Die Börsianer könnten die Fülle der Hiobs-Botschaften nicht mehr angemessen verarbeiten, sagte Portfoliomanager Thomas Böckelmann vom Vermögensverwalter Euroswitch. "Vielmehr wird der Ur-Fluchtinstinkt geweckt, der mittlerweile skurrile Züge annimmt, ob vor dem Supermarktregal oder an den Börsen." Der EuroStoxx50 büßte neun Prozent ein und notierte mit 2939,85 Zählern ebenfalls so niedrig wie zuletzt Anfang 2019.
Auch die Wall Street in New York öffnete mit einem Minus von knapp sieben Prozent. Der Handel wurde nach Beginn sogar kurz ausgesetzt. In Italien, wo derzeit Millionen Menschen von Quarantänemaßnahmen betroffen sind, brach die Börse um mehr als elf Prozent ein. Der MSCI-Weltindex fiel um mehr als fünf Prozent und steuerte damit auf den größten Rückgang seit der Finanzkrise 2008 zu. "Gegenwärtig bestimmt die blanke Angst die Entwicklung an den Märkten", sagte Etsy Dwek, Chef-Anlagestrategin beim Vermögensverwalter Natixis. Der März dürfte schwierig bleiben. "Allerdings erwarten wir weitere geld- und fiskalpolitische Stimuli in den USA und Europa." Dies werde die Märkte mittelfristig stabilisieren.
DAS ENDE DER ERDÖL-FÖRDERBREMSE
Am Wochenende hatte Saudi-Arabien als Reaktion auf die russische Blockade einer weiteren Drosselung der Ölförderung Preise gesenkt und eine Ausweitung der Produktion angekündigt. Daraufhin brach der Preis für die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee um bis zu 31,5 Prozent auf 31,02 Dollar je Barrel (159 Liter) ein und steuerte auf den größten Tagesverlust seit dem Golfkrieg 1991 zu. Dem Terminkontrakt auf die US-Sorte WTI drohte mit einem Rückgang von bis zu 33,8 Prozent das größte Minus seiner fast 40-jährigen Geschichte. Der Ölpreiskrieg sei zum nächsten "schwarzen Schwan" an der Börse geworden, sagte Jochen Stanzl, Marktanalyst beim Brokerhaus CMC Markets - mit diesem Begriff bezeichnen Börsianer ein seltenes, unvorhersehbares Ereignis mit großen Auswirkungen. Er berge potenzielle Kreditrisiken.
Viele Ölfirmen sind auf höhere Preise angewiesen, um wirtschaftlich fördern zu können. Entsprechend fielen die Aktien europäischer Ölkonzerne wie BP und Shell um jeweils mehr als ein Fünftel, die Total-Papiere verloren gut 15 Prozent. Der Index für die europäischen Öl- und Gaswerte fiel daraufhin um fast 17 Prozent auf ein 23-Jahres-Tief von 204,69 Punkten. Eine weitere Gefahr drohe von den Schieferöl-Produzenten in den USA, warnte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. Sie seien stark verschuldet und hätten relativ hohe Förderkosten. Schieferöl-Förderer wie Marathon oder Devon verbuchten Kursstürze von gut einem Drittel.
Auch Unternehmensanleihen standen auf den Verkaufslisten. Entsprechend schnellten die Renditen und die Kosten für die Kreditausfallversicherungen in die Höhe. Ein entsprecher Index, in dem Papiere mit schlechter Bonität zusammengefasst sind, schnellte um ein Drittel nach oben.
"SICHERE HÄFEN" GEFRAGT - AUSVERKAUF BEI ITALIEN-BONDS
Vor diesem Hintergrund flohen Anleger in "sichere Häfen" wie Gold. Die "Antikrisen-Währung" war mit 1702,56 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) zeitweise so teuer wie zuletzt vor gut sieben Jahren. Staatsanleihen waren ebenfalls gefragt. Dadurch fielen die Renditen der zehnjährigen Titel aus den USA und Deutschland auf Rekordtiefs von plus 0,318 Prozent und minus 0,909 Prozent. Im hoch verschuldeten Italien stieg die Rendite der zehnjährigen Bonds dagegen auf plus 1,384 von 1,079 Prozent. Zuvor hatte die Regierung in Rom den bei Urlaubern beliebten und wirtschaftlich starken Norden des Landes wegen des Coronavirus praktisch komplett abgeriegelt.
Diese Maßnahme versetzte den Touristik-Werten einen weiteren Schlag. Der europäische Branchenindex fiel um 7,7 Prozent auf ein Fünfeinhalb-Jahres-Tief von 186,35 Punkten. Damit summiert sich sein Minus der vergangenen Wochen auf fast 30 Prozent. Das ist der größte Kursrutsch seiner Geschichte.
DOLLAR UND ROHSTOFF-WÄHRUNGEN UNTER DRUCK
Am Devisenmarkt fiel der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, auf ein Eineinhalb-Jahres-Tief von 94,65 Prozent. "Es sieht sehr wahrscheinlich aus, dass die Weltwirtschaft in den kommenden Monaten in eine Rezession abgleitet", sagte Rupert Thompson, Investment-Chef bei der Vermögensverwaltung Kingswood. "Die gute Nachricht ist, dass die Behörden reagieren." Investoren rechnen inzwischen damit, dass die US-Notenbank Fed den Leitzins auf ihrer Sitzung in der kommenden Woche um einen weiteren vollen Prozentpunkt senkt. Sie hatte den Zins bereits vergangene Woche überraschend um einen halben Prozentpunkt herabgesetzt. Gleichzeitig wetten sie auf eine Zinssenkung um einen halben Prozentpunkt durch die Bank von England (BoE) Ende März und auf insgesamt drei Herabsetzungen des Einlagensatzes durch die Europäischen Zentralbank (EZB) bis Oktober.
rtr