Es ist höchst interessant, wie rasch sich Einschätzungen an den Finanzmärkten drehen können. Es ist zwar keine Zeitenwende, aber bemerkenswert sind die Vorgänge seit dem unerwarteten Brexit-Votum in Großbritannien im Anleihesegment definitiv. Denn in dessen Nachgang hat sich die Risikowahrnehmung von Investoren eindrücklich verschoben. Weiter sinkende risikolose Zinsen gepaart mit strukturellen Problemen in Europa haben dazu geführt, dass die Nachfrage nach Renditelieferanten aus den Emerging Markets gestiegen ist. Obwohl die öffentliche Wahrnehmung zu Jahresbeginn gegenüber den aufstrebenden Staaten sehr skeptisch war.
So verzeichneten Anleihefonds mit Fokus auf Schwellenländer die höchsten Zuflüsse seit Aufzeichnungsbeginn vor über zwölf Jahren. Insbesondere Unternehmensanleihen in Hartwährung erfreuen sich einer stark gestiegenen Beliebtheit, da sie weniger volatil sind als Lokalwährungsanleihen und sowohl im Bereich Investment Grade (IG) als auch High Yield (HY) attraktive Ablaufrenditen bieten. Der Prämien-Pick-up gegenüber europäischen Pendants betrug Mitte Oktober im IG-Segment immerhin ein Prozent. Es ist das Zusammenspiel aus höherer Rendite bei vergleichbarem Risikoprofil sowie dem wachsenden Bewusstsein, dass Emerging Markets nicht weniger stabil sind als beispielsweise das Gebilde der EU. Dazu kommt, dass die "Search for Yield"-Problematik aktueller denn je ist. Gemäß einer Studie von Barclays rentiert über die Hälfte aller festverzinslichen Anlagen weltweit momentan unter einem Prozent Ablaufrendite. Fast zwangsläufig werden daher attraktive Alternativen bei adäquatem Risiko von Anleiheinvestoren gesucht.
Innerhalb der Hartwährungsanleihen glänzen im laufenden Jahr insbesondere Papiere aus Schwellenländern. Mit einer Rendite von knapp zehn Prozent bis Mitte Oktober weisen sie ein eindrückliches Ergebnis aus. Im Investment-Grade-Bereich liegt der Wertzuwachs bei Schwellenländeranleihen bei knapp sieben Prozent, während ihre europäischen Pendants "nur" 5,4 Prozent erzielten. Ein Grund für die Stärke der Emerging-Markets-Bonds in Hartwährungen in diesem Jahr war der Wendepunkt Mitte Februar bei den Rohstoffpreisen. Vor allem der Turnaround beim Erdöl und bei Metallen unterstützte die Märkte der Schwellenländer nachhaltig. Auch die ausgebliebene US-Zinswende in größerem Umfang sorgte für eine Entspannung. Selbst wenn es in absehbarer Zeit zu dem erwarteten Zinsschritt der US-Notenbank kommt, sollten Schwellenländeranleihen nicht zu sehr leiden aufgrund ihrer tieferen Zinssensitivität. Denn die durchschnittliche Zinsduration liegt bei fünf Jahren und damit um zwei Jahre niedriger als bei amerikanischen Papieren.
Risiken im Markt bestehen, falls eingeleitete Strukturreformen durch politische Entwicklungen blockiert würden. Auch ein zu starker US-Dollar wäre unvorteilhaft für die Schwellenländer. Die US-Wahlen sind eine Unbekannte. Welcher Wahlausgang sich wie auswirkt, ist schwer abzuschätzen. Sicher ist nur, dass Entwicklungen in den USA auch weiterhin hohen Einfluss auf die Schwellenländer haben werden. Ebenso wie die Situation des Emerging-Markets-Flaggschiffs China. Die politische Agilität und der Reformwille sind positiv zu sehen. Entsprechend halten wir chinesische Anleihen momentan für attraktiv, ebenso Papiere aus den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Indonesien.
Unterstützung finden Emerging-Markets-Bonds in diesem Jahr auch durch das Verhältnis zwischen Fälligkeiten und Neuemissionen. Seit Langem gibt es erstmals in einigen Regionen mehr Fälligkeiten als Neuemissionen. Das wirkt sich stabilisierend auf die Risikoprämien aus und sorgt für hohe Nachfrage in diesem Segment: Neuemissionen sind grundsätzlich überzeichnet, und es kommen viele Erstemittenten an den Markt, da Bonds zu begeben derzeit eine günstige Refinanzierungsmöglichkeit darstellt.
Hannes Boller ist Senior Portfoliomanager bei Fisch Asset Management in Zürich. Er ist zuständig für die Fixed-Income-Strategien Emerging Markets und managt beispielsweise den FISCH Bond EM Corporates Opportunistic Fund. Boller gehört dem Unternehmen seit 2008 an. Er ist CFA Charterholder und studierter Betriebswirt. Fisch Asset Management verwaltet derzeit ein Kundenvermögen von rund 8,7 Milliarden Euro.