Der Technologiekonzern Siemens hat im abgelaufenen dritten Quartal ordentlich Gegenwind zu spüren bekommen - und wird deshalb vorsichtiger für das laufende Geschäftsjahr 2018/19 per Ende September. Die bereinigte operative Umsatzrendite (Ebitda-Marge) werde nur noch in der unteren Hälfte der angepeilten Spanne von elf bis zwölf Prozent liegen, teilte der Konzern am Donnerstag in München mit. Analysten hatten zuletzt im Schnitt mit 11,7 Prozent gerechnet.

Der Umsatz soll vergleichbar moderat wachsen. Doch das sei "herausfordernder geworden", sagte der Siemens-Chef Joe Kaeser. "Ein robuster Mobilitätssektor und eine konsequente Abarbeitung von Projekten werden uns helfen, unsere Ziele für das Geschäftsjahr zu erreichen", zeigt sich Kaeser dennoch zuversichtlich. Neben den Zollkonflikten und der angeschlagenen Autoindustrie schadeten dem Dax-Konzern auch Risiken wie der Brexit.

"Die Konjunktur können wir nicht beeinflussen"


Durch Unsicherheiten in Politik und Wirtschaft gerät die deutsche Konjunktur ins Wackeln. Das machte sich bei Siemens im kurzzyklischen Geschäft in der Sparte Digitale Industrie bemerkbar. Der Bereich macht gut ein Drittel seiner Umsätze mit der Auto- und der Maschinenbauindustrie. Zehn Prozent entfallen auf Pharma und Chemie. Siemens-Finanzchef Ralf Thomas erwartet bis Mitte nächsten Jahres eine konjunkturelle Durststrecke in diesen Branchen.

Dennoch gehen nahezu alle Konjunkturprognosen davon aus, dass die Wirtschaft im zweiten Halbjahr ihre aktuelle Schwäche überwinden könnte. So geht beispielsweise die Bundesregierung von einem BIP-Wachstum von 0,5 Prozent aus. Experten sind dennoch skeptisch. Von einer Wende zum Besseren sei bisher allerdings nichts zu sehen, so Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Auch Carsten Brzeski, Volkswirt von der Direktbank ING, schlägt pessimistische Töne an: "Die verheerenden Auftragsdaten lassen die Hoffnung auf eine konjunkturelle Wende in der Industrie platzen."

Das zeigt sich auch bei Siemens. Im dritten Geschäftsquartal sank das bereinigte Ebita des Industriegeschäfts um 12 Prozent auf rund 1,9 Milliarden Euro und verfehlte somit die Erwartungen der Analysten. Die entsprechende Marge nahm von 11,3 Prozent auf 9,6 Prozent ab. Bereinigt um Kosten für den Personalabbau: 9,9 Prozent. Zufrieden zeigte sich Thomas damit nicht. "Wollen wir uns an Margen unter 10 Prozent gewöhnen? Nein", sagte er in einer Telefonkonferenz. Der Nettogewinn von Siemens sank im dritten Quartal leicht von 1,1 auf 1,0 Milliarden Euro.

Umsatz dennoch gesteigert


Trotz des eingetrübten Umfelds steigerte Siemens im dritten Quartal den Umsatz um vier Prozent auf rund 21 Milliarden Euro. Ursache hierfür waren die starken Erlöse der börsennotierten Töchter Siemens Gamesa und Siemens Healthineers. Beide Unternehmen hatten bereits in den vergangenen Tagen ihre Bücher geöffnet.

Kaeser vertraut beim Erreichen der Ziele für das laufende Geschäftsjahr auch auf die weiter vollen Auftragsbücher. Der Auftragseingang wuchs um sechs Prozent auf 24,5 Milliarden Euro: Getrieben durch Milliardenaufträge für die Windkraft-Tochter Siemens Gamesa und einer Bestellung für Hochgeschwindigkeitszüge aus Russland für die Zugsparte Mobility. Siemens baut damit einen Rekord-Auftragsbestand von 144 Milliarden Euro auf.

Das ist sonst noch los bei Siemens


Neben dem Handelsstreit und den Sorgen um eine Abschwächung der Weltkonjunktur hat Siemens auch mit anderen Baustellen zu kämpfen. Der geplante Umbau des Unternehmens ist kosten- und zeitintensiv. Langfristig will sich Siemens auf seine Wachstumsfelder Digital Industries sowie Smart Infrastructure konzentrieren. Dazu soll die kürzlich neu formierte Energie- und Gassparte ausgliedert und bis September 2020 an die Börse gebracht werden.

Denn die Energiewende und die Überkapazitäten bei Gasturbinen machen der Energiesparte seit längerem zu schaffen. Der Umsatz in dem Bereich sank im abgelaufenen Quartal um fünf Prozent auf 4,3 Milliarden Euro. Mitte Juni kündigte Siemens zudem an, 2.700 Arbeitsplätze in der Sparte zu streichen - davon 1.400 in Deutschland. Die Standorte Erlangen und Berlin seien am stärkten betroffen, wie der Konzern mitteilte.

Für langjährige Aktionäre nichts Neues: Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hat sich Siemens immer wieder von wackelnden oder nicht mehr ins Konzept passenden Geschäften getrennt: So die Börsengänge von Infineon und Osram, die Trennung vom Telekommunikationsgeschäft und der Ausstieg aus dem Haushaltswarengeschäft. Zudem schloss Siemens das Windgeschäft mit dem spanischen Konkurrent Gamesa und brachte die dem Medizintechniksparte Siemens Healthineers an die Börse.

Einschätzung der Redaktion


Anleger zeigten sich angesichts der Quartalszahlen enttäuscht. Die Siemens-Aktie fiel zeitweise um fast sechs Prozent - das ist der größte Kursrutsch seit drei Jahren. Seit Anfang des Jahres hat der Wert gut drei Prozent eingebüßt und gehört damit zu den schlechtesten Aktien im deutschen Leitindex Dax. Nur BMW, Covestro, Thyssenkrupp sowie die deutsche Lufthansa sind schwächer als der Technologiekonzern. Der Index gewann im gleichen Zeitraum fast 16 Prozent.

Charttechnisch bewegte sich der Kurs seit dem Hoch Anfang Mai seitwärts. Der Kursrutsch vom Donnerstag lässt das Papier allerdings unter die viel beachtete 200-Tagelinie bei rund 102 Euro fallen.

Eine nächste Unterstützungszone liegt bei rund 91 Euro. Reißt auch diese Marke, könnte die Aktie auf ihr Tief von Juli 2016 bei 89,00 Euro zurückfallen.

Auf lange Sicht bleibt die Siemens-Aktie dennoch ein stabiles Investment. Vor allem die Aussichten in den Geschäftsfeldern Gebäudetechnik und Netze und Digitale Industrie überzeugen langfristig. Wir bleiben bei unserer Einschätzung: Kaufen. Die Kursrücksetzer könnten für mutige Investoren eine gute Gelegenheit zum Einstieg sein.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 132,00 Euro
Stoppkurs: 89,00 Euro

Mit Material von dpa-AFX