Die Asiaten beteiligen sich gemäß dem am Montag präsentierten Angebot an Alstom und drei von dessen Sparten, und Siemens nimmt den Franzosen für geplante 3,9 Milliarden Euro die begehrte Gasturbinensparte ab. Auf das Geschäftsfeld war Kaeser eh schon länger scharf, doch Alstom-Chef Patrick Kron zeigte ihm noch im Februar die kalte Schulter. Kein Interesse an einer Zusammenarbeit, bürstete der Franzose seinen Amtskollegen bei dessen Antrittsbesuch ab. Wenig später nahm Kron die Gespräche mit den Amerikanern auf. Kron macht kaum einen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber den Deutschen. Da allerdings auch der französische Staat mitmischt, der eine Übernahme durch GE aus Angst vor Stellenabbau verhindern will, könnte Kaeser nun doch zum Zug kommen. Die GE-Frist läuft noch bis zum 23. Juni - Kaesers Geburtstag.
Investoren finden das Konstrukt des Siemens-Chefs prima. "Herr Kaeser ist ja dafür bekannt, dass er den Markt gerne mal überrascht und etwas aus dem Hut zaubert", sagt Fondsmanager Christoph Niesel von Union Investment. Durch die Allianz mit Mitsubishi bekomme Siemens keine Kartellprobleme und erspare sich eine mühsame Integration der weniger lukrativen Teile von Alstom. "Das ist ein eleganter Schachzug von Herrn Kaeser", lobt Niesel. Die Rosine im Alstom-Portfolio, das Gasturbinengeschäft, wanderte im Idealfall dennoch für einen angemessenen Preis zu Siemens. "Für Siemens ist das eine Win-win-Situation. Entweder bekommt man die Rosine aus dem Portfolio zu einem angemessenen Preis, oder man kann sich elegant aus der Affäre ziehen."
Für Siemens war das Gesamtpaket an Energietechnik, für das GE insgesamt 12,4 Milliarden Euro bietet, ohnehin nicht attraktiv. Alstom leidet unter Schulden und Bargeldmangel, die Renditen sind nicht rosig, der Konkurrenzdruck hoch. Hinzu kommt die politische Forderung nach Arbeitsplatz- und Standorterhalt im teuren Frankreich mit seinen starken Gewerkschaften. Doch als Kaeser am 24. April in den USA davon erfährt, dass GE sich den Großteil von Alstom sichern will, muss er handeln. Einen derart großangelegten Vorstoß der Amerikaner auf dem europäischen Heimatmarkt kann er nicht einfach hinnehmen. Er trommelt seine Vorstände zusammen, bringt in Windeseile den Aufsichtsrat hinter sich und stellt mit der Rückendeckung von Staatspräsident Francois Hollande und der Bundesregierung mittels einer provisorischen Gegenofferte den Fuß in die Alstom-Tür. Vier Wochen Zeit kann er sich nehmen. Doch eine Lösung muss her.
Auf Seite 2: "NICHT VIEL BERATUNGSBEDARF"
"NICHT VIEL BERATUNGSBEDARF"
In der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München herrschen große Bedenken. Gerade erst hat Kaeser einen großangelegten Konzernumbau angestoßen, ein Stellenabbau steht bevor, die Medizintechnik soll verselbständigt werden und die Hörgerätesparte an die Börse. Gleichzeitig drängt Siemens seinen Partner Bosch, die Hälfte der Münchner an dem Hausgerätehersteller BSH zu kaufen. Unterdessen platzt der Verkauf der Frachtlogistiksparte. Die Manager und die Mitarbeiter fürchten, dass Kaeser den Bogen überspannt. Hinzu kommen gravierende Kartellbedenken der Juristen. Und: Kaeser gilt als Mann, der Entscheidungen zwar wohlüberlegt, aber einsam trifft. "Er hat nicht so wahnsinnig viel Beratungsbedarf", sagt ein Weggefährte.
Kaeser liest, dass die Investoren und Analysten barmen, er solle Siemens in Dreiteufelsnamen kein Abenteuer antun. Sie zählen die zahlreichen Risiken auf, die mit einem Kauf der gesamten Energietechnik einhergehen. Kaeser überlegt und muss an Japan denken. Der Siemens-Chef hat ein gutes Gedächtnis: Erst kürzlich schloss er Verhandlungen mit Mitsubishi Heavy (MHI) ab, die Siemens die Mehrheit an dem ungeliebten Geschäft mit Stahlwerksausrüstung abnahmen. Er wusste, die Japaner stehen unter Druck. Nach der Fukushima-Katastrophe hatte deren Nukleargeschäft im Inland keine Zukunft mehr, Mitsubishi drängte auch mit seiner konventionellen Kraftwerkstechnik ins Ausland, wusste aber noch nicht so recht wie. "Die Verhandlungsteams kannten sich und konnten sich gleich wieder zusammensetzen", heißt es aus dem Konzern.
Für japanische Verhältnisse ging es dann blitzschnell: Über das Pfingstwochenende stand deren Zusage, mit ins Boot zu steigen. MHI-Chef Shunichi Miyanaga wagt sogar eine direkte Beteiligung an Alstom und mehrerer Sparten. Branchenexperten wundern sich allerdings: Was will MHI mit einem Sammelsurium an Minderheitsanteilen an den Sparten Dampfturbinen, Netztechnik und Wasserkraft? Viel zu sagen hätten sie mit Anteilen zwischen je 20 und 40 Prozent eher nicht. "Vielleicht können die Japaner das ja mit der Zeit ändern", hieß es aus Verhandlungskreisen. Vulgo: Die Mehrheit erringen.
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WERBEN IN DER HÖHLE DES LÖWEN
Für Siemens ist das einerlei. Kaeser liebt es, wenn ein Plan funktioniert. In seinen sieben Jahren als Finanzchef gelangen ihm viele ausgebuffte Deals, etwa die Finanzierung des Aktienrückkaufs auf Pump, bei dem Siemens einen guten Schnitt machte. Noch heute grinst er breit, wenn er sich erinnert, wie er 2007 die Autotechniksparte VDO für gut elf Milliarden Euro an Contintental verkaufte. Zuvor hatte er die Preußen monatelang vor sich hergetrieben und parallel einen Börsengang des Segments geplant. Einen "Prachtkerl von an Vorstand" nennen sie ihn daheim im Landkreis Regen. Nach seiner Amtseinführung spielte zu Hause die örtliche Blasmusik auf.
Im fernen Paris rührt Kaeser später kräftig die Werbetrommel für das gemeinsame Angebot. "Wir erhalten eine stolze Ikone Frankreichs und machen sie sogar noch stärker", rief er den französischen Journalisten zu. "Wir werden dieses stolze Unternehmen nicht zerlegen." Die Offerte sei besser für Alstom, die Belegschaft und Frankreich. Vor allem, daraus macht Kaeser kein Geheimnis, ist es besser für sein Haus: "Das Angebot ist für Siemens weniger komplex, fokussiert und mit deutlich geringeren Risiken verbunden." Er hält sich zudem für zu umsichtig, um in eine Falle der Politik zu tappen, die Siemens allenfalls als Hebel für weitere GE-Zugeständnisse missbraucht. "Wir sind Geschäftsleute, die die Zukunft ihrer Firma sichern müssen", sagte Kaeser am Dienstag einem französischen Abgeordneten. "Das bedeutet mehr als nur die nächsten Wahlen zu gewinnen."
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"WIR SIND SKEPTISCH"
Analysten zweifeln allerdings, ob er sich letztendlich durchsetzen wird. Der Deal sei industriell schwieriger umzusetzen, warnt Arnaud Schmit von Natixis. "Wir sind skeptisch. MHI bringt keine eigenen Teile ein und schlägt eine komplizierte Lösung vor, die für die Japaner mehrere Minderheitsbeteiligungen vorsieht. Dabei bleibt Mitsubishi weiterhin ein Konkurrent für Alstom", sagt Tangi Le Liboux von Aurel BGC. "Für die Alstom-Aktionäre erscheint die GE-Variante attraktiver. Denn sie ist weniger komplex, zeitnäher umzusetzen und hat eine höhere Barkomponente", erklärt Fondsmanager Niesel.
Für Siemens wäre aber ein Scheitern kein Beinbruch. Die Münchner hätten es für GE auf jeden Fall schwerer gemacht, aller Wahrscheinlichkeit nach bessern die Amerikaner ihr Gebot am Donnerstag nach. Und im Erfolgsfall stehen GE zahlreiche Probleme bevor, vor allem im Kartellbereich. Bei Siemens sei man "gar nicht so traurig, wenn der Wettbewerber vor allem mit sich selbst beschäftigt ist", sagt ein Insider. Die Belastung durch die Alstom-Übernahme drücke zudem auf die Rendite der Amerikaner, was es Kaeser leichter mache, die Profitabilitätslücke gemäß seiner "Vision 2020" zu schließen. Die Rückendeckung seiner Anleger wie Niesel von Union hat er: "Siemens sollte stolz genug sein, dem Wettbewerb in Europa standzuhalten, wie es GE in Amerika tut." Und mit etwas Glück könnte Kaeser immer noch die Mehrheit an der ungeliebten Zugsparte in einiger Zeit an die Franzosen abgeben.
Reuters