Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: Bei einem Zerfall des Euroraums droht eine schwere Wirtschaftskrise
Herr Krämer, die Gespräche mit Athen zur Lösung der Schuldenkrise sind am Sonntag vorläufig gescheitert. Schon am Donnerstag hat sich der IWF aus den Verhandlungen zurückgezogen. Ist das alles nur Verhandlungstaktik, oder läuft die Zeit für eine Einigung mit Griechenland jetzt wirklich endgültig ab?
Krämer: Die griechische Regierung pokert hoch und wird Zugeständnisse so weit wie möglich hinauszögern. Richtig ernst wird es erst am 20. Juli, wenn Griechenland ihre von der EZB gehaltenen Anleihen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro zurückzahlen muss. Wenn Griechenland das nicht schafft, müsste die EZB wohl einen Zahlungsausfall feststellen. Dann wären auch die griechischen Banken zahlungsunfähig und die EZB müsste sie von der Liquiditätsversorgung abklemmen. Das wäre faktisch das Ende der Euro-Mitgliedschaft Griechenlands.
Ein fauler Kompromiss mit Griechenland ist wahrscheinlicher als ein Grexit."
Und der Showdown kommt am Donnerstag beim Treffen der Euro-Finanzminister?
Ich glaube eher nicht an eine Einigung schon am Donnerstag. Schließlich hat EU-Kommissionspräsident Juncker die Verhandlungen mit Griechenland nach nur 45 Minuten abbrechen müssen und es fehlt die Basis, dass sich die Finanzminister am Donnerstag mit Griechenland einigen.
Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit für eine Pleite Griechenlands aktuell ein?
Ich würde sagen 50 Prozent. Es steht auf Messers Schneide, wobei ich einen faulen Kompromiss mit Griechenland für etwas wahrscheinlicher halte als einen Grexit. Schließlich müsste Frau Merkel ihren Wählern im Falle eines Grexit erklären, dass die Hilfskredite an Griechenland verloren sind und die Rettungspolitik gescheitert ist.
Was würde eine mögliche Staatspleite für die Aktienmärkte bedeuten?
Bisher ist noch kein Land aus der Währungsunion ausgeschieden. Bei einem Austritt Griechenlands käme bei den Anlegern natürlich zunächst viel Unsicherheit hoch, die Kurse würden wohl fallen. Aber die Anleger dürften schnell erkennen, dass ein Grexit die Stabilität der übrigen Währungsunion nicht gefährden würde. Griechenland ist sowohl ökonomisch als auch politisch ein Sonderfall. Ein positiver Aspekt wäre, dass ein Scheitern der Linksradikalen in Griechenland die Wahlchancen der spanischen Podemos-Bewegung dämpfen würde. Davon würden die Kurse spanischer Staatsanleihen profitieren.
Einige Beobachter halten mit Blick auf Griechenland sogar eine Entwicklung wie nach der Lehman-Pleite für möglich. Teilen Sie diese Einschätzung?
Die Lehman-Pleite war eine große Überraschung, eine Griechenland-Pleite sicher nicht. Der Vergleich mit Lehman ist unangebracht.
Erwarten Sie, dass Griechenland im Pleitefall auch aus dem Euro aussteigt?
Wenn der griechische Staat pleite ginge, würde die griechischen Banken dasselbe Schicksal treffen. Denn die griechischen Staatsanleihen und Steuerforderungen in den Büchern der Banken wären dann weitgehend wertlos, was ihr Eigenkapital ausradieren würde. Aber die EZB darf insolvente Banken nicht mit Liquidität versorgen und müsste Griechenland dann faktisch aus der Währungsunion werfen.
Viele Politiker befürchten bei einem Zerfall des Euro auch ein Ende der europäischen Einigung. Zu Recht?
Wenn die Währungsunion zerfiele, käme es zu einer schweren Wirtschaftskrise. Das zerstörte Vertrauen würde die europäische Einigung schwer beschädigen.
Neben Griechenland droht im laufenden Jahr ja noch eine andere Belastung: Viele Beobachter erwarten inzwischen, dass die Fed im September die Zinswende nach oben einleiten könnte. Wie würde sich ein solcher Schritt auf die US-Börsen auswirken und wie auf den DAX?
Die US-Wirtschaft erholt sich zügig von der Schlappe des ersten Quartals. Außerdem sind die Löhne zuletzt schneller gestiegen. Vermutlich beginn die Fed im September, ihren Leitzins anzuheben. Das würde erst mal die Börsen belasten. Aber die EZB bliebe anders als die Fed mit dem Fuß auf dem Gaspedal. Mittelfristig dürfte der DAX weiter zulegen.
Wo sehen Sie den DAX also zum Jahresende?
Unser Jahresendziel liegt weiter bei 11.800 Punkten. Es gibt also noch Luft nach oben.
Wie sollten sich Anleger auf ein solches Szenario aus Griechenland und möglicher Zinswende einstellen: in defensive Werte umschichten oder doch auf Anleihen setzen?
Ich würde eine mittelfristige Anlagestrategie nicht vom Ausgang des Griechenland-Konflikts abhängig machen. Entscheidend ist, dass die EZB am Haken der Politiker ist und noch lange eine sehr lockere Geldpolitik fahren wird. Das erhöht die Bewertungen risikoreicher Anlagen. Auf Sicht der kommenden sechs Monate sollten sich Aktien und Unternehmensanleihen überdurchschnittlich entwickeln.
DZ-Chefvolkswirt Stefan Bielmeier: Es droht ein Rückschlag, aber kein Crash
Herr Bielmeier, die Gespräche mit Athen zur Lösung der Schuldenkrise sind am Sonntag vorläufig gescheitert. Bereits am Donnerstag hat sich der IWF aus den Verhandlungen zurückgezogen. Ist das alles nur Verhandlungstaktik, oder läuft die Zeit für eine Einigung mit Griechenland jetzt wirklich endgültig ab?
Die Zeit läuft tatsächlich ab. Die griechische Regierung macht weiterhin zu wenig Zugeständnisse und ohne weitere Reformzusagen können keine weiteren Hilfen zusagen kann.
Und der Showdown kommt am Donnerstag beim Treffen der Euro-Finanzminister?
Wenn man ein neues Programm präsentieren möchte ist der kommende Donnerstag tatsächlich die deadline. Jedoch könnte man auch das aktuelle Programm verlängern, was zunächst reichen würde. Dann hätte man theoretisch noch bis Mitte Juli Zeit. Die Zeit läuft definitiv am 20 Juli ab, hier werden die Kredite bei der EZB fällig.
Ich rechne mit einem Rückschlag, aber keinem Crash."
Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit für eine Pleite Griechenlands aktuell ein?
Auf 50 Prozent.
Was würde eine mögliche Staatspleite für die Aktienmärkte bedeuten?
Ich rechne mit einem Rückschlag, aber keinem Crash.
Einige Beobachter halten mit Blick auf Griechenland sogar eine Entwicklung wie nach der Lehman-Pleite für möglich. Teilen Sie diese Einschätzung?
Nein, dafür ist die Vernetzung mittels Finanzprodukte zu klein. Hier ist es positiv, dass es in der Vergangenheit bereits einen Schuldenschnitt gegeben hat und der private Sektor bereits einen sehr großen Teil griechischen Schulden abgeschrieben hat.
Erwarten Sie, dass Griechenland im Pleitefall auch aus dem Euro aussteigt?
Nicht unmittelbar, dass kann aber das Ergebnis von weiteren Verhandlungen sein.
Was würde eine mögliche Pleite Griechenlands für die Zukunft des Euro bedeuten: Wäre die Gemeinschaftswährung dann noch zu retten?
Auf jeden Fall, aus meiner Sicht würde der institutionelle Rahmen gestärkt und die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte würde gestärkt werden.
Viele Politiker befürchten bei einem Zerfall des Euro auch ein Ende der europäischen Einigung. Zu Recht?
Die Gefahr sehe ich ebenfalls. Letztendlich wäre ein Zerfall des Euroraumes ein deutliches Signal der Desintegration. Zusammen mit der laufenden Diskussion über einen möglichen Brexit, wäre ein großer politischer Wille notwendig, um die Zerfallserscheinungen in diesem Fall zu stoppen.
Neben Griechenland droht im laufenden Jahr ja noch eine andere Belastung: Viele Beobachter erwarten inzwischen, dass die Fed im September die Zinswende nach oben einleiten könnte. Wie würde sich ein solcher Schritt auf die US-Börsen auswirken und wie auf den DAX?
Steigende Notenbankzinsen wirken sich in der Regel dann ungünstig auf den Aktienmarkt aus, wenn diese das Wachstum bremsen. Hiervon sind wir aber noch weit entfernt. Vielmehr wären steigende Notenbankzinsen in den USA ein Zeichen dafür, dass die Fed die Konjunktur nun als stabil genug ansieht eine Zinsanhebung zu verkraften.
Wo sehen Sie den DAX also zum Jahresende?
Bei 12.500 Punkten.
Baader Bank-Kapitalmarktexperte Robert Halver: Lieber Grexit als Brexit!
Herr Halver, die Gespräche mit Athen zur Lösung der Schuldenkrise sind am Sonntag vorläufig gescheitert. Bereits am Donnerstag hat sich der IWF aus den Verhandlungen zurückgezogen. Ist das alles nur Verhandlungstaktik, oder läuft die Zeit für eine Einigung mit Griechenland jetzt wirklich endgültig ab?
Wir hören jetzt seit März das die Zeit abläuft. Das ist mittlerweile wohl ein fester Textbaustein in jedem politischen Statement. Was wir hier erleben ist gespielter politischer Theaterdonner auf Hollywood-Niveau. Es wird Marathonlauf ähnlich lang und ausgiebig verhandelt, damit beide Seiten ihrem jeweils zugeneigten Publikum beweisen können, man habe sich massiv für ihre Interessen eingesetzt. Bei dieser langatmigen Zick Zack-Politik spielt der IWF die Rolle des kompromisslosen bad cop und die EU-Kommission den eher gutmütigen good cop. Die Griechen wiederum sind an einem Tag reformkonziliant und am nächsten wieder reformverweigernd. Zur Dramaturgie passt auch, dass man sich - ähnlich wie bei Tarifauseinandersetzungen - zwischendurch verbal gegenseitig ins Schienbein tritt.
Wenn man politisch wollte, könnte man theoretisch auch das laufende Hilfsprogramm, das zunächst bis Juni verlängert wurde, erneut z.B. bis Ende des Jahres verlängern und weiterverhandeln. Wenn Europa eins kann, dann politische Kaugummi-Diplomatie mit zweifelhaften Krisenlösungen.
Und der Showdown kommt am Donnerstag beim Treffen der Euro-Finanzminister?
Die Frage ist, wann die Euro-Politik endlich realisiert, dass die mittlerweile fünfmonatige Verhandlungsrunde im griechischen Schuldenstreit bereits zu irreparablen Vertrauensschäden für die Stabilitätskultur in der Eurozone geführt hat. Wenn Athen als Kreditnehmer - der sich unverantwortlich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, die kleinste Reformanstrengung zu unternehmen, um der volkswirtschaftlichen Misere zu entkommen und auch noch jeder goldenen Brücke, jedem Friedensangebot der Kreditgeber barsch die kalte Schulter zeigt - den Kreditgebern die Bedingungen für einen Schuldenkompromiss diktiert, soll bitte kein Euro-Politiker mehr ernsthaft von Europäischer Stabilitätsunion sprechen. Jedoch war genau diese die Bedingung, um überhaupt die Währungsunion zu gründen, um die Deutschen von der Aufgabe ihrer heiß geliebten Mark zu überzeugen und ihnen den Euro schmackhaft zu machen. Allerspätestens jetzt geböte es die finanzpolitische Vernunft, Griechenland eine Zukunft außerhalb der Eurozone zu gewähren, damit die Stabilitätsunion nicht als große Lüge enttarnt wird und sich Politiker nicht im höchsten Grad unglaubwürdig machen.
Und warum sind dann Politiker nicht endlich finanzpolitisch konsequent und lassen die Griechen austreten? Für die Politiker steht politisch viel auf dem Spiel. Niemand von ihnen will sich angesichts einer griechischen Pleite und eines Grexit die peinliche Blöße geben, dass dann all die teuren Hilfsmaßnahmen für Griechenland seit fünf Jahren umsonst gewesen sind und allein der deutsche Steuerzahler ca. 80 Mrd. Euro öffentlicher Gelder abschreiben kann. Dabei wissen sie längst, dass die Chancen für die Rückzahlung griechischer Schulden ähnlich hoch sind wie die der Wiederbelebung ägyptischer Mumie. Das Geld ist futsch auch bei einem Verbleib des Landes im Euroraum.
Würde Griechenland austreten, hätte gerade auch die deutsche Politik zu verantworten, dass die Mehrzahl der Maastricht-Stabilitätskriterien umsonst auf dem Altar der Solidarität zu Griechenland geopfert wurden, ohne dass man das Land in der heiligen Euro-Familie halten konnte. Ohnehin gibt kein Euro-Politiker gerne zu, dass der Beitritt Griechenlands zur Eurozone ein Fehler gewesen ist. Überhaupt, wie will man erklären, dass man der Ukraine - einem Land, das schuldentechnisch längst jenseits von Gut und Böse und noch nicht einmal in der EU ist - großzügig finanzielle Unterstützung gewährt, wenn man das eigene Euro-Familienmitglied hartherzig in die Pleite schickt?
Vor allem aber geht es um knallharte geopolitische, geostrategische Gründe für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Herr Obama wird Frau Merkel auf dem G7-Gipfel in Bayern - zwischen Pusteblumen und Löwenzahn - sehr deutlich die Marschrichtung vorgegeben haben, den Status Quo zu bewahren. Die USA fürchten, dass das Nato-Land außerhalb der Eurozone leichte Beute für Russland und somit die östliche Mittelmeerregion instabil werden könnte. In der Tat hat dieses Argument seine Berechtigung.
Der Sommer 2015 an den europäischen Finanzmärkten würde sicherlich volatil und es käme auch zu erheblichen Kurskonsolidierungen an den Renten- und Aktienmärkten. Doch dieser Preis sollte gerne bezahlt werden."
Vor diesem geopolitischen Hintergrund will die EU-Kommission einen Deal mit Griechenland um jeden Preis, notfalls auch in Form eines stinkendfaulen Reformkompromisses. Denn Herr Tsipras als bekennender Linksradikaler wird definitiv keine großen, notwendigen wirtschaftsliberalen Reformen in Griechenland umsetzen, für die er weder Wahlkampf gemacht hat noch für die er ein Wählermandat besitzt. Eine nochmalige Verlängerung der Hilfszusagen von Ende Juni bis z.B. März 2016, um Zeit zu gewinnen, wäre so ein typischer europäischer Kompromiss. So kann die griechische Regierung stolz vor ihre Wähler treten, sie habe sich nicht verbiegen lassen, der starke griechische Herkules habe es den Ungeheuern in Brüssel und Berlin einmal so richtig gezeigt. Und die Gläubigerstaaten können verkünden, dass Griechenland auf dem richtigen Weg ist, vom Reform-Saulus zum Reform-Paulus zu werden. Die Rechtfertigung für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone ist damit erbracht.
Ob am Donnerstag ein Kompromiss gefunden ist, bleibt fraglich. Aber wir haben ja noch ein paar Tage Zeit. Die Griechen haben eigentlich nicht viel zu verlieren. Ihre geopolitisch bedeutsame Nato-Mitgliedschaft ist für sie eine goldene Lebensversicherung.
Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit für eine Pleite Griechenlands aktuell ein?
Ich erwarte, dass die Griechen politisch irgendwie in der Eurozone gehalten werden, koste es, was es wolle. Leider muss man sagen, denn auch der griechischen Bevölkerung erweist man damit einen Bärendienst. Ohne Abwertung und umfangreichen Schuldenschnitt kommt das Land wirtschaftlich nicht auf die Beine. Es wird stattdessen zum Groschengrab. Mit jedem Tag in der Eurozone wächst auch die Schuldenlast der Gläubiger. Wenn wir ehrlich sind, ist das Land bereits pleite. Diese Pleite wird nur mit den Bluttransfers der Gläubiger künstlich wegdefiniert. Eine offizielle Pleite und Euro-Austritt - beides gehört für mich zusammen - schätze ich auf 30 Prozent Wahrscheinlichkeit ein. Ich wünsche mir diese Konsequenz, fürchte aber, man wird wieder den politischen Schwanz einziehen. In der Euro-Politik hat der gesunde Finanz- und Wirtschaftsverstand offensichtlich nicht viel zu suchen.
Was würde eine mögliche Staatspleite für die Aktienmärkte bedeuten?
Bei einer Staatspleite und Austritt Griechenlands werden die Aktienmärkte sicherlich nicht ungeschoren davonkommen. Einen Austritt eines Landes aus einer Währungsunion gab es in der Neuzeit noch nie. Das wäre ein finanzpolitischer Feldversuch mit zunächst unklaren Risiken und Nebenwirkungen für die Eurozone, für die Staatsanleihemärkte und die Konjunktur. Die Spekulanten an den Finanzmärkten könnten versuchen, nach Griechenland andere Euro-Länder anzugreifen, so dass Griechenland nur der erste Dominostein wäre. Unsere Rettungseinrichtungen würden dies aber verhindern. Die EZB würde mit liquiditätspolitischem Blankscheck jeder Infizierung anderer Euro-Länder verhindern.
Die Märkte würden zunächst deutlich nachgeben: Der Sommer 2015 an den europäischen Finanzmärkten würde sicherlich volatil und es käme auch zu erheblichen Kurskonsolidierungen an den Renten- und Aktienmärkten. Doch dieser Preis sollte gerne bezahlt werden. Denn im Herbst hätten sich die Finanzmärkte mit tatkräftiger Hilfe der EZB wie nach einem reinigenden Gewitter wieder abgekühlt. Die Märkte hätten dann begriffen, dass es nicht um die Rettung Griechenlands in der Eurozone ging, sondern um die Rettung der Eurozone vor der griechischen Finanzunkultur. Aber wenn sie sehen, dass die Schotten halten, werden sie sich schnell wieder erholen. Denn eine Kette ist nicht schwächer, wenn ihr schwächstes Glied entfernt wird. Die Märkte würden realisieren, dass der Stabilitätsgeist der Eurozone noch nicht entschlafen ist, dass Europa seine Stabilitätsseele noch nicht verkauft hat und die "griechische Schuldenunion" nicht die Vision Europas ist. Denn was man Griechenland gewährt in punkto Stabilitätserlass kann man anderen Euro-Ländern nicht verwehren. Die für Griechenland hoffähig gemachte, mangelnde Reform- und damit Wettbewerbsfähigkeit wird in anderen Euro-Ländern streuen und auch dort das Wachstum kastrieren und die Schulden weiter hochtreiben.
Von Griechenland lernen, heißt für die Eurozone verlieren lernen. Und die EZB, die den Schuldendeckel bezahlen muss, wird sich von einer Rückkehr zu einer ordentlich stabilen Geldpolitik à la Deutsche Bundesbank für immer verabschieden müssen. Es wird dann kein nachhaltiges Happy End, keine saubere Lösung geben, weder für Griechenland noch für die Eurozone. Denn diese Heile Heile Gänschen-Politik wird uns früher oder später auf die Füße fallen, die Eurozone wird wirtschaftlich Stück für Stück verarmen und im Wettbewerb der großen Wirtschaftsregionen aus der Champions League verschwinden.
Die Entscheidung für einen Grexit hielte die Eurozone aus. Lieber Grexit als Brexit! Großbritannien, ein Land, das Wettbewerbsfähigkeit, Privatwirtschaft und Haushaltskonsolidierung groß schreibt, darf die EU nie verlassen. Ansonsten sind die schuldengläubigen Gutmenschen unter sich.
Einige Beobachter halten mit Blick auf Griechenland sogar eine Entwicklung wie nach der Lehman-Pleite für möglich. Teilen Sie diese Einschätzung?
Zum damaligen Zeitpunkt waren die Rettungsinstrumente noch nicht so professionell wie heute. Heute können die Rettungsengel der Notenbanken das "Mutter Theresa-Prinzip" fast unbegrenzt leisten. Wenn wir ehrlich sind, hat die Marktwirtschaft die Euro-Finanzmärkte verlassen. Stattdessen haben planwirtschaftliche Elemente wie der Aufkauf von Staatspapieren der EZB längst die Oberhand gewonnen. Alle Krisen-Räder stehen still, wenn der starke Arm der EZB es will. Das ist vor einem früheren stabilitätsorientierten Anspruch der Geldpolitik á la Bundesbank fatal. Aber so eine Geldpolitik, so einen Luxus können wir uns heutzutage nicht mehr leisten.
Erwarten Sie, dass Griechenland im Pleitefall auch aus dem Euro aussteigt?
Eine Eurozone kann ein Pleiteland nicht weiter als Mitglied führen. Dann würden selbst die Politiker, die im Augenblick die Stabilitätskriterien de facto mit Füßen treten, rot, wenn sie von Stabilitätsunion sprechen. Wenn man sich den Porsche nicht mehr leisten kann, weil man pleite ist, kann man auch keinen mehr fahren.
Was würde eine mögliche Pleite Griechenlands für die Zukunft des Euro bedeuten: Wäre die Gemeinschaftswährung dann noch zu retten?
Der Euro ist ohne Griechenland stabiler als mit Griechenland. Oft werden die falschen Fragen gestellt. Man muss abwägen, was der geringere Preis ist, der gezahlt werden muss. Man muss nicht fragen, welchen Schaden der Grexit, sondern was der Verbleib anrichtet. Der Verbleib eines Landes mit einer Regierung, die unverhohlen für Staatschulden, deren spätere Streichung, Reformunfähigkeit und die Wiederbelebung einer quasi-sozialistischen Staatsauffassung hat wehrkraftzersetzende Wirkung auf die Eurozone. Bleibt Griechenland mit dieser Regierung in der Eurozone wird ein dicker Sargnagel in die Eurozone eingeschlagen. Ich übertreibe nicht.
Was bringt es, wenn die politische Schlacht um den Zusammenhalt der Euro-Familie zwar gewonnen ist, aber der finanz- und wirtschaftspolitische Krieg verloren wird? Nichts!
Viele Politiker befürchten bei einem Zerfall des Euro auch ein Ende der europäischen Einigung. Zu Recht?
Ich persönlich bin im Dreiländereck Niederlande-Belgien-Deutschland groß geworden. Ich bin grundsätzlich ein glühender Anhänger Europas. Wenn es Europa nicht gäbe, müsste es erfunden werden. Aber der Eurozonale Anzug ist oft genug entweder zu groß oder zu klein, aber er passt nicht. Es ist müßig, sich an die gute alte Zeit zu erinnern, aber wie herrlich war doch das alte Europäische Währungssystem EWS. Dieses System mit Staatenbund im Sinne einer Wertegemeinschaft ohne gemeinsame Währung und stattdessen mit atmenden Währungsrelationen zur Anpassungsmilderung von volkswirtschaftlichen Problemen war fabelhaft. Aber es wurde eben aufgegeben. Wir müssen mit dem klar kommen, was wir haben. Aber das sage ich auch sehr klar: Ist der Euroraum nicht willig, seine finanz- und wirtschaftspolitischen Hausaufgaben zu machen - wie dies im Augenblick der Fall ist - wird die Eurozone vom Zahn der Finanzgeschichte aufgefressen. Daher wäre es ja auch so wichtig, in punkto Griechenland Konsequenzen zu ziehen.
Neben Griechenland droht im laufenden Jahr ja noch eine andere Belastung: Viele Beobachter erwarten inzwischen, dass die Fed im September die Zinswende nach oben einleiten könnte. Wie würde sich ein solcher Schritt auf die US-Börsen auswirken und wie auf den DAX?
Für mich ist entscheidend, wie die Leitzinswende abläuft. Würde sie wie zwischen 2004 und 2006 als massive zinsrestriktive Wende stattfinden, wäre das für die US-Börsen und den DAX wie eine schmerzhafte Zahnwurzelbehandlung. Ich erwarte ab September aber eher eine Zahnreinigung, die Marktschmerzen begrenzt. Die Fed will der US-Wirtschaft nicht ihre Exportchancen durch starke Zinserhöhungen nehmen, die den US-Dollar aufwerten ließen. Außerdem haben neben dem IWF zuletzt ebenso die Weltbank die Gefahren einer US-Leitzinswende für die Volkswirtschaften in den Schwellenländern betont. Sie könnte zu einem investitionsunfreundlichen Kapitalabzug in die USA führen. Über die globale Bedeutung ihrer Zinspolitik ist sich die US-Notenbank sehr bewusst. Dies ist auch ein Grund, warum sich Fed-Präsidentin Janet Yellen in ihren Zinsäußerungen nach allen Seiten biegsam - wie eine Schlangenfrau - zeigt. Sie will sich alle Zins-Hintertürchen offen halten. Wie in der Werbung werden die Finanzmärkte ausrufen: Frau Yellen hat ja gar nicht gebohrt.
Wo sehen Sie den DAX also zum Jahresende?
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Wie sollten sich Anleger auf ein solches Szenario aus Griechenland und möglicher Zinswende einstellen: in defensive Werte umschichten oder doch auf Anleihen setzen?
Defensive Werte mit ihrer langfristig stabilen Dividendenphantasie mag ich ohnehin. Sie sind für mich die Ersatzbefriedigung von Zinspapieren, die aus dem Weltspartag den Volkstrauertag gemacht haben. In der aktuell unsicheren Zeit halte ich zunächst die konsequente Weiterführung von Aktiensparplänen für wichtig. Sollten die Griechen austreten, würde ich nach einer starken Kurskonsolidierung massiv einsteigen. Denn dann ginge es nach oben. Dann haben auch deutsche Zykliker Phantasie. Denn rund um den Globus arbeiten die Notenbanken an einer weltkonjunkturellen Stützung.
Und den Goldanteil im Depot erhöhen?
Ein ganzes Arsenal an Argumenten spricht theoretisch für steigende Goldpreise. Doch die Praxis sieht anders aus. Nach seinem Hochstand im Jahr 2011 von 1.900 US-Dollar je Unze dümpelt Gold aktuell um 1.200 herum. Sind die Anlegerinnen und Anleger etwa auf ihren Edelmetall-Ohren taub?
"Schuld" daran sind die Notenbanken. Sie sind nicht nur perfekte Zinsdrücker, nein sie sind auch erfolgreiche Goldpreisdrücker. Das machen sie allerdings nicht selbst. Das lassen sie von "befreundeten" Geschäftsbanken über die Terminmärkte machen. Wie wollen wir es nennen: Einflussnehmende Manipulation oder manipulative Einflussnahme?
Wie auch immer, aus Sicht der Notenbanken macht das Ganze Sinn. Denn die Rettung des Weltfinanzsystems wird mit "Geld" betrieben. Da kann man keine Konkurrenzwährung "Gold" gebrauchen, die die Wirkung der geldpolitischen Rettungsmission ähnlich einschränken würde wie eine mit Selters verdünnte Bowle die Stimmung auf einer Party.
Vor diesem Hintergrund wird Gold keine massive Kursbefestigung wie zwischen 2008 bis 2012 erleben können, so sehr sie auch fundamental gerechtfertigt wäre. Umgekehrt ist aber auch kein Niedergang des Goldpreises zu erwarten. Je nach Gemengelage sind kleinere Aufwärtsbewegungen möglich.
Mir geht es grundsätzlich um die Werterhaltungsfunktion von Gold. Die mangelnde Dynamik des Goldpreises stört mich überhaupt nicht. Physisches Gold war, ist und bleibt eine grundsätzlich solide Vermögensversicherung gegen finanz- und geopolitische Risiken. Denn für das süße Gift der Schuldenfrönerei mit geldpolitischem Segen werden wir irgendwann die Rechnung präsentiert bekommen. Volkswirtschaften - auch die der Europäischen Schuldenunion - können ohne Wirtschaftsreformen längerfristig nicht überleben. Daran können auch die Laborversuche der EZB nichts ändern. Wurden die großen Staatsschulden der Vergangenheit denn jemals zurückgezahlt? Nein, Staatspapiere waren am Ende immer wieder tatsächlich nur Papier. Gold dagegen hat alle Krisen seit Adam und Eva überlebt und seinen Wert erhalten: Im alten Rom bekam man für eine Goldunze eine ordentliche Toga und heute einen guten Maßanzug.
Bei Gold zählt vor allem der langfristige Besitz, nicht die kurzfristige Rendite! Wenn wir in der Eurozone so weiter machen, werden wir noch dankbar sein, neben Aktien und Immobilien auch Gold zu besitzen. Gold ist eine harte Währung, eine Versicherung, die nicht ausfällt, schon gar nicht im systemischen Schadensfall. Den dicken Schinken beim Metzger oder den Sack Kartoffeln beim Bauern wird man gegen Gold dann immer noch bekommen. Mit den Staatspapieren kann man immerhin noch den Kamin anzünden.
Ist es nicht sonderbar, dass die Notenbanken weltweit zu den von ihnen subventionierten Preisen selbst Gold kaufen. Sie werden wissen warum!
Gegen einen Edelmetallanteil in der Vermögensdisposition von um die 10 Prozent ist nichts einzuwenden.
M.M. Warburg-Chefvolkswirt Carsten Klude: Einen Crash erwarten wir nicht
Die Gläubiger haben Griechenland in den Verhandlungen zur Rettung des pleitebedrohten Landes gerade die Gelb-Rote Karte gezeigt. Der IWF hat sich am Donnerstag aus den Verhandlungen zurückgezogen. Zugleich mahnte EU-Ratspräsident Donald Tusk mahnte die Regierung in Athen, die Zeit für Spielchen sei vorbei. Ist das alles nur Verhandlungstaktik, oder läuft die Zeit für eine Einigung mit Griechenland jetzt wirklich endgültig ab?
Zeitlich gesehen wird es immer enger, noch zu einer Einigung mit Griechenland zu kommen, da das Land am 30. Juni knapp 1,6 Milliarden Euro an den IWF überweisen muss. Damit Griechenland an neue Gelder kommt, muss jedoch das auslaufende Rettungsprogramm verlängert werden, wozu der Bundestag vorher noch seine Zustimmung geben muss. Von daher müsste vor dem 30. Juni eine Einigung erzielt werden.
Da die griechische Regierung ihr Taktieren bis zuletzt fortgesetzt hat und wichtige Forderungen der Kreditgeber weiterhin ablehnt, ist davon auszugehen, dass es auch auf Seiten der EU bzw. des IWF zur Verhandlungstaktik gehört, auf die eigenen Positionen zu pochen.
Und der Showdown kommt am Donnerstag beim Treffen der Euro-Finanzminister?
Nicht unbedingt, denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein Kompromiss erst in allerletzter Sekunde gefunden werden wird. Von daher könnten sich die Verhandlungen noch bis zum Wochenende des 27. und 28. Juni hinziehen.
Wir halten an unserem Kursziel von 12.900 Punkten zum Jahresende derzeit fest. Die Argumente: Konjunkturerholung in der Eurozone und der Welt sowie die immer noch moderate Bewertung des DAX mit einem derzeitigen KGV von rund 13."
Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit für eine Pleite Griechenlands aktuell ein?
Die große Frage ist, ob es wirklich eine von vielen vermutete spieltheoretisch motivierte Handlungsstrategie der Griechen ist oder ob das Vorgehen eher ein Zeichen von Dilettantismus, gepaart mit hoffnungsloser Selbstüberschätzung ist. Vermutlich können nicht einmal die direkt betroffenen Verhandlungsteilnehmer auf der Seite der sog. Institutionen diese Frage mit hinreichender Sicherheit beantworten. Allerdings hat das Verhalten der griechischen Regierung in den letzten Tagen dazu geführt, dass die Wahrscheinlichkeit eines wie auch immer gearteten "Graccidents" auf knapp 50% angestiegen ist. Das scheinbar ziellose Taktieren und Lavieren erscheint zumindest einem externen Beobachter irrational und passt nicht in Verhaltensmuster anderer Länder in vergleichbaren Fällen
Was würde eine mögliche Staatspleite für die Aktienmärkte bedeuten?
Einen Crash erwarten wir nicht, allerdings könnte es in diesem Fall zu einer länger andauernden Phase von Marktturbulenzen kommen, falls die Marktteilnehmer darauf setzen, dass auch andere Länder in der Eurozone im Zweifelsfall ähnliche Probleme bekommen könnten wie Griechenland. Rein ökonomisch gesehen ist Griechenlands Bedeutung für die Eurozone bzw. für den Rest der Welt jedoch sehr überschaubar, die griechische Wirtschaftsleistung entspricht ungefähr der von Hamburg und Schleswig-Holstein. Zudem sind ehemalige Krisenländer wie Spanien und Irland dabei, in diesem Jahr zu den Wachstumsmotoren der Eurozone zu werden, und auch in Italien und Portugal hat sich die ökonomische Lage entspannt. Von daher dürften die Schuldenquote in diesem Jahr erstmals wieder sinken. Da heute auch andere institutionelle Rahmenbedingungen vorhanden sind als während der europäischen Schuldenkrise von 2011 und 2012 halten wir eine Eskalation an den Kapitalmärkten für sehr unwahrscheinlich.
Einige Beobachter halten mit Blick auf Griechenland sogar eine Entwicklung wie nach der Lehman-Pleite für möglich. Teilen Sie diese Einschätzung?
Nein. Im Unterschied zur Lehman-Pleite ist diesmal die fundamentale Situation in den meisten Volkswirtschaften stabiler. 2008 befand sich die Weltwirtschaft schon vor Lehman im Abschwung, der durch die dann ausgelösten Verwerfungen zu einer schweren Rezession in den USA und dann auch im Rest der Welt führte. Eine schwere Rezession bzw. Depression in Griechenland hätte nicht diese globalen Auswirkungen, sondern wäre vor allem auf Griechenland selbst beschränkt.
Erwarten Sie, dass Griechenland im Pleitefall auch aus dem Euro aussteigt?
Ja, ein Verbleib im Euroraum würde ökonomisch gesehen für das Land keinen Sinn machen.
Was würde eine mögliche Pleite Griechenlands für die Zukunft des Euro bedeuten: Wäre die Gemeinschaftswährung dann noch zu retten?
Ein Austritt Griechenlands könnte sich möglicherweise sogar als eine Art Befreiungsschlag erweisen, weil die Eurozone damit ihr schwächstes Mitglied verliert und allen potenziellen Aussteigerparteien vor Augen geführt wird, wie desaströs die Auswirkungen eines Exit sind.
Viele Politiker befürchten bei einem Zerfall des Euro auch ein Ende der europäischen Einigung. Zu Recht?
Nein. Trotz der Probleme rund um Griechenland ist die Eurozone gerade für viele osteuropäische Länder sehr attraktiv geblieben, auch und gerade weil die politischen Unsicherheiten gegenüber Russlands stark zugenommen haben. Insofern überrascht es auch nicht, dass gerade die baltischen Länder oder Slowenien zu denjenigen gehören, die eher wenig Kompromiß bereit gegenüber Griechenland sind.
Neben Griechenland droht im laufenden Jahr ja noch eine andere Belastung: Viele Beobachter erwarten inzwischen, dass die Fed im September die Zinswende nach oben einleiten könnte. Wie würde sich ein solcher Schritt auf die US-Börsen auswirken und wie auf den DAX?
Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass der erste Zinsschritt zwar im Vorfeld die Börsenentwicklung belastet, es aber mit der ersten Zinserhöhung normalerweise dann wieder zu steigenden Kursen kommt. Schließlich ist eine Zinserhöhung immer auch ein Signal für eine positive Konjunkturentwicklung. Erst wenn die Leitzinsen ein höheres Niveau erreicht haben und damit die wirtschaftliche Aktivität dämpfen, wird es für die Börsen schwierig. Gefahr droht dann, wenn eine neue Rezession droht, weil dann normalerweise auch die Unternehmensgewinne sinken.
Wo sehen Sie den DAX also zum Jahresende?
Wir halten an unserem Kursziel von 12.900 Punkten zum Jahresende derzeit fest. Die Argumente für diese positive Einschätzung: Konjunkturerholung in der Eurozone und der Welt sowie die immer noch moderate Bewertung des DAX mit einem derzeitigen KGV von rund 13.
Fiduka-Vermögensverwalter Gottfried Heller: Ein Grexit könnte sich als heilsam erweisen
Herr Heller, die Gespräche mit Athen zur Lösung der Schuldenkrise sind am Sonntag vorläufig gescheitert. Schon am Donnerstag hat sich der IWF aus den Verhandlungen zurückgezogen und Athen die Gelb-Rote Karte gezeigt. Ist das alles nur Verhandlungstaktik, oder läuft die Zeit für eine Einigung mit Griechenland jetzt wirklich endgültig ab?
Die Gelb-Rote Karte hätte den Griechen schon längst gezeigt werden müssen. Nach all den neuerlichen Fouls, die die Tsipras-Regierung seit Januar begangen hat, wäre jetzt der Platzverweis überfällig. Aber da Kanzlerin Merkel immer wieder betont, Griechenland müsse im Euro bleiben, hat sie den Griechen eine Bestandsgarantie gegeben. Damit hat sie Deutschland und die europäischen Partner in eine verhandlungstaktisch unsinnige und erpressbare Position gebracht. Kein Wunder, dass in diesem Katz- und Mausspiel die Rollen vertauscht wurden: Die griechische Maus spielt mit der europäischen Katze und macht sie täglich lächerlich.
Nach all den neuerlichen Fouls, die die Tsipras-Regierung seit Januar begangen hat, wäre jetzt der Platzverweis überfällig."
Griechenland hat sich mit Lug und Trug in den Euro gemogelt. Das Land war nicht für den Euro qualifiziert und es hat sich nie an die Bedingungen der Mitgliedschaft angepasst. Es hat weder den politischen Willen zu Reformen noch die institutionelle Einrichtungen, solche umzusetzen.
Der Euro leidet - noch mehr als unter seiner Fehlkonstruktion - unter seiner Fehlbesetzung. Mit der jetzigen Mannschaft werden wir im globalen Spiel nie in der Champions-League mitspielen.
Und der Showdown kommt am Donnerstag beim Treffen der Euro-Finanzminister?
Als Schauspiel - besonders fürs Wahlvolk der Gläubiger - wird es diesen Showdown geben. Die politischen Hauptakteure haben nicht den Mut, das für die europäischen Gläubiger teure Abenteuer zu beenden. So hat Angela Merkel beispielsweise kürzlich in einem Gespräch mit Schülern freimütig bekannt, dass sie nie sonderlich mutig gewesen sei.
Stattdessen wird wahrscheinlich wieder ein fauler Kompromiss herauskommen, den jede Seite als Erfolg darstellt, der aber das Papier nicht wert ist, auf dem er niedergeschrieben wurde.
Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit für eine Pleite Griechenlands aktuell ein?
Griechenland war technisch schon 2010 und wieder 2012 insolvent. Es wurde vor der Pleite nur durch den Bruch des Maastricht-Vertrags bewahrt - ein Fall von Konkursverschleppung. Wenn ich das selbstsichere Auftreten von Ministerpräsident Tsipras und die aufreizende Arroganz seines Finanzministers Varoufakis betrachte, beschleicht mich der Verdacht, dass die trickreichen Griechen etwas im Schilde führen. Ich frage mich, warum sie nicht schon längst Kapitalverkehrskontrollen eingeführt haben, um den Transfer von Milliarden von Euros ins Ausland zu stoppen, eine Maßnahme, die Zypern seinerzeit ergriffen hat? Oder warum der angebliche Reformer Tsipras die Milliarden Euros auf Schweizer Konten von namentlich bekannten Steuersündern nicht schon längst nach Griechenland zurückgeholt hat? Stattdessen können griechische Bürger und Unternehmen weiter Kredite bei Banken aufnehmen und ins Ausland überweisen.
Könnte es sein, dass griechisches Privatvermögen in Euro ins Ausland geschafft wird oder dort verbleibt, um vor dem Zugriff des Staats geschützt zu sein, während die europäischen Steuerzahler und die EZB fleißig Euros nach Griechenland schicken, um den Staat vor der Pleite zu bewahren? Auf diese Weise könnte sich Griechenland einen Schuldenschnitt verschaffen, um danach eine Parallelwährung einzuführen aber den Euro für bestimmte Zwecke zu behalten.
Was würde eine mögliche Staatspleite für die Aktienmärkte bedeuten?
Extreme Reaktionen an den Börsen gibt es nur, wenn etwas völlig Unerwartetes eintritt. Doch ein Ereignis, dessen Eintritt die Medien schon seit Monaten beschreiben, wird nicht zu einem Crash führen. Einige Hedgefonds und Spekulanten könnte es auf dem falschen Fuß erwischen und es könnte für einige Zeit Turbulenzen geben aber die Weltwirtschaft wird eine griechische Staatspleite nicht aus den Angeln heben. Wenn sich der Staub gelegt hat, würde die Hausse dank günstiger wirtschaftlicher und monetärer Voraussetzungen weitergehen.
Einige Beobachter halten mit Blick auf Griechenland sogar eine Entwicklung wie nach der Lehman-Pleite für möglich. Teilen Sie diese Einschätzung?
Der Vergleich, dass eine Pleite Griechenlands ähnlich dramatische Folgen haben könnte wie die Pleite von Lehman 2008, ist dummes Zeug. Bevor seinerzeit Lehman Pleite ging, musste die Investmentbank Bear Stearns in einer dramatischen Rettungsaktion übers Wochenende von der großen US-Bank J.P. Morgan Chase übernommen werden, um so eine Pleite zu verhindern. Der Fed-Chef Bernanke eröffnete damals den Teilnehmern einer internationalen Konferenzschaltung, dass die Finanzmärkte vor einer Kernschmelze stünden und dass Bear Stearns, völlig überschuldet, Terminkontrakte und Derivate in Höhe von 2,5 Billionen US-Dollar mit Kunden und Kontrahenten rund um den Globus halte. Man befürchtete einen weltweiten Run auf die Banken. Nur Wochen später kam die größere Lehman Bank mit einem noch größeren Sack voll Schulden in Zahlungsnot. Diesen großen Brocken wollte niemand schlucken und so ging sie Pleite mit allen Folgen, unter denen die ganze Welt noch heute leidet.
Ganz anders der Fall Griechenland. Verglichen mit den obigen Dimensionen sind die Summen, die im Spiel sind, überschaubar. Griechische Schuldtitel sind überdies nicht international verbreitet, da seit der Nahe-Pleite 2010 den Marktteilnehmern weltweit ihre Bonität auf Ramschniveau bekannt ist und die von Privaten gehaltenen Staatstitel ohnehin schon einen gewaltigen Schuldenschnitt hinter sich haben.. Wer bei einer Pleite die größere Abschreibungen haben wird, sind die EZB und die Staaten der Eurozone. Und damit wir Steuerzahler.
Erwarten Sie, dass Griechenland im Pleitefall auch aus dem Euro aussteigt?
Das Ausscheiden Griechenlands würde die Währungsunion nicht gefährden, sondern dessen Verbleib. Je mehr Zugeständnisse an Griechenland gemacht werden, desto mehr bremst es den Reformeifer der anderen Länder und schwächt die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone.
Ein Grexit aus dem Euro könnte sich am Ende als heilsam für das europäische Projekt erweisen, weil er für alle Mitglieder eine disziplinierende Wirkung hätte und den Reformprozess und den Zusammenhalt fördern würde.
Auch wenn eine Exit-Klausel aus der Währungsunion nicht vorgesehen ist - ein großer Fehler - sollte Griechenland in der EU verbleiben dürfen. Es wurden bei der Euro-Retterei so viele schwerwiegende Vertragsbrüche begangen, dass die Korrektur eines Fehlers ein vergleichsweise harmloser und letztlich sogar löblicher Vorgang wäre.
Viele Politiker befürchten bei einem Zerfall des Euro auch ein Ende der europäischen Einigung. Zu Recht?
Die fortgesetzten Regelverstöße und die inkonsequente, wachsweiche Reaktion der Gläubiger auf die Erpressungen der Griechen könnte Großbritannien darin bestärken, aus der EU auszutreten. Ein Brexit wäre ein politisch und wirtschaftlich enormer Schaden, weil er zur Desintegration der Europäischen Union führen könnte.
Das Ausscheiden Griechenlands würde die Währungsunion nicht gefährden, sondern dessen Verbleib."
Neben Griechenland droht im laufenden Jahr ja noch eine andere Belastung: Viele Beobachter erwarten inzwischen, dass die Fed im September die Zinswende nach oben einleiten könnte. Wie würde sich ein solcher Schritt auf die US-Börsen auswirken und wie auf den DAX?
Die Anhebung der US-Zinsen ist seit über einem Jahr im Gespräch. Ein Ereignis, das so lange vorher angekündigt wird, verliert seine Schrecken. Überdies wird die Fed zunächst sehr behutsam in kleinen Schritten vorgehen. Das wird sich auf die US-Börsen und den DAX - außer ein paar Turbulenzen - nicht negativ auswirken. Wenn die Geldmarktzinsen von derzeit Null auf 0,25 oder 0,50 Prozent angehoben werden, liegen sie noch immer unterhalb der Inflationsrate. Daher werden die Marktteilnehmer den Zinsschritt eher begrüßen als befürchten. Sollten die inflationären Erwartungen stärker zunehmen, weil die Konjunktur Fahrt aufnimmt und die Ölpreise steigen, wäre die Fed gezwungen, die Zinsen rascher und stärker anzuheben. Das würde die Märkte viel mehr stören.
Wo sehen Sie den DAX also zum Jahresende?
Mir genügt es, zu wissen, dass alle Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Hausse gegeben sind und daher nach Ende der jetzigen Korrektur die Hausse weitergehen wird. Wer glaubt, den exakten Punktestand des DAX voraussagen zu können, ist entweder unerfahren oder unseriös. Für mich ist diese Zahl irrelevant.
Wie sollten sich Anleger auf ein solches Szenario aus Griechenland und möglicher Zinswende einstellen: in defensive Werte umschichten oder doch auf Anleihen setzen?
Die Anleger sollten ein international breit gestreutes Depot anlegen. In meinem in Kürze in 5. Auflage erscheinenden Buch "Der einfache Weg zum Wohlstand" habe ich ausführlich auch anhand von Beispielen mit ausgewählten Aktien und ETFs beschrieben, wie ein Wertpapierdepot mit Sicherheitsnetz strukturiert werden muss. Dabei sollten solide, langfristig überdurchschnittlich rentierende Aktien bevorzugt werden: Das sind Substanz-Aktien mit meist hoher Dividende, sowie Nebenwerte und Schwellenländer-Aktien. Das ergibt ein ertragsstarkes, risikominimiertes Vermögenspaket, das dazu den Vorteil bietet, dass es keine häufigen Umschichtungen erfordert. Anleihen würde ich meiden, vor allem Staatsanleihen. Wenn überhaupt, kommen Industrieanleihen, Pfandbriefe und Anleihen von Schwellenländern - in Form von Fonds oder ETFs - in Frage.
Und den Goldanteil im Depot erhöhen?
Anstelle von Gold würde ich inflationsindexierte, globale Anleihen-ETFs bevorzugen.