Seit dem Abstieg Russlands aus dem Barclays Global Aggregate Bond Index vor einigen Monaten zogen Anleger geschätzte 140 Milliarden Dollar aus dem ehemaligen Zarenreich ab. Sollte nach S&P eine weitere der großen Rating-Agenturen brasilianische Bonds auf "Ramsch" setzen, würden Anleger Anleihen im Volumen von mehr als 20 Milliarden Dollar auf den Markt werfen, schätzen die Experten der US-Bank JPMorgan. Vor allem Lebensversicherer und Pensionsfonds trennen sich von den Papieren, da sie meist nur Bonds mit dem Gütesiegel "Investment Grade" halten dürfen.
Brasilien hat bereits auf die S&P-Schelte reagiert: Das südamerikanische Land will über Steuererhöhungen künftig jährlich umgerechnet 15 Milliarden Euro einnehmen. Gleichzeitig strich die Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff zahlreiche Steuervergünstigungen und verschob Gehaltserhöhungen für Staatsbedienstete.
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RUHE VOR DEM STURM?
Bislang ist die Zahl der Schwellenländer mit einem negativen Rating-Ausblick - deren Kreditwürdigkeit also auf dem Prüfstand steht - überschaubar. Außerdem betonen die Rating-Agenturen, dass die Finanzlage vieler Staaten deutlich besser ist als noch vor einigen Jahren.
Dieser Faktor spiele derzeit aber eine untergeordnete Rolle, betont Analyst Simon Quijano-Evans von der Commerzbank. Die wachsende Furcht vor einer Abkühlung der Weltwirtschaft bei einer gleichzeitig nahenden Zinswende in den USA machten die Benotung der Bonität eines Landes extrem schwierig. "Daher konzentrieren sich die Ratingagenturen auf Reformimpulse und die Aussicht auf eine weitere Umgestaltung." Mangelnder Reformeifer sei der Hauptgrund der Herunterstufung Brasiliens durch S&P, fügt er hinzu.
Viele Schwellenländer hatten es in den vergangenen Jahren leicht, zur Finanzierung ihres Wachstums an ausländisches Kapital zu kommen. Da Staatsanleihen der Industrienationen wegen der ultraniedrigen Zinsen nichts abwarfen, pumpten Investoren ihr Geld in Papiere aus Brasilien, der Türkei oder Russland. Diese Staaten sind aber kaum vorbereitet auf die Zeit nach der Geldschwemme, wenn Anleger dank der Aussicht auf steigende US-Zinsen wieder verstärkt die als sicher geltenden US-Treasuries kaufen.
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TÜRKEI UND SÜDAFRIKA MÜSSEN AM STÄRKSTEN ZITTERN
An der Schwelle zum "Ramsch"-Status sieht Quijano-Evans vor allem die Türkei und Südafrika. Darauf deute der Preisanstieg bei den Kreditausfall-Versicherungen hin. Seit S&P die Bonitätsnote Brasiliens vergangene Woche auf "BB+" von "BBB-" senkte, verteuerte sich am Markt für Credit Default Swaps (CDS) die Versicherung eines zehn Millionen Dollar schweren Pakets türkischer Anleihen um gut vier Prozent auf aktuell knapp 300.000 Dollar.
An den Finanzmärkten wetten Anleger darüber hinaus darauf, dass Anleihen aus Kolumbien, Kasachstan und Bahrain das Gütesiegel "Investment Grade" verlieren. Teilweise deutliche Rating-Herabstufungen erwarten sie außerdem für China, Chile, Mexiko, Malaysia, Indonesien, Thailand, Israel und Saudi-Arabien.
"RAMSCH"-STATUS MACHT KREDITE TEURER
Der drohende Ausverkauf am Bondmarkt könne auf die Aktien übergreifen, warnt Volkswirt Manolis Davradakis vom Vermögensverwalter Axa Investment Managers. Denn auch die Unternehmen geraten unter Druck, wenn die Anleihen ihres Landes heruntergestuft werden. Sie müssen dann üblicherweise höhere Zinsen zahlen oder mehr Sicherheiten vorweisen, um an frisches Geld zu kommen. So rutschten die Aktien von Petrobras seit vergangener Woche um etwa acht Prozent ab. Der staatliche brasilianische Ölkonzern sitzt auf einem 140 Milliarden Dollar hohen Schuldenberg.
Reuters