Knapp eine halbe Milliarde Euro Verbindlichkeiten belasten derzeit noch die Bilanz der Wiesbadener SGL Group, auch bekannt als SGL Carbon. Überwiegend entstanden sind die Schulden seit 2013 mit Graphitelektroden für die Stahlindustrie, ein zyklisches Geschäft dessen Verkauf an den japanischen Konzern in den kommenden Wochen engültig abgeschlossen sein dürfte. Parallel dazu läuft auch die Veräußerung des auch in zyklischen Abschwungphasen profitablen SGL-Geschäfts mit Anoden für die Aluminiumdustrie. SGL-Chef Jürgen Köhler geht davon aus, dass die entsprechenden Verkaufsverträge "spätestens bis Jahresende" abgeschlossen sein werden.
Mit den Erlösen aus der Veräußerung der beiden zyklischen Geschäftsbereiche sollte die neu fokussierte SGL Group ihre Verbindlichkeiten nahezu tilgen können. Im künftigen Kerngeschäft, Graphite und Verbundwerkstoffe aus Carbon- und Glasfasern, erwarten Analysten bis 2020 jährliche Wachstumsraten von 6,8 und 8,7 Prozent. Größere Investitionen in die Fertigung stehen während dieses Zeitraums nicht an. Somit ist geplant den Umsatz bis 2020 von 770 Millionen Euro im vergangenen Geschäftsjahr auf "mindestens 1,1 Milliarden Euro" zu steigern und die Rendite auf das eingesetzte Kapital (ROCE) auf 15 Prozent.
Bei Graphiten ist SGL mit Firmenkunden aus 35 verschiedenen Industrien ein Weltmarktführer, der in vielen Nischen dominierend ist. Bei Verbundwerkstoffen (Glas- und Carbonfaser) entwickelt der SDAX-Konzern in Projekten mit Firmenkunden spezifische Produkte und bietet inzwischen als Dienstleister und Zulieferer die komplette Wertschöpfungskette an - von der Faser bis zur Serienfertigung des einzelnen Produkts. Sowohl bei glasfaserverstärkten Kunststoffen - im Jahr 2020 soll SGL jährlich 500 000 Blattfedern für Volvo liefern - als auch bei carbonverstärkten Kunststoffen - Einsatz in der Serienproduktion des neuen 7ers von BMW - hat der SDAX-Konzern inzwischen das Wissen und die Kapazitäten für die voll automatisierte Fertigung im industriellen Maßstab.
Damit liegt SGL nach eigenen Angaben weltweit vorn. "Carbonfaserverstärkte Kunststoffe, kurz CFK, sind im Vergleich zu Stahl und Aluminium eine sehr junge und neue Werkstoffklasse. Das Potenzial wird während der nächsten Jahre deutlich werden. Der große Durchbruch kommt gerade jetzt", sagt SGL-Chef Köhler. Dabei gehe es nicht darum "Stahl oder Aluminium komplett zu ersetzen. Unsere carbonfaser- und glasfaserverstärkten Kunststoffe werden aber aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften einen höheren Anteil an der Materialmischung in Fahrzeugen erreichen. Weil diese speziellen Kunststoffe aber die absolut jüngste Werkstoffklasse im Mix sind, wird das noch einige Jahre dauern", ergänzt der promovierte Verfahrenstechniker.
Bei dem Carbonfaserkunststoff (CFK) den SGL in einem Joint Venture mit dem Autobauer BMW entwickelt und produziert, sehen einige den im Vergleich zu BMWs Modellen i3 und i8 sparsameren Einsatz von CFK im neuem 7er als Rückschritt in der Begeisterung für Werkstoffe aus Carbon. Dem widerspricht der SSGl-Lenker: "Das Gegenteil ist richtig. Viele Automobilhersteller, die zuvor zurückhaltend waren, beschäftigen sich nunmehr mit unserem Werkstoff. SGL hat derzeit mehr Leichtbauprojekte vor der Brust als je zuvor", berichtet Köhler.
Auch weil die Exklusivitätsvereinbarungen mit BMW in dem Joint Venture abgelaufen sind. "Wir können die Carbonfaser-Materialien in gleicher Ausprägung oder modifiziert jedem anderen Automobilhersteller weltweit anbieten. Das tun wir". Mit dieser Perspektive ist für den Manager mittelfristig auch eine vollständige Übernahme des Gemeinschaftsunternehmens denkbar. "Ich gehe davon aus, dass BMW kein Hersteller von Carbonfasern werden möchte. Für uns sind Carbonfasern ein Kernelement der Strategie und essenzieller Bestandteil der Wertschöpfungskette. Die Übernahme könnte eine Option sein", meint Köhler gegenüber der Wirtschaftszeitung "€uro am Sonntag". In der Sparte Verbundwerkstoffe fertigt SGL mitAutozulieferer Benteler Bauteile für BMW, Audi und für verschiedene Modelle von Porsche.
Statt der fertigen CFK-Komponenten könne SGL "aber auch alle Vormaterialien aus Carbonfasern liefern. Aus der vollständigen Wertschöpfungskette bieten wir von der Faser bis zum fertigen Bauteil alles auch einzeln an. Das unterscheidet uns von Wettbewerbern", meint der Manager. Mit der Serienfertigung für den 7er BMW kann sie Köhler als nächsten Schritt bis 2020 den Einstieg in Oberklasse-Modelle mit rund 300 000 Fahrzeugen pro Jahr gut vorstellen. "Wir sehen großes Interesse an Verbundwerkstoffen in der Oberklasse, sei es von Audi, BMW, Volvo oder jetzt auch Jaguar Land Rover. Hohe Stückzahlen sind für uns auch dann interessant, wenn pro Fahrzeug weniger Carbonfaser-Material verbaut wird. Das Beispiel 500 000 Blattfedern für Volvo zeigt, dass wir die Technologie für große Stückzahlen bereits beherrschen". Einiges spricht also dafür dass SGL in neuer Formation während der nächsten Jahre durchstarten könnte - auch auf dem Parkett.
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Einschätzung der Redaktion
Die Aktie hat unser Kursziel bei 12 Euro nahezu erreicht. Die Papiere der aussichtsreichen High-Tech-Firma sind ein Investment für risikofreudige Anleger, die bereit sind auch größere Kursrückschläge in Kauf zu nehmen. Schwächere Quartalszahlen sind deshalb gute Kaufgelegenheiten, die sich mittel- und langfristig bezahlt machen. Wir erhöhen Kursziel und StoppZiel: 17 Euro
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