Als ob der soeben verunfallte Wirtschaftsminister Peter Altmaier nicht genug mit seiner Genesung zu tun hätte. Jetzt muss er auch noch den Bau eines Weltraumbahnhofs an der deutschen Küste prüfen. Einen, von dem aus die heimische Industrie Satelliten und kleine Raketen ins All schießen könnte. Die Idee klingt zunächst abwegig. Schließlich ist Deutschland dicht besiedelt. Die Gefahr, dass Raketenstufen abgetrennt werden oder Trümmer nach Fehlstarts herabfallen, ist groß.

Zudem bräuchten die künftigen Himmelskörper im Norden des Landes mehr Energie zum Start als in Äquatornähe. Dort hilft die Erdrotation bei der Beschleunigung. Ein Grund, wieso Europas Institute und Firmen bislang vor allem das europäische Raumfahrtzentrum im französischen Überseedepartement Guyana an der Atlantikküste Südamerikas nutzen.

Überdies plant die britische Weltraumagentur im Norden der schottischen Highlands einen Weltraumbahnhof, der trotz Brexit auch den Raumfahrern Kontinentaleuropas zur Verfügung stehen dürfte. Wenn nicht, dann schlägt Ex-­Astronaut Thomas Reiter die Azoren als Standort vor, eine Inselgruppe vor Portugal.

Altmaier hat sich dennoch von der Industrielobby breitschlagen lassen. "Raumfahrt begeistert viele Menschen und sichert Tausende Arbeitsplätze in Deutschland", sagte der CDU-­Minister in einem Interview. Wer sich das Grundsatzpapier "Zukunftsmarkt Weltraum" des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) durchliest, versteht die Entscheidung: Künftig werden demnach wesentlich mehr Menschen in der Branche einen Job finden. Der Umsatz der Raumfahrtindustrie beläuft sich derzeit auf etwa 260 Milliarden US-Dollar. "Unternehmensberatungen gehen davon aus, dass sich der globale Raumfahrtmarkt bis 2040 auf bis zu 2.700 Milliarden US-Dollar mehr als verzehnfachen wird", so das BDI-Papier.

Dabei geht es nicht nur um bemannte Raumfahrt. Zwar baut der europäische Luftfahrtkonzern Airbus am Raumschiff des Orion-Programms der US-Behörde NASA mit und hat in Bremen das Servicemodul für die 2020 startende Mission gefertigt. US-Konkurrent Boeing tüftelt unterdessen an einer Station auf dem Mond. Beide Unternehmen sind führend darin, Menschen in den Orbit zu befördern.

Aber den Trend heizen irdische Themen an: Alle surfen und streamen an Smartphones, TV-Geräten und Computern. Die Industrie 4.0, also die Vernetzung von Maschinen in Fertigungshallen oder permanent kommunizierende Fahrzeuge, lässt die Datenströme rund um den Globus immer stärker anschwellen. Satelliten übertragen dabei Daten mit höheren Bandbreiten und sind zudem weit­gehend ortsungebunden. Noch ist die Technik kostspielig, aber Schritt für Schritt zieht das Internet ins Weltall um.

Einer, der die Entwicklung vehement vorantreibt, ist Elon Musk. Sein nicht börsennotiertes Unternehmen SpaceX hat allein im Mai 60 Satelliten in die Umlaufbahn geschossen. Und es sollen noch mehr werden. Die US-Firma würde am liebsten über 40.000 der Kommunika­tionstrabanten hinterherschicken. "Möglicherweise Milliarden von ökonomisch benachteiligten Menschen zu helfen, ist das wichtigere Ziel", begründet dies Musk. Der Vergleich mit der Gesamtzahl erdumkreisender Satelliten, Stand Ende März, zeigt, wie ehrgeizig sein Projekt Starlink ist: Zu diesem Zeitpunkt waren es gerade mal 2.062.

Raumfahrt wird privat


Traditionelle Satellitenspezialisten wie der luxemburgische Konzern SES oder die deutsche OHB haben ihre Wurzeln in den 80er-Jahren. Da jedes Projekt in der Vergangenheit tendenziell viele Millionen verschlang, die von Regierungen widerstrebend bewilligt wurden, war das Geschäft für Privatunternehmen schwierig. Bis Musk kam. Denn der Tesla-Gründer ist auch hier radikaler Pionier. Sein Projekt SpaceX beförderte nach seiner Gründung 2002 die Kommerzialisierung der Raumfahrt in neue Dimensionen, indem es die Starts extrem verbilligte.

Bereits Ende 2001 hat OHB, was für Orbitale Hochtechnologie Bremen steht, einen Auftrag erhalten, der das Unternehmen nun ebenfalls in eine neue Liga aufsteigen lässt - und zum Konkurrenten für Airbus macht. Für die Bundeswehr entwickelte ein Konsortium unter Führung von OHB ein satellitengestütztes Aufklärungssystem. Inzwischen baut das hanseatische Unternehmen neben zahlreichen Wettersatelliten das europäische Navigationssystem Galileo, das künftig das US-Pendant GPS ersetzen soll. Erst vor wenigen Tagen hat eine Tochterfirma den Zuschlag für den Bau eines gigantischen Teleskops erhalten, mit dem Forscher nach extraterrestrischem Leben suchen wollen. Seit etwa zwei Jahren schlägt der Erfolg auch auf die Ergebnisse und den Aktienkurs von OHB durch.

Jungfirma hebt ab


Mit der Privatisierung der Raumfahrt wagen sich immer mehr Jungunternehmen auf den Weg ins All - auch aus Deutschland. Soeben stellte die Münchner Mynaric nach zehn Jahren Entwicklung - die Vorstandschef Wolfram Peschko als "sklavisch" bezeichnete - eine Palette aus vier Systemen vor. Diese beinhalten Kommunikationssatelliten und je einen passenden Empfänger auf der Erde. Die Daten werden per Laser transportiert. Dafür hat die Ausgründung des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums einen Auftrag ergattern können.

Für 1,7 Millionen Euro soll eine erste Kommunikationsstruktur aufgebaut werden. "Dies ist ein Meilenstein für Mynaric: Unser Terminal wird bald das erste Mal ins All starten", sagt Vorstandsmitglied und Ex-SpaceX-Manager Bulent Altan. Die seit 2017 börsennotierten Bayern wollen ihre Technologie durch Serienproduktion günstig anbieten. Das Potenzial hat sich indes in den Zahlen noch nicht offenbart.

Die Branche erwartet derweil gespannt die Sitzung der Europäischen Weltraumbehörde ESA Ende November. Dort wird über konkrete Förderbudgets entschieden. Und die lassen die Geschäfte wohl noch eher abheben als ein deutscher Weltraumbahnhof.

Investor-Info

OHB
Auf der Startrampe


Noch zu Jahresanfang lag der Auf­trags­bestand mit 2,4 Milliarden Euro auf Rekord­niveau. OHB ist mit seinem Satellitenportfolio optimal in den Trendthemen geo­stationäre Beobachtung und Kommunikation aufgestellt. Im ersten Halbjahr ist der Bestand zwar leicht abgeschmolzen, auch der Umsatz, der in den vergangenen beiden Jahren je um 18 Prozent zugelegt hat, schwächelte. Das Geschäft ist aber projektgetrieben. Der Aufwärtstrend ist intakt. Unter den aktuellen Bedingungen steigen Anleger ein.
Kursziel: 45,00 Euro
Stopp: 30,40 Euro

Mynaric
Landung in den Miesen


Weil das Jungunternehmen aus München in der Endphase von Produkt- und Produktionsentwicklung ist, hat es zuletzt Kapital verbrannt und wenig eingenommen. Der Umsatz ist um über 80 Prozent eingebrochen, der Verlust erhöhte sich leicht auf 3,8 Millionen Euro. Mynaric muss mittelfristig beweisen, wie konkurrenzfähig die Systeme sind.
Kursziel: 46,00 Euro
Stopp: 33,00 Euro

SES
Noch mit Fehlzündung


Das Unternehmen aus Luxemburg macht vor allem Geschäfte mit TV-Satelliten und zählt zu den aktivsten Anbietern von TV-Übertragungen in Ultra-HD. Allerdings leidet der 1982 gegründete Platzhirsch unter Preisdruck und verzeichnet seit 2016 sinkende Umsätze und noch stärker fallende Gewinne. Dank laufender Restrukturierung könnte sich das Blatt bald wenden. Spekulativ orientierte Anleger setzen auf einen Turnaround.
Kursziel: 24,00 Euro
Stopp: 15,90 Euro