Dass Vorstandschef Joe Kaeser die Aktienmärkte noch zu begeistern vermag, zeigten die jüngsten Bekanntmachungen aus der Münchner Siemens-Zentrale. Am Dienstag Abend wurde offiziell, worüber zuvor bereits spekuliert wurde: Der DAX-Konzern spaltet seine schon seit geraumer Zeit in der Restrukturierung befindliche Kraftwerkssparte ab. Dem Geschäft mit zuletzt rund 18 Milliarden Euro Jahresumsatz werden die Aktivitäten in der Stromübertragung sowie der 59-prozentige Anteil von Siemens an der Windkrafttochter Siemens Gamesa zugeschlagen. Und: Bis September 2020 soll Siemens Gas and Power, ein Unternehmen mit dann rund 30 Milliarden Euro Umsatz und knapp 90000 Mitarbeitern, als Spin-Off an die Börse gebracht werden.
Im US-Handel am Dienstag fielen die dort gelisteten ADR-Papiere noch mit dem Gesamtmarkt. Doch die Botschaften, die die Siemens-Spitze Mittwochs morgens dem Kapitalmarkt noch einmal in allen Details präsentierte, schoben das Papier dann in einem eher schwachen Umfeld deutlich an. Denn Siemens wird durch die Trennung vom Energiegeschäft transparenter und schneller. Überdies übertraf der DAX-Wert mit den Zahlen zum zweiten Geschäftsquartal die Erwartungen der Analysten: Umsatz und Auftragseingang stiegen in den Monaten Januar bis März um vier beziehungsweise sechs Prozent. Der operative Gewinn des industriellen Geschäfts zog um sieben Prozent auf 2,4 Milliarden Euro an, der Nettogewinn erreichte mit 1,9 Milliarden fast das Niveau des Vorjahres, als Sondererträge das Ergebnis begünstigt hatten.
Sechs der bislang acht Sparten verzeichneten Gewinnzuwächse. Nur zwei Geschäfte, das Kraftwerksgeschäft sowie die Prozesstechnik, blieben mit ihren Gewinnmargen unter dem hauseigenen Zielkorridor. Mit der Verkehrstechnik Mobility und den Finanzdienstleistungen übertrafen zwei Sparten diese Ziele deutlich. Financial Services, das nicht zum industriellen Geschäft zählt, erreichte mit über 30 Prozent die höchste Marge im Konzern vor der Industrieautomatisierungsparte "Digitale Fabrik" mit rund 20 Prozent und der Medizintechnik Healthineers, die die Marge von 16,5 auf 17,5 Prozent steigerte. Insgesamt stieg die operative Gewinnmarge im industriellen Geschäft gegenüber dem Vorjahresquartal von 11,1 auf 11,4 Prozent an. Die Aktie legte um fast fünf Prozent zu.
Auch das lange Zeit kriselnde Kraftwerksgeschäft verzeichnete eine deutliche operative Ergebnissteigerung um 38 Prozent auf 156 Millionen Euro, die Marge liegt jetzt bei 5,6 Prozent - allerdings deutlich unter dem Zielkorridor von elf bis 15 Prozent. Die Verbesserung stammt aus dem Service-Geschäft, der Wartung von Gasturbinen und Kraftwerken. Dieser Bereich ist im Gegensatz zum von starkem Preisdruck geprägten Neugeschäft solide profitabel. Siemens kam dabei auch im zurückliegenden Quartal zu neuen Großaufträgen.
Damit sind die Voraussetzungen für die Verselbständigung und den geplanten Börsengang des Energiebereichs schon jetzt nicht schlecht. Siemens-Chef Kaeser betonte, Siemens Gas and Power sei künftig mit dem konventionellen Kraftwerksgeschäft, der Netzübertragungstechnik sowie den Windkraftanlagen das einzige Unternehmen im Sektor, dass derart komplett aufgestellt sei. Die "Newco" soll von der jetzigen Chefin der Energiesparte, der Amerikanerin Lisa Davis, weiter geführt werden. Wo der Sitz liegen soll, ist noch offen. Derzeit wird das Energiegeschäft von Houghston, Texas, aus geführt. "Wir müssen unter anderem auch das politische Umfeld bewerten, wer unterstützt das Unternehmen am besten", erläuterte Kaeser die Überlegung, sich jetzt noch nicht auf einen Sitz festzulegen.
Finanzchef der NewCo wird der ehemalige Osram-Manager Klaus Patzak, der bereits den Spin-Off der ehemaligen Lichttechniktochter von Siemens an die Börse begleitete. Läuft alles nach Plan, werden Aktionäre dann im September 2010 neben ihren Siemens-Papieren eine wohl ähnliche Anzahl an Aktien der NewCo in ihren Depots wiederfinden. Die Aktien des Spin-Offs werden in Deutschland gelistet, unabhängig davon, wo letztlich der Sitz der Gesellschaft liegen wird. Im Gegensatz zum einem klassischen IPO, etwa dem der Medizintechniktochter Healthineers im März 2018, wird es aber keinen Emissionsprozess mit Bookbuilding und Preisspanne geben.
Am Kapitalmarkt kamen die Beschlüsse gut an. Der Konzernumbau im Rahmen von Kaesers "Vision 2020+" wird damit komplett. Für eine Übergangsperiode ist Siemens statt mit acht industriellen Geschäften mit den drei operativen Unternehmen "Digitale Fabrik" (DI), "Smart Infrastructure" (SI) und "Power & Gas" unterwegs, die von den selbstständigen strategischen Unternehmen Healthineers, Siemens Gamesa und Mobility begleitet werden, an denen Siemens Abteile hält. Spätestens ab September 2020 sind laut Definition des Managements bloß noch die Industrieautomatisierung DI und die intelligente Gebäude- und Netztechnik SI industrielles Kerngeschäft bei Siemens. Insbesondere DI, ein stark Software-getriebenes Geschäft, soll auch künftig kräftig wachsen. "Wir streben ein Wachstum von 25 Prozent über dem Markt an", sagte Kaeser. Schon jetzt sind die Münchner hier Weltmarktführer. Diese Position in der lukrativen Industriedigitalisierung will Kaeser, der voraussichtlich 2021 als Siemens-Chef abtritt, dem Unternehmen mit seinen Maßnahmen um jeden Preis sichern.
Fazit: Kaeser will Siemens optimal für die umwälzende Digitalisierung in der Industrie positionieren. Hier sind die Münchner bereits Nummer 1, die Position soll ausgebaut werden. Die Abspaltung des Energiegeschäfts schafft zusätzliche Transparenz und dürfte Energien freisetzen. Das operative Geschäft ist auf Kurs. Wir bleiben bei unserer Kaufempfehlung.