Das kleinere SDax-Unternehmen schluckt den größeren MDax-Konzern. Der fränkische Autozulieferer Schaeffler greift nach dem Antriebs-Spezialisten Vitesco. Ziel der Fusion ist die Bildung eines großen E-Mobilitäts-Zulieferers. Die Offerte sorgt für einen satten Kurssprung der Vitesco-Aktie, während das Schaeffler-Papier kräftig nachgibt.
Die monatelangen Spekulationen bewahrheiten sich: Der Autozulieferer Schaeffler will die frühere Continental-Antriebssparte Vitesco ganz übernehmen und bietet 91 Euro je Aktie für das seit kurzem im MDax notierten Unternehmen in bar. Vitesco wird mit der Offerte von Schaeffler mit rund 3,6 Milliarden Euro bewertet. Nach einer Fusion der beiden Unternehmen will Schaeffler einen großen Anbieter für Elektromobilität formen.
Das im SDax gelistete Unternehmen Schaeffler hat sich nach eigenen Angaben ein umfangreiches Finanzierungspaket arrangiert, das eine Brückenfinanzierung für das Erwerbsangebot einschließt. Dies sei für Schaeffler gut zu stemmen, da der Schaeffler-Clan bereits knapp die Hälfte der Anteile besitze, sagte Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld in einer Pressekonferenz. Kartellrechtliche Freigaben seien in der EU nicht mehr nötig und auch in vielen anderen Ländern nicht. So könne der Deal schnell durchgezogen werden – Rosenfeld rechnet mit dem Erwerbsangebot von Mitte November bis Mitte Dezember, im vierten Quartal 2024 soll dann die Verschmelzung erfolgen.
In einem Interview bei Bloomberg machte Rosenfeld deutlich, dass das Unterfangen rund 1,8 Milliarden Euro an Finanzierung benötige und er erst in einem Jahr wieder mit einem sinkenden Schuldenstand rechnet. 2025 soll der Verschuldungsgrad nach der Transaktion unter das 1,5-Fache des Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen fallen.
Während die Vitesco-Aktie am Montag um mehr als 20 Prozent zulegt, rutschen Schaeffler-Aktien um über acht Prozent auf den tiefsten Stand seit Oktober ab – und unterschreiten zeitweilig die 5-Euro-Marke. Der große Übernahme-Deal verschlingt zunächst hohe Beträge, bevor er sich in ein paar Jahren positiv in der Bilanz niederschlagen dürfte.
Große Synergie-Effekte möglich
Insbesondere im Bereich der E-Mobilität verfügen Schaeffler und Vitesco über ein zusammenpassendes Technologie-Portfolio, hieß es. Auf diesem Gebiet will Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld die Wachstumschancen nutzen. Gemeinsam kommen die Unternehmen auf rund 25 Milliarden Euro Umsatz und 120.000 Mitarbeitende. Vitesco macht derzeit noch den Löwenanteil des Geschäfts mit Verbrenner-Komponenten, hat jedoch zuletzt vor allem Aufträge für die Elektroantriebs-Sparte eingesammelt. Schaeffler tut sich mit dem Umschwung hin zum Elektromotor noch schwer.
Der Zusammenschluss der Firmen soll jährlich vor Zinsen und Steuern Kosteneinsparungen von 600 Millionen Euro bringen. Diese sollen bis 2029 realisiert werden. Dazu würden einmalige Integrationskosten von bis zu 665 Millionen Euro erwartet. Vitesco war erst 2021 von der ehemaligen Konzernmutter Continental abgespalten worden. An Conti besitzt die Schaeffler-Familie seit einem missglückten Übernahmeversuch in der Finanzkrise 2008 rund 46 Prozent.
Aus Vorzugsaktien werden Stammaktien
Das Übernahmeangebot soll der erste Schritt auf dem Weg zu einer Fusion sein. Nach Durchführung des Erwerbsangebots plant Schaeffler, Vitesco rechtlich auf Schaeffler zu verschmelzen. Ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag ist demnach nicht geplant.
"Mit dem Unternehmenszusammenschluss wird eine führende 'Motion Technology Company' mit vier fokussierten Sparten und einem Umsatz von ungefähr 25 Milliarden Euro geschaffen", hieß es in der Schaeffler-Mitteilung. "Dazu gehört ein erstklassiger E-Mobilitäts-Anbieter mit erheblichem Wachstumspotential", warb Rosenfeld um die Vitesco-Aktionäre. Zusammen kämen die beiden Unternehmen auf 120.000 Mitarbeiter.
Die Eigentümerfamilie Schaeffler hält seit der Abspaltung bereits knapp 50 Prozent an Vitesco. Sie hat zugesagt, ihre Vitesco-Aktien zunächst zu behalten. Nach Vollzug der Übernahme könnten alle Vitesco-Papiere aber in Aktien der fusionierten "neuen" Schaeffler umgetauscht werden, sagte ein Sprecher.
Schaeffler will zudem im Zusammenhang mit der angestrebten Fusion seine
Vorzugsaktien im Verhältnis 1:1 in Stammpapiere mit Stimmrecht
umwandeln. Die Aktionäre müssen dem in einer außerordentlichen
Hauptversammlung zustimmen. Bisher hält die Familie die Stammpapiere des
Wälzlager-Herstellers komplett, von den stimmrechtslosen Vorzügen
befinden sich drei Viertel im Streubesitz.
Einschätzungen zur Schaeffler-Aktie
JPMorgan-Analyst Akshat Kacker verwies darauf, dass eine solche Übernahme seit langem ein Thema unter Investoren war – und sie habe in seinen Augen eine starke strategische Logik. Seine Einstuftung für die Schaeffler-Aktie beließ er auf "Overweight" mit einem Kursziel von 7,70 Euro.
Zwei weitere Analysehäuser senkten ihre Kursziele leicht. Oddo BHF sieht nun für die kommenden 12 Monate ein Ziel von 6,60 Euro statt zuvor 7,15 Euro, Kepler Cheuvreux prognostiziert nun 7,10 Euro statt bislang 7,50 Euro.
BÖRSE ONLINE hatte zuletzt ein Kursziel von 8,50 Euro ausgegeben, was vom aktuellen Niveau aus betrachtet stolze 70 Prozent Potenzial bedeutet. Bis die Synergieeffekte aus dem Milliarden-Deal wirken, wird es allerdings dauern. Dennoch bleibt der dividendenstarke Wert (Dividendenrendite zuletzt 8,4 Prozent) haltens- bzw. nachkaufenswert. Fraglich bleibt allerdings, ob die Dividende auch bei den Schaeffler-Stammaktien in der aktuellen Höhe bestehen bleibt.
Für Vitesco hatte BÖRSE ONLINE ein Kursziel von 100 Euro ausgegeben. Eine Annahme des Übernahmeangebots wird empfohlen, so dass ein starker Gewinn von gut 50 Prozent seit Kaufempfehlung im Januar (bei 60,50 Euro) verbleibt.
(Mit Material von dpa-AFX)
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