Pünktlich zur Hauptversammlung gab Siemens einen Gewinneinbruch in der am stärksten betroffenen Kraftwerks-Sparte bekannt, der das operative Ergebnis im gesamten Konzern im ersten Quartal nach unten zog. Das zeige, dass "der Handlungsbedarf notwendig ist, ja sogar dringlicher geworden ist", verteidigte Siemens-Chef Joe Kaeser am Mittwoch die Pläne vor mehr als 6000 Aktionären. Während Mitarbeiter vor der Halle in München und in Frankfurt demonstrierten, äußerten Anteilseigner Verständnis.

"Siemens hat sich geändert, die Zeiten haben sich geändert", sagte Daniela Bergdolt von der Aktionärsvereinigung DSW. Früher habe der Konzern Probleme oft ausgesessen und zu spät reagiert. Diesmal sei das anders. Gerhard Cromme, der am Mittwoch nach elf Jahren als Aufsichtsratschef ausschied, mahnte: "Siemens darf nie wieder einen Paradigmenwechsel verpassen."

Siemens hat wegen des geplanten Stellenabbaus viel Schelte aus Politik und Gesellschaft einstecken müssen. Davon werde sich Siemens weder beirren noch provozieren lassen, entgegnete Kaeser vor den Aktionären. Er hatte in Deutschland für Irritationen gesorgt, als er bei einem Abendessen mit US-Präsident Donald Trump in Davos die - längst beschlossene - Entwicklung einer neuen Turbinen-Generation in den USA angekündigt hatte. "Man hat als Unternehmensführer Werte, die sollte man nicht verkaufen - aber man hat auch Interessen", sagte er am Mittwoch.

Siemens will in der gebeutelten Kraftwerks-Sparte und der verwandten Antriebs-Sparte 6900 Arbeitsplätze streichen. Power & Gas verlor im ersten Quartal 20 Prozent Umsatz und halbierte den Gewinn. Deshalb sank das Ergebnis aus dem gesamten industriellen Geschäft von Siemens um 14 Prozent auf gut 2,2 Milliarden Euro. Der Einbruch im Markt für konventionelle Kraftwerke, für die Siemens Gas- und Dampfturbinen liefert, sei nicht nur eine vorübergehende Eintrübung, sagte Kaeser. Die Werke in Offenbach, Erfurt, Mülheim und Görlitz seien längst nicht mehr ausgelastet.

500 KILOMETER MIT DEM FAHRRAD



Dem Werk im ostsächischen Görlitz will Kaeser aber eine neue Perspektive eröffnen - unter dem Dach von Siemens als Teil eines "Industriekonzepts Oberlausitz". "Da werden wir in Gottes Namen für diese 600 bis 700 Leute eine Perspektive finden", sagte er am Rande des Aktionärstreffens. Personalchefin Janina Kugel sagte, die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern sollten bis zum Spätsommer abgeschlossen sein. Niemand habe ein Interesse, dass sie sich länger hinzögen als nötig. Kaeser empfing vor der Versammlung Beschäftigte aus Görlitz, die gegen die Schließung protestierten. Einige waren die mehr als 500 Kilometer lange Strecke nach München mit dem Fahrrad gefahren. "Das ist auch wie so ein Todesstoß für unsere Region", sagte Heiko Haberl aus Görlitz. "Und das ist schon hart."

Petra Lagler aus Erlangen bezeichnete den Stellenabbau als "unverschämt - nur weil sie noch mehr Gewinn machen wollen". DSW-Vertreterin Bergdolt forderte Siemens auf, Alternativen zu finden. Fondsmanager Marcus Poppe von der DWS begrüßte die Pläne: "Von Siemens zu verlangen, langfristig Verluste mit Gewinnen aus anderen Konzernbereichen auszugleichen, ist keine nachhaltige Lösung." Siemens müsse aber mit den Mitarbeitern fair umgehen. "Überzogene Gewinnerwartungen an die Sparte sind daher genauso falsch wie der Versuch Einzelner, politisches Kapital aus dem Schicksal der Betroffenen zu schlagen."

WERTE UND INTERESSEN



Trumps Steuerreform gab dem Gewinn von Siemens im Quartal Rückenwind. Unter dem Strich stand ein um zwölf Prozent höherer Gewinn von 2,2 Milliarden Euro. Er wurde durch den Verkauf der restlichen Aktien an der ehemaligen Lichttechnik-Tochter Osram begünstigt. Eine Steuerquote am unteren Rand der Erwartungen hilft dem Konzern auch dabei, seine Gewinnziele für 2017/18 zu erreichen. "Siemens ist also insgesamt in einer sehr guten und robusten Verfassung", resümierte Kaeser.

Umsatz und Auftragseingang profitierten von Zuwächsen in der Zug-Sparte, die mit der französischen Alstom fusionieren soll. Von Oktober bis Dezember kamen Aufträge für 22,5 Milliarden Euro herein, 14 Prozent mehr als ein Jahr zuvor und weit mehr als Analysten Siemens zugetraut hatten. Der Umsatz wuchs um drei Prozent auf 19,8 Milliarden Euro.

Der bevorstehende Börsengang der Medizintechnik-Sparte Healthineers stieß bei Aktionären auch auf Kritik. "Warum soll die Ertragsperle Healthineers gerade jetzt an die Börse gebracht werde, wo das Geschäft dort glänzend läuft und weite Teile des restlichen Geschäfts von Siemens unter Druck stehen", fragte Portfoliomanager Ingo Speich von Union Investment. Den Altaktionären werde ein "Juwel aus der Siemens-Krone gebrochen". Dabei brauche Siemens das Geld - einen hohen einstelligen Milliardenbetrag - vorerst nicht. "Geben sie uns lieber eine Aktie, wenn sie nicht wissen, was sie mit dem Geld von Healthineers machen können", sagte Hans-Martin Buhlmann vom Aktionärsverein VIP. "Beim Stapellauf des Luxusliners wollen wir nicht nur Spalier stehen und Beifall klatschen, sondern mit an Bord sein", forderte Deka-Fondsmanager Winfried Mathes. Siemens will die Mehrheit an Healthineers behalten.

rtr

Auf Seite 2: Ticker Hauptversammlung





TICKER +++ Siemens profitiert weiter von US-Steuerreform



15.35 Uhr - Siemens erwartet von der Steuerreform von US-Präsident Donald Trump positive Effekte. Sie werde dem Konzern eine Entlastung von rund 100 Millionen Euro im Jahr bringen, sagt Finanzvorstand Ralf Thomas. Vorstandschef Joe Kaeser hatte Trump in der vergangenen Woche zu der Reform gratuliert. Im ersten Quartal hatte es einen positiven Einmaleffekt von 437 Millionen Euro gegeben.

Siemens-Aufsichtsratschef wartet auf sein Abschiedsbier



14.00 Uhr - Aufsichtsratschef Gerhard Cromme lehnt eine Einzelabstimmung über die Entlastung der Vorstandsmitglieder ab, die von Belegschaftsaktionären aus Verärgerung über die Stellenstreichungen beantragt wird. Die Ergebnisse würden nicht wesentlich anders ausfallen als bei einer Sammelabstimmung, sagt Cromme. "Das wird uns mindestens eine halbe Stunde kosten wegen eines Unterschiedes, den man mit der Lupe suchen muss." Das betreffe nicht nur hunderte Mitarbeiter im Saal. Er habe einigen Anwesenden auch zugesagt, anlässlich seines Abschieds aus dem Aufsichtsrat mit ihnen noch "ein Bierchen" trinken zu gehen. "Zögern sie doch nicht diese nette Geste hinaus."

Siemens-Beschäftigte zwischen Empörung und Hoffnung



11.40 Uhr - Beschäftigte der von der Schließung betroffenen Siemens-Werke äußern sich vor der Versammlungshalle empört über die Pläne. "Wir haben die Gewinne hier erwirtschaftet. Durch uns ist Siemens stark geworden", sagt Michael Basner aus Berlin. "Da ist es unverschämt, dann zu den Mitarbeitern zu sagen, die sollen gehen. Nur weil sie noch mehr Gewinn machen wollen", ergänzt Petra Lagler aus Erlangen. Kai Höfchen sagt, er sei mit dem Fahrrad aus Görlitz nach München gekommen, um Konzernchef Joe Kaeser die Sorgen der Belegschaft zu übermitteln: "Wir hoffen auf ihn, ganz einfach."

Aufsichtsratschef Cromme - "Es war mir eine Ehre"



10.59 Uhr - Aufsichtsratschef Gerhard Cromme nimmt am Mittwoch seinen Abschied - nach 15 Jahren als Mitglied des Gremiums, davon elf Jahren als dessen Vorsitzender. "Heute geht für mich eine aufregende Reise zu Ende", sagte er vor den Aktionären. In seine Amtszeit fiel die Korruptionsaffäre, die Siemens an den Rand des Abgrunds brachte. "Sie haben unserem Unternehmen sehr gedient", sagte Vorstandschef Joe Kaeser. Cromme selbst resümierte: "Ich freue mich, Siemens in guter Verfassung zu verlassen. Es war mir stets eine Ehre, diesem faszinierenden Unternehmen zu dienen."

10.30 Uhr - Siemens-Chef Joe Kaeser bringt einen Erhalt des von der Schließung bedrohten Gasturbinen-Werks in Görlitz ins Spiel. In Zusammenarbeit mit der Bundesregierung und der sächsischen Regierung und im Rahmen eines Industriekonzepts für die gesamte Region sei ein Weiterbestand des Werks unter dem Dach von Siemens möglich, sagt Kaeser am Rande der Versammlung zu Journalisten.

Fondsmanager: Healthineers-Börsengang schadet Siemens-Aktionären



10.00 - Große deutsche Investmentfonds sehen die Börsenpläne von Siemens für die Medizintechnik-Sparte Healthineers kritisch. "Warum soll die Ertragsperle Healthineers gerade jetzt an die Börse gebracht werde, wo das Geschäft dort glänzend läuft und weite Teile des restlichen Geschäfts von Siemens unter Druck stehen", fragte Portfoliomanager Ingo Speich von Union Investment laut Redetext auf der Hauptversammlung am Mittwoch in München. Der Börsengang drohe den Siemens-Aktionären zu schaden. "Wie werden die Altaktionäre entschädigt, denen ein Juwel aus der Siemens-Krone gebrochen wird?"

Speich kritisierte, dass Siemens bisher nicht gesagt habe, was man mit dem erwarteten hohen einstelligen Milliardenerlös aus der Emission anfangen wolle. Deka-Fondsmanager Winfried Mathes forderte laut Redetext, den Siemens-Aktionären Aktien von Healthineers zuzuteilen, um den Nachteil für sie auszugleichen. "Beim Stapellauf des Luxusliners wollen wir nicht nur Spalier stehen und Beifall klatschen, sondern mit an Bord sein." Marcus Poppe von Deutsche Asset Management regte an, nach dem Börsengang den bestehenden Aktienrückkauf aufzustocken.

Poppe stellte sich hinter die Pläne von Siemens zum Abbau von 6900 Stellen, vor allem in der angeschlagenen Kraftwerks-Sparte Power & Gas. Damit könne der Münchner Konzern auch in einem schrumpfenden Markt bestehen. "Von Siemens zu verlangen, langfristig Verluste mit Gewinnen aus anderen Konzernbereichen auszugleichen, ist keine nachhaltige Lösung", sagte er. Siemens habe aber die Verantwortung, den Mitarbeitern "einen fairen Ausweg" anzubieten. "Überzogene Gewinnerwartungen an die Sparte sind daher genauso falsch wie der Versuch Einzelner, politisches Kapital aus dem Schicksal der Betroffenen zu schlagen."

Beschäftigte demonstrieren vor Hauptversammlung



09.10 - Vor der Versammlungshalle demonstrieren Siemens-Beschäftigte gegen den Stellenabbau in der Kraftwerks-Sparte. Rund 250 Demonstranten aus Erfurt, Offenbach und und anderen von der Schließung bedrohten Werken säumen den Weg zur Olympiahalle unf fordern auf Plakaten "Mensch vor Marge" und "Mit Siemens spekuliert man nicht!".

09.09 - Siemens -Personalchefin Janina Kugel hat sich nach Aufnahme von Gesprächen über die Einschnitte im Kraftwerksgeschäft zuversichtlich gezeigt, mit den Arbeitnehmervertretern Lösungen zu finden. Man befinde sich in einem geordneten Prozess, der auf eine gute Einigung hoffen lasse, sagte sie. In den Gesprächen mit den Betriebsräten und der Gewerkschaft gehe es sowohl um die Planungen für die betroffenen Standorte als auch um den generellen Strukturwandel in der Industrie. "Erfreulicherweise verlaufen beide Sondierungen bisher sachlich und konstruktiv", sagte Kugel.

rtr/dpa-AFX/fh

Auf Seite 3: Einschätzung der Redaktion





Einschätzung der Redaktion



Ein deutlicher Gewinn- und Umsatzeinbruch in der Kraftwerkssparte sowie das schwache Ergebnis der Windkraft drücken das operative Quartalsergebnis von Siemens. Dafür war der Auftragseingang stark, zudem wächst der Gesamtkonzern weiter. Börsianer honorieren das, die Aktie zählte zu den Gewinnern im DAX.

Operativ läuft es ordentlich bei den Münchnern, vor allem im Vergleich zur Konkurrenz, wie etwa die Schwäche des Erzrivalen General Electric belegt. Der anstehende Börsengang der Medizintechniksparte Healthineers sorgt weiter für Kursfantasie.

Wir bestätigen unsere Kaufempfehlung.

Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 145,00 Euro
Stoppkurs: 101,00 Euro

Von Stephan Bauer