"Siemens ist immer noch zu stark mit sich selbst beschäftigt, die Unruhe in der Belegschaft sehr groß", kritisiert Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment. Nach langer Stagnation will Kaeser Margen wie die Konkurrenz erwirtschaften und zu Umsatzwachstum zurückkehren. Der Manager kann auf der anstehenden Hauptversammlung am Dienstag aber bei vielen Aktionären mit Milde rechnen. Nach den zahlreichen Turbulenzen der vergangenen Jahre, nach Korruptionsaffären, Vorstandsrochaden und massenhaftem Stellenabbau sehnen sich viele Anteilseigner nach Ruhe.

Zumal sich Siemens in den vergangenen Quartalen verglichen mit der Konkurrenz gut geschlagen hat. Für das abgelaufene Vierteljahr rechnen Analysten mit einem leichten Umsatzplus auf rund 18,7 Milliarden Euro und einem stabilen Gewinn von 1,1 Milliarden Euro. Dank der anteiligen Buchung eines milliardenschweren Kraftwerksauftrags aus Ägypten dürfte sich auch der Auftragseingang sehen lassen. Anders als etwa die Schweizer ABB konnten sich die Münchner zuletzt noch weitgehend der Schwäche der Öl- und Gasförder-Industrie in der Folge des niedrigen Ölpreises weitgehend entziehen. Doch die Folgen des Verfalls dürfte die Aktionäre umtreiben. Kaeser hatte sich mit den milliardenschweren Käufen von Dresser-Rand und einer Rolls-Royce -Sparte ausgerechnet in einem der aktuell heikelsten Geschäftsfelder verstärkt. Sollte sich dieses Abnehmersegment dauerhaft nicht erholen, drohen massive Abschreibungen.

Manch ein großer Investor will 2016 nach all den Jahren des Umbaus endlich Fortschritte sehen. "Kaeser muss es schaffen, echte Aufbruchsstimmung und Dynamik im Konzern zu erzeugen", fordert Fondsmanager Speich. "Die kommenden zwölf Monate sind für Investoren der große Lackmustest, ob die neue Strategie wirklich funktioniert." Siemens müsse wieder Marktanteile gewinnen und sich gegen harten Wettbewerb in Übersee in Geschäftsfeldern wappnen, wo der Konzern bislang gut verdient hat.

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TAUWETTER MIT DEM IRAN ERFREUT AKTIONÄRE



Das Ende von Sanktionen gegen den Iran, das jüngst einen weiteren Ölpreisrutsch ausgelöst hatte, kann die Siemens-Aktionäre indes freuen. Als einer der ersten deutschen Firmen fädelten die Münchner Aufträge im großen Stil ein. Die Iraner wollen vor allem Eisenbahntechnik bei Siemens bestellen.

Um Kaeser bei der Umsetzung seiner Ziele bis zuletzt auf die Finger zu schauen, benannte der Aufsichtsrat aus seiner Mitte eigens drei Kandidaten für eine vorzeitige Neuwahl. Die Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller, der einstige SAP -Co-Chef Jim Hagemann Snabe und der einstige Bayer-Lenker Werner Wenning sollen bis Anfang 2021 im Kontrollgremium bleiben, um die Umsetzung von Kaesers Agenda zu begleiten. Der bis dahin einscheidenste Schritt des Niederbayern könnte eine weitergehende Abtrennung der Medizintechnik sein, die bereits in ihren Grundzügen auf dem Weg ist.

NACHFOLGE VON AR-CHEF CROMME BLEIBT WOHL OFFEN



Die Nachfolge von Aufsichtsratschef Gerhard Cromme dürfte bei der Versammlung in der Münchner Olympiahalle dürfte indes weiter offen bleiben. Trotz anhaltender Kritik an dem 72-Jährigen ließ der einstige ThyssenKrupp -Herrscher keine Zweifel daran, dass er nicht daran denkt, vor der Hauptversammlung 2018 sein letztes einflussreiches Amt abzugeben. Von den amtierenden Aufsichtsräten werden am ehesten Wenning und dem früheren BMW -Chef Norbert Reithofer Chancen als Nachfolger nachgesagt. Auch die Familienvertreterin Nathalie von Siemens wird längerfristig als denkbare Kandidatin gehandelt.

Reuters