Die Türkei wird beim Automatischen Informationstausch (AIA) am 30. September erstmals Daten von Bankkunden an die deutsche Finanzverwaltung melden. Steuerexperte Christopher Arendt erklärt, was Anleger  mit Konten und Depots in der Türkei  jetzt beachten sollten
Von Stefan Rullkötter


€uro: Wird die Türkei zum Meldestichtag 30.9. im gleichen Umfang wie die übrigen 107 AIA-Teilnehmerstaaten Daten an den deutschen Fiskus transferieren?
Christopher Arendt: Ich gehe davon aus, dass die Türkei zum 30. September die Daten dem Bundeszentralamt für Steuern übermitteln wird. In den vergangenen Jahren wurden unterlassene Meldungen an einzelne AIA-Teilnehmerstaaten, darunter Deutschland, mit technischen Schwierigkeiten begründet. Laut einem neuen Dekret des Präsidenten Erdogan vom 31. Mai 2021, in dem die Vollziehung angekündigt wird, ist es der Türkei wohl gelungen, diese zu beheben.

Welche Zeiträume meldet die Türkei?
Das ist weiterhin unklar. Die Regelmeldung würde ausschließlich Daten für 2020 enthalten. In dem Dekret wird aber auch das Jahr 2019 genannt. Es besteht also die Möglichkeit, dass die Türkei zum Stichtag 30.September die Jahre 2019 und 2020 meldet.

Welche in Deutschland steuerpflichtigen Bürger sind konkret betroffen?
Grundsätzlich Personen die unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft einen Wohnsitz oder ihren ständigen Aufenthalt in Deutschland haben und insbesondere ein Konto oder Depot in der Türkei unterhalten. Der Datenaustausch findet gegenseitig statt, sodass auch die Türkei entsprechende Informationen aus Deutschland erhält.

Ist diese Personengruppe für dieses Thema ausreichend sensibilisiert?
Tatsächlich wird man konstatieren müssen, dass eine größere Anzahl von Deutschen oder in Deutschland lebende Personen einen starken Bezug zur Türkei aufweist. Ich gehe davon aus, dass viele Deutschtürken ein Leben in beiden Staaten führen, jedenfalls dürfte deren subjektive Wahrnehmung unabhängig von dem konkreten Aufenthalt so ausfallen. Es ist also. denkbar und wahrscheinlich, dass diese Personen auch ein Bank-Konto in der Türkei unterhalten oder aber Schenkungen und Erbschaften von türkischen Familienmitgliedern erhalten haben bzw. werden. Viele der möglicherweise betroffenen Personen dürften noch gar nicht dafür sensibilisiert sein, dass in der vorbeschriebenen Situation möglicherweise eine deutsche Steuerpflicht bestehen kann, schließlich hat die Türkei den Vorgang regelmäßig bereits der Versteuerung,etwa Zinsen, Mieten, Erbschaftsteuer, unterworfen - für viele besteht in diesem Zusammenhang auch gar kein "deutscher Bezug" - ergo auch keine deutsche Steuerpflicht zu den/für die Vermögenswerte(n) im Ausland.

Könnten in den Zusammenhang noch andere "Altlasten" existieren?
Um das Jahr 2000 gab es über die damalige Dresdner Bank eine Kooperation mit der türkischen Nationalbank. Investitionen in der Türkei wurden damals offensiv beworben und zweistellige Zinserträge in Aussicht gestellt. Als die deutschen Steuerbehörden draufkamen, gab es bereits eine beträchtliche Anzahl von Steuerstrafverfahren gegen Kapitalanleger in der Türkei.

Ist eine Selbstanzeige immer ratsam?
Nicht jeder Anleger, der von der Teilnahme der Türkei am Informationsaus- tausch potenziell betroffen ist, muss eine Selbstanzeige abgeben. Dieser Schritt hängt von mehreren, in jedem Einzelfall zu prüfenden Faktoren ab. Geringe Beträge können in Deutschland möglicherweise in den Bereich der steuerlichen Freibeträge oder unten Freigrenzen liegen, so dass möglicherweise keine Steuer in Deutschland ausgelöst wird und sich damit auch die nachfolgenden Überlegungen erübrigen. Neben der steuerlichen Prüfung ist auch eine strafrechtliche Überprüfung geboten, um daraus die zweckmäßigen Folgeschritte abzuleiten. Hier stellen sich neben Fragen des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit auch solche der Verjährung. Ist etwa bereits eine Verjährung eingetreten.

Selbstanzeigen sind nur wirksam, wenn die Tat bei deren Abgabe "noch nicht endeckt ist". Was ist in dem Zusammenhang zu beachten?
Sobald die Behörden Kenntnis von den nicht erklärten und steuerrelevanten Einnahmen haben, ist die Tat entdeckt ist und die Selbstanzeige verliert ihre strafbefreiende Wirkung. Im Kern wird es für die Frage der Tatentdeckung auf den Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige ankommen. Vor dem Datenaustausch wird man beim Beispiel der Türkei grundsätzlich davon ausgehen können, dass keine Tatentdeckung vorliegt.

Welcher Zeitpunkt ist hier entscheidend?
Ob bereits die automatische Meldung aus der Türkei zum Bundeszentralamt für Steuern zu einer Tatentdeckung führt, wird immer wieder diskutiert. Nach meiner Auffassung dürfte eine Selbstanzeige aber nichtsdestotrotz noch wirksam sein, da das Merkmal der Tatendeckung auch eine Auswertung dieser Daten durch die Behörden verlangt. Wenn diese Daten dann ausgewertet werden - hier ist wohl spätestens der Abgleich mit den Steuererklärungen des Betroffenen aus der Vergangenheit gemeint- wird man hingegen regelmäßig von einer Tatentdeckung ausgehen müssen. Von dieser behördeninternen Überprüfung wird der Betroffene erst zeitlich nachgelagert erfahren, nämlich wenn er Post vom Finanzamt erhält. Zu welchem Zeitpunkt eine Auswertung stattfindet, entzieht sich der Kenntnis des Betroffenen. Das erhöht das Risiko einer unwirksamen Selbstanzeige deutlich.

Womit müssen Bezieher von deutschen Sozialleistungen rechnen, die bisher ihre in der Türkei erzielte Kapitaleinkünfte dem deutschen Fiskus verschwiegen haben?
Hier stellen sich allgemeine strafrechtliche Fragen. Fakt ist, dass sich die strafbefreiende Wirkung durch eine wirksame Selbstanzeige nicht auf andere außersteuerliche Straftaten erstreckt. Das bedeutet, selbst wenn die Selbstanzeige wirksam ist und insoweit zur Straffreiheit führt, kann ein Strafverfahren im Zusammenhang mit dem unberechtigten Bezug von Sozialleistungen drohen.

Zur Person: Christopher Arendt ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht . Der Geschäftsführer der Sozietät Acconsis in München ist auf die Beratung in steuerstrafrechtlichen Fragen spezialisiert.
Mehr zu den Themen Schwarzgeld, automatischer Informationsaustausch und Kampf gegen Geldwäsche lesen Sie in der neuen Ausgabe des €uro-Magazin, ab 18. August im Handel erhältlich oder hier in der digitalen Ausgabe: https://shop.finanzenverlag.de/products/euro-09-2021-digital