres Plus im Depot. 2012 stiegen der Kurs erstmals über die Marke von 10 Euro.
Das Göttinger Unternehmen wurde bereits 1990 an die Börse gebracht. Damals hatte der Ausgabepreis für die Vorzugsaktie 610 D-Mark betragen. Bereinigt um die Währungsumstellung und zwei Aktiensplits beläuft sich der Ausgabepreis rechnerisch auf rund drei Euro. Das Aktienkapital ist zu gleichen Teilen in Stamm- und Vorzugsaktien aufgeteilt. Von den etwas mehr als 37 Millionen Stammaktien gehören gut die Hälfte einer Erbengemeinschaft und rund 34 Prozent dem US-Unternehmen Bio-Rad Laboratories. Knapp neun Prozent hält das Unternehmen selbst. Nur sieben Prozent sind im Streubesitz.
Ganz anders sieht es bei den Vorzugsaktien aus: Hier werden rund 72 Prozent der Anteile, die nicht im Besitz des Unternehmens selbst sind, im Streubesitz gehandelt; 28 Prozent liegen nach Sartorius-Angaben bei Bio-Rad Laboratories. Sartorius selbst hält wie bei den Stammaktien rund neun Prozent. Insgesamt wird das Unternehmen an der Börse derzeit inzwischen mit knapp 29 Milliarden Euro bewertet. Allein das Aktienpaket der Erbengemeinschaft kommt dabei auf rund sieben Milliarden Euro.
Sartorius ist nach Airbus (Airbus SE (ex EADS)), der Siemens-Tochter Siemens Healthineers und der VW (Volkswagen (VW) vz)-Beteiligungsholding Porsche SE (Porsche SE Vz) derzeit der viertschwerste Titel im MDax und bringt derzeit mehr auf die Börsenwaage als zahlreiche Dax (DAX 30)-Konzerne. Das Göttinger Unternehmen zählt damit zu den Kandidaten für den Dax-Aufstieg, wenn der deutsche Leitindex im Herbst von 30 auf 40 Mitglieder aufgestockt wird.
Für einen möglichen Dax-Aufstieg ist allerdings nur der Börsenwert des Streubesitzes bei der Vorzugsaktie entscheidend. Die Marktkapitalisierung der frei handelbaren Vorzugspapiere liegt derzeit bei knapp zehn Milliarden Euro. Gemessen daran hat das Unternehmen zahlreiche Konkurrenten beim Kampf um einen Platz im deutschen Leitindex. Entscheidend für eine Aufnahme in den Dax wird der Börsenwert im Spätsommer sein.
dpa-AFX