Die Börse war am Tag der Siemens-Hauptversammlung klar auf der Seite des Konzernchefs Joe Kaeser. Endlich einmal schlug das Papier des Technologieriesen den deutschen Leitindex deutlich: Während der DAX wegen der Sorgen um die Wirtschaft in China und der Entwicklung des Ölpreises wie so oft sei Anfang 2016 ins Minus schlitterte, freuten sich die Aktionäre über ein dickes Tagesplus. "Wir liegen zeitweise acht Prozent besser als der DAX, meine Damen und Herren", lobte Aufsichtsratschef Gerhard Cromme unter dem Applaus der tausender Anleger in der Münchner Olympiahalle die "eindrucksvolle" Rede des Konzernchefs.

Das hatte es lange nicht mehr gegeben. Joe Kaeser, der Chef, trumpfte auf - mit einer Prognoseanhebung beim Gewinn für das laufende Geschäftsjahr. Und mit der Nachricht, das sich die grundsätzliche Entwicklung des Konzerns zum Positiven wendet. Der Umsatz hatte nicht nur im abgelaufenen Quartal währungsbereinigt um immerhin vier Prozent zugelegt. Das Geschäftsvolumen, das sich im Geschäftsjahr 2015 - wie auch in den vergangenen 15 Jahren kaum vorwärts bewegt hatte - soll endlich wieder nachhaltig wachsen.

"Wir sehen beim Umsatz eine Trendwende, die über das erste Quartal hinausgeht. Der Konzern wird sein operatives Wachstum im laufenden Geschäftsjahr beschleunigen", sagte Vorstandschef Joe Kaeser. Das Sparprogramm "Vision 2020" sei weitgehend umgesetzt und das Unternehmen sei auf gutem Weg, das Einsparziel von nahezu einer Milliarden Euro im laufenden Jahr zu erreichen. Die frei werdenden Mittel wolle der Konzern in Innovationen und noch bessere Kundennähe investieren, lautete seine Botschaft.

Die Stagnation beim Umsatz war einer der Gründe, weshalb das Siemens-Papier dem DAX auf Sicht von zwölf Monaten mit minus 18 Prozent immer noch deutlich hinterher hinkt. Die Reaktion der Börse honoriert das gute Quartal - und den Aufwind im Konzern.

Im Quartal von Oktober und Dezember hatte Siemens deutlich mehr Aufträge verbucht, der Ordereingang stieg dank mehrerer Großaufträge um fast ein Viertel auf 22,8 Milliarden Euro. Der Umsatz erreichte 18,9 Milliarden Euro, das Nettoergebnis stieg um über 40 Prozent auf 1,6 Milliarden. Siemens übertraf damit die Erwartungen der Analysten bei weitem - und schnitt auch besser ab als der Erzrivale General Electric (GE), der Börsianer zuletzt mit schwachem Umsatz enttäuscht hatte.

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Kritik von Aktionärsvertretern



Trotz der guten Entwicklung gab es auch heftige Kritik am Kurs des Industrieriesen. "Wenn man die Siemens-Aktie mit dem DAX vergleicht, dann hat sich das Investment nicht gelohnt", sagte Daniela Bergdolt, Aktionärsvertreterin von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Siemens-Anleger seien mit Kaeser durch ein Tal der Tränen gegangen. Jetzt wolle man endlich die Früchte ernten. Die Dividendenerhöhung auf 3,50 Euro könne hier nur ein erster Schritt sein.

"Was ist, wenn die Konjunktur in China nicht anspringt? Und was wollen Sie mit Dresser-Rand tun, sagen Sie uns welche Pläne hier anstehen?", wies die DSW-Vertreterin auf drängende Fragen der Aktionäre hin. Insbesondere am Engagement des Konzerns im Bereich Öl- und Gasausrüstungen entzündete sich eine heftige Diskussion. "Die Übernahme von Dresser-Rand war weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Wenn der Ölpreis sich nicht erholt, drohen massive Abschreibungen", warnte etwa Ingo Speich, Fondsmanager der Gesellschaft Union Investment.

Kaeser hatte mit seiner bislang größten Übernahme, dem Kauf des Öl- und Gastausrüsters Dresser-Rand, zeitlich daneben gelegen. Im September 2014 hatte Siemens das Geschäft für rund acht Milliarden Dollar gekauft. Der Ölpreis ist seitdem von rund 100 auf unter 30 Dollar pro Fass Rohöl gefallen. Es handele sich zwar um kein strukturelles Problem, schließlich verbrauche die Welt in steigendem Maße Öl, sagte Kaeser, der auf das stabile Servicegeschäft und die zahlreichen Kunden weltweit verwies. "Zugegeben ist die Nachfrage im Neugeschäft sehr schwach. Investitionen werden in vielen Teilen verschoben, zu einem kleineren Teil aufgehoben", sagte der Siemens-Chef.

Kurz vor dem Aktionärstreffen wurde bekannt, dass der Konzern sich für rund eine Milliarde Dollar im Bereich Industriesoftware verstärkt hat. Siemens kauft CD-Adapco, ein US-Unternehmen, das Simulationssoftware herstellt. Damit will Kaeser den Konzern noch stärker auf dem Wachstumsmarkt der Industriedigitalisierung aufstellen. Ausgerechnet der Bereich Digitale Fabrik, dem der Kauf zugute kommt, zeigte im Quartal Schwäche, das Ergebnis sank hier leicht. Kaeser ist jedoch vom Wachstum in der digitalen Industrietechnik überzeugt. "Die Produkte sparen unseren Kunden Zeit und damit Geld bei der Entwicklung etwa im Automobilbereich", so der Chef.

Für die Entwicklung des Konzerns zum einem weltweit führenden Anbieter in der Digitalisierung erntete Kaeser Lob von Aktionärsseite. "Im Bereich Digital Factory ist Siemens Weltmarktführer und hat nachhaltig Werte geschaffen", sagte Marcus Poppe, Fondsmanager für Industriewerte bei der Gesellschaft Deutsche Asset Management.

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Kaeser zuversichtlich für 2016



Einen Konjunktureinbruch in China, wo sich vor allem das Industriegeschäft gegenüber dem Vorjahr verlangsamt habe, erwartet Kaeser nicht. Der Siemens-Chef gab sich insgesamt trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds zuversichtlich für 2016.

Was dem größten deutschen Industriekonzern im Quartal Auftrieb gab, war zum einen der Großauftrag in Ägypten, den Kaeser im vergangenen Jahr an Land gezogen hatte. Siemens buchte 1,6 Milliarden Euro Auftragsvolumen für ein Kraftwerk im Quartal, was den Ordereingang kräftig anschob und dem Konzern dabei half, eine neue Rekordmarke beim Auftragsbestand zu erreichen. 114 Milliarden Euro hat das Unternehmen jetzt in den Büchern, soviel wie noch zuvor. Der Auftragseingang in der Sparte Power & Gas stieg deshalb um fast die Hälfte, der Umsatz kletterte um ungefähr ein Viertel. Im Gegensatz dazu entwickelte sich die Windkraftsparte im Quartal schwach, der Umsatz sank um rund ein Fünftel. Kaeser betonte, dass man hier nicht mit einer dauerhaften Schwäche rechne.

Allein die Medizintechniksparte lieferte über eine halbe Milliarde Euro operativen Gewinn im Quartal. Das Geschäft war sowohl in China als auch in den USA sehr erfolgreich. "Siemens ist in der Medizintechnik das Maß der Dinge", zeigte sich Kaeser selbstbewusst. Auch hier hatte der US-Wettbewerber GE zuletzt enttäuscht und sinkende Gewinne bei medizinischen Großgeräten wie Kernspintomographen gemeldet. Der Auftragseingang der Zugtechnik verdoppelte gegenüber dem Vorjahresquartal, der Gewinn des Segments stieg um ein Viertel.

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Es gibt drei gute Gründe für für einen Kauf der Siemens-Aktie, die am Dienstag in einem schwachem Gesamtmarkt deutlich anzog: 1. Die Effizienzprogramme zeigen Wirkung. 2. Die Trendwende bei der Umsatzentwicklung scheint gelungen. Und 3. Das Unternehmen bietet eine attraktive Dividendenrendite.