Ende September melden 108 Staaten wieder Informationen über Auslandskonten und -depots an den deutschen Fiskus – erstmals auch die Türkei. Wer ins Visier der Fahnder gerät Von Stefan Rullkötter

Recep Tayyip Erdogan zeigt derzeit zwei Gesichter. Im Inland lässt der türkische Präsident fünf Fernsehsender, die ihn in Berichten über die verheerenden Waldbrände als Krisenmanager schlecht aussehen ließen, bestrafen.

International versucht er es dagegen seit dem Ende der Trump-Präsidentschaft mit einer Charmeoffensive. So stimmte Erdogan Ende Mai per Staatsdekret zu, dass die Türkei ab sofort voll am automatischen Informationsaustausch (AIA) teilnimmt. Damit sollen unversteuerte Kapitalanlagen weltweit enttarnt werden.

Am Stichtag 30. September wird das Land mit 108 weiteren Staaten Daten zu Auslandskonten und -depots austauschen. Schon 2014 wurde zunächst zwischen 51 Ländern per Abkommen vereinbart, auf diese Weise Steuerausfälle und Steuerhinterziehung effektiver zu bekämpfen. Die Türkei war dem AIA zwar bereits 2017 beigetreten, hatte seitdem unterlassene Meldungen an einzelne Teilnehmerstaaten, darunter Deutschland, aber stets mit "technischen Schwierigkeiten" begründet.

Umfangreiche Datensammlungen

Die von den nationalen Finanzbehörden zu transferierenden Daten sind umfangreich: Neben den Stammdaten von Bankkunden mit Wohnsitz im Ausland - darunter Name, Anschrift, Geburtsdatum, Steueridentifikations- und Kontonummern - müssen Jahresendsalden von Konten, Zins- und Dividendenerträgen sowie Erlöse aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien, Anleihen und Fonds und anderen Wertpapieren gemeldet werden.

Die entsprechenden Informationen übermitteln müssen im Rahmen des AIA nicht nur Banken und Sparkassen, sondern auch Depotverwahrstellen, Stiftungen, Trusts im Ausland und Versicherungen. Letztere müssen zusätzlich Einnahmen ihrer Kunden aus rückkauffähigen Lebens- und Rentenversicherungen sowie Bar- oder Rückkaufswerte melden.

Die sensiblen Daten laufen zunächst bei den inländischen Steuerverwaltungsstellen auf. Zuständig in Deutschland ist das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn, das die Informationen anschließend an die Finanzämter weiterleitet.

Damit rückt hierzulande auch eine große Personengruppe stärker in den Fokus des Fiskus: Rund drei Millionen türkischstämmige Deutsche, von denen viele noch Bankverbindungen in die alte Heimat unterhalten oder in der Vergangenheit Schenkungen und Erbschaften von türkischen Familienmitgliedern erhielten.

"Viele der Betroffenen ahnen nicht, dass für sie eine Steuerpflicht in Deutschland selbst dann bestehen kann, wenn auf Zins- und Mieteinkünfte oder Erbschaften bereits in der Türkei Abgaben einbehalten wurden", warnt Christopher Arendt, Fachanwalt für Steuerrecht bei der Sozietät Acconsis in München.

Wurden Vermögenseinkünfte hierzulande nicht korrekt versteuert, können Steuernachforderungen und der Vorwurf der Steuerhinterziehung im Raum stehen. Welche Zeiträume die Türkei im Rahmen des AIA melden wird, ist noch unklar. "Die Regelmeldung würde ausschließlich Daten für 2020 enthalten. In dem Dekret wird aber auch das Jahr 2019 genannt", sagt Arendt. In der Regel werden diese Informationen der Finanzverwaltung auch Rückschlüsse auf Kontenbestände und Erträge der Vergangenheit zulassen. "Im Zweifel kann das deutsche Finanzamt Einkünfte in früheren Veranlagungsjahren sogar schätzen", warnt der Kölner Rechtsanwalt Philipp Külz.

Weitere Altlasten vor der Entdeckung

Mit der erstmaligen AIA-Meldung der Türkei an Deutschland könnten noch weitere "Altlasten" ans Tageslicht befördert werden. Um die Jahrtausendwende existierte über die damalige Dresdner Bank, die 2009 auf die Commerzbank verschmolzen wurde, eine Kooperation mit der türkischen Nationalbank. Investitionen in der Türkei wurden damals offensiv beworben und Kunden zweistellige Zinserträge in Aussicht gestellt. "Als die deutschen Steuerbehörden damals daraufkamen, gab es bereits eine beträchtliche Anzahl von Steuerstrafverfahren gegen Kapitalanleger in der Türkei", erinnert sich Anwalt Arendt, der türkischstämmige Bürger bei Selbstanzeigen berät.

Ebenfalls zu beachten: Der Datenaustausch findet gegenseitig ("bilateral") statt, sodass auch die Türkei Informationen über ihre Bürger erhält, die Konten und Depots in Deutschland haben.

Nicht jeder Anleger, der von der türkischen AIA-Meldung potenziell tangiert ist, muss aber eine Selbstanzeige abgeben. Dieser Schritt hängt von mehreren - in jedem Einzelfall zu prüfenden - Faktoren ab.

Wurden nicht nur Kapitaleinkünfte verschwiegen, sondern auch Sozialleistungen in Deutschland bezogen, stellt sich ein weiteres Problem: "Die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige erstreckt sich nicht auf außersteuerliche Straftaten", warnt Arendt. Selbst wenn diese wirksam ist und in puncto Steuerhinterziehung zur Straffreiheit führt, droht ein Strafverfahren wegen des unberechtigten Bezugs von Sozialleistungen.

Neben dem AIA versucht die deutsche Finanzverwaltung derzeit noch auf anderen Wegen, an Informationen über vernebeltes Auslandsvermögen zu kommen (siehe Interview unten).

Rekordsummen bei Steuerhinterziehung

Ein Vorgehen, das dringend geboten erscheint. Hierzulande werden nach einer aktuellen Erhebung des Bundesfinanzministeriums immer mehr Steuern hinterzogen. Die im Vorjahr mit 7153 Gerichtsurteilen und Strafbefehlen festgestellte Gesamtsumme verheimlichter Einnahmen lag bei 1,25 Milliarden Euro.

Das ist eine deutliche Steigerung gegenüber dem Jahr 2019. Damals wurden insgesamt "nur" 745 Millionen Euro hinterzogene Abgaben gerichtlich verifiziert. Überführte Straftäter mussten vergangenes Jahr neben der Nachzahlung vorenthaltener Steuern und Hinterziehungszinsen Geldstrafen von rund 45 Millionen Euro begleichen. Auffällig ist jedoch, dass die Gesamtzahl von 53 977 Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung derzeit rückläufig ist. Vor fünf Jahren lag sie noch bei 83 307 Fällen.

Ursache ist zum einen, dass strafbefreiende Selbstanzeigen mit zuletzt 5770 korrespondierenden Verfahrenseinstellungen immer seltener abgegeben werden. Die Rahmenbedingungen für dieses Rechtsinstrument sind seit 2015 immer komplexer geworden. Zum anderen schwimmen immer mehr dicke Fische im Strom der Steuerbetrüger. Sogenannte Umsatzsteuerkarusselle und Cum-Ex-Geschäfte, bei denen nicht oder nur einmal gezahlte Abgaben mehrfach erstattet wurden, verursachen massive Steuerschäden.
 

Checkliste für die Abgabe einer Selbstanzeige

Keine Vorabankündigung

Steuerpflichtige sollten eine Selbstanzeige nicht vorab telefonisch, per Fax oder E-Mail beim Finanzamt ankündigen. Später nachgereichte Erklärungen und Dokumente wirken in dieser Konstellation und unter ungünstigen Umständen nicht strafbefreiend.

Anschreiben an den Fiskus

In der "Betreff"-Zeile des Anschreibens für das Finanzamt sollten Betroffene statt "Selbstanzeige" als Überschrift besser "Berichtigung meiner Steuererklärung(en)" formulieren. Sonst könnten die Unterlagen sofort an die Straf- und Bußgeldstelle geleitet werden.

Offenlegung sämtlicher Details

Eine Selbstanzeige ist nur wirksam, wenn der Steuerpflichtige falsche Angaben vollständig berichtigt oder von ihm unterlassene Angaben nachholt. Das Finanzamt muss auf Basis der Selbstanzeige korrekt veranlagen können. Sind unversteuerte Einkünfte vorläufig nicht exakt zu beziffern, sollte dem Fiskus eine fundierte Schätzung vorgelegt und diese im Verlauf des Verfahrens konkretisiert werden.

Getrennte Abgabe bei Paaren

Zusammen veranlagte Ehegatten und amtliche Lebenspartner sollten ihre Selbstanzeigen zeitgleich, aber getrennt bei ihrem zuständigen Wohnsitzfinanzamt abgeben. Eine Selbstanzeige kann nur strafbefreiend wirken, wenn jeder Steuerpflichtige sie persönlich abgibt.

Finanzielle Obergrenzen

Seit 2015 sind strafbefreiende Selbstanzeigen auf 25 000 Euro pro Steuerjahr beschränkt, für höhere Hinterziehungsbeträge gelten Sonderregelungen, die unter dem Strich teurer sind als die geschuldeten Abgaben. Das Strafverfahren endet nur, wenn nachgezahlt wird - zunächst die fälligen Abgaben sowie weitere fünf Prozent als "Strafzahlung" auf die insgesamt hinterzogene Steuerschuld.

Ausschlussgründe beachten

Müssen Steuerhinterzieher damit rechnen, dass ihre Straftat bereits entdeckt worden ist, bleibt eine Selbstanzeige wirkungslos. Zu spät kommt sie in jedem Fall, wenn Betroffene bereits wissen, dass eine sogenannte Prüfungsanordnung der Finanzbehörden vorliegt oder ihnen die Einleitung eines Strafverfahrens amtlich bekannt gegeben worden ist. Gleiches gilt, wenn Finanzbeamte schon mit dem Durchsuchungsbeschluss vor Wohnung oder Betrieb stehen.

Strafrechtliche Verjährung

Eine Selbstanzeige erübrigt sich, wenn die Steuerstraftat verjährt ist. Die Verjährungsfrist für Steuerhinterziehung beträgt grundsätzlich fünf Jahre, in besonders schweren Fällen sind es seit Ende 2020 sogar 15 Jahre. Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe des falschen Steuerbescheids zu laufen.

Steuerrechtliche Verjährung

Die Frist für die steuerrechtliche Verjährung beträgt - in Abweichung von den strafrechtlichen Verjährungsregeln - grundsätzlich zehn Jahre ab der Bekanntgabe des falschen Steuerbescheids. Wurde überhaupt keine Einkommensteuererklärung für den relevanten Zeitraum abgegeben, kann das Finanzamt nicht gezahlte Abgaben rückwirkend für bis zu 13 Veranlagungsjahre nachfordern.
 


INTERVIEW

"Die Zeit drängt für deutsche Anleger"

Steuerbetrug in großem Stil wittern deutsche Fahnder auch in Dubai. Der Rosenheimer Steuerberater Anton Götzenberger erklärt die Hintergründe.

Börse Online: Sie haben für Ihr Sachbuch "Diskrete Geldanlagen" vor Ort in Dubai recherchiert. Was macht diesen Finanzplatz für vermögende Deutsche attraktiv?

Anton Götzenberger: Es gibt in Dubai keine Steuern auf Kapitalerträge - weder Quellensteuern noch sonstige Abgaben. Für ausländische Bankkunden ist es möglich, dort Konten und Depots zu eröffnen, ohne Wohnsitz oder Aufenthaltsgenehmigung zu haben.

Wo wird diese Dienstleistung angeboten?

In Deutschland Steuerpflichtige mit Vermögen von mehr als einer Million US-Dollar legen ihre Gelder meist im Dubai International Financial Centre (DIFC) an. Da es in Dubai nie Nummern- und Pseudonymkonten gab, mussten die im DIFC eröffneten Konten und Deptos allerdings auf den Namen der Inhaber lauten. Dies war bisher ohne Belang. Anleger konnten auf die Verschwiegenheit des Emirats vertrauen. Amts- und Rechtshilfeersuchen in Steuersachen liefen ins Leere.

Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) hat Mitte Juni in Dubai umfangreiche Datensätze über Vermögenswerte von in Deutschland steuerpflichtigen Bürgern angekauft. Wie sollten Betroffene darauf reagieren?

Wer sich auf dem vom BZSt angekauften Datenmaterial vermutet, sollte zuerst mit dem Anlageberater vor Ort Kontakt aufnehmen. Im Regelfall können die Mitarbeiter im DIFC feststellen, ob und in welchem Umfang deutsche Bankkunden konkret von dem Datenleck betroffen sind. Bei einer hohen Entdeckungswahrscheinlichkeit sollte die Abgabe einer Selbstanzeige ab sofort vorbereitet werden. Dazu müssen Bankunterlagen über die vergangenen zehn Jahre vor Ort angefordert und steuerpflichtige Erträge ermittelt werden.

Ist eine Selbstanzeige jetzt noch sinnvoll?

Die angekauften Daten aus Dubai wurden am 16. Juni zur steuerstrafrechtlichen Prüfung an die Bundesländer übermittelt. Eine Selbstanzeige ist nur wirksam, wenn die Tat bei Abgabe noch nicht entdeckt ist. Konkret bedeutet dies, dass die Daten von den Wohnsitzfinanzämtern betroffener Steuerpflichtiger noch nicht ausgewertet sein dürfen.

Die Vereinigten Arabischen Emirate nehmen am automatischen Informationsaustausch teil und melden am Stichtag 30. September auch Daten an die deutsche Finanzverwaltung. Warum kaufte das BZSt jetzt noch ergänzende Datensätze aus Dubai dazu?

Dazu müsste man wissen, welche Details das Datenmaterial enthält. Damit könnten Anleger enttarnt werden, die vor dem ersten Meldestichtag ihre Konten in Dubai gelöscht haben. Denn die Festsetzungsverjährung bei Steuerhinterziehung endet erst nach 13 Jahren.