Zum Lebewohl gibt’s Geschenke. Was der scheidende Siemens-Chef Joe Kaeser wohl von seinen Vorstandskollegen erhält? Kaeser selbst spendierte Aktionären mit vorläufigen Quartalszahlen ein Allzeithoch für die Aktie: Die Industrieautomatisierung, genannt Digitale Industrie (DI), erwies sich als Gewinntreiber und glänzte mit einer unerwartet hohen operative Marge von 22,5 Prozent. Auch die Sparte Smarte Infrastruktur (SI), etwa mit digitaler Gebäudetechnik befasst, überzeugte mit starkem Auftragsplus sowie unerwartet hoher Profitabilität. Rückläufige Restrukturierungskosten sowie Einsparungen durch die Pandemie kamen den Kernbereichen zugute - das Homeoffice grüßt.

Grande Finale in Kairo

Kaeser selbst war bis zuletzt als Verkäufer für Siemens unterwegs. Nach dem Mega-Kraftwerksgeschäft, das er 2016 in Ägypten an Land gezogen hatte, landete er einen zweiten Coup im Land der Pharaonen: Die Verkehrstechnik erhielt die Zusage zum Bau eines umfassenden Schienennetzes, auch Schnellzüge soll Mobility liefern. Von rund sechs Milliarden Euro Volumen ist die Rede.

Das und die unerwartet gute Quartalsbilanz setzten noch mal Ausrufezeichen. Am 3. Februar tritt Kaeser auf der ersten virtuellen Hauptversammlung von Siemens ab und übergibt den Vorstandsvorsitz offiziell an Nachfolger Roland Busch. Vor siebeneinhalb Jahren hatte der langjährige Siemensianer losgelegt. "Es geht jetzt nicht um weitere Restrukturierungen, sondern darum, das Unternehmen zu beruhigen", hatte Kaeser im Innenhof der Konzernzentrale gesagt, ein Brunnen plätscherte sanft im Hintergrund, der Himmel in München war weiß-blau.

Ausgeplätschert

Etwas abgekämpft, aber entschlossen wirkte der Ex-Finanzmann, der den Machtkampf um die Konzernspitze gewonnen hatte. Eine weitere Gewinnwarnung hatte das Aus von Peter Löscher, dem Ex-Vorstandsvorsitzenden, besiegelt. Rund siebeneinhalb Jahre später steht fest, dass damit für den Konzern neue Zeiten anbrachen. Denn ab da war Schluss mit den chronischen Gewinnenttäuschungen und der Stagnation bei der Kursentwicklung.

Tatsächlich war es ab jenem Sommertag mit dem Plätschern vorbei. Denn es ging Kaeser letztlich wirklich nicht um die x-te Restrukturierung, sondern um eine Wende zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Der Mann aus Arnbruck war zwar bodenständig, läutete aber mit seiner "Vision 2020" im Frühjahr 2014 einen strategischen Umbruch ein. Anfang 2017 skizzierte Kaeser im Interview mit €uro am Sonntag das Bild eines "Flottenverbands", der aus dem Tanker Siemens entstehen solle. Kaeser formte in der Folge einen industriellen Siemens-Kern und ließ ihn von börsennotierten Spezialisten begleiten: dem Medizintechnik-Unternehmen Healthi- neers und dem Energietechnikkonzern Siemens Energy. Die Töchter sind Siemens heute über Beteiligungen verbunden.

Das Kerngeschäft konzentriert sich derweil auf die Digitalisierung und immer stärker auch auf digitale Produkte für Industriekunden und öffentliche Auftraggeber. Insbesondere die Softwarekompetenz baute Kaeser auch durch milliardenschwere Übernahmen aus. Bei Industrieautomatisierung und industrieller Software sind die Münchner Weltspitze. Nachfolger Busch dürfte künftig auch Mobility und Smarte Infrastruktur verstärkt weiterentwickeln.

Im Herbst 2020 folgte mit dem Börsengang der Energiesparte Siemens Energy (SE) der letzte Schritt zur Umsetzung von Kaesers Masterplan. In den Nachfolger des historischen Siemens-Kerns, der neben dem Generatoren- und Kraftwerkgeschäft auch Energienetze sowie die Windkraft umfasst, können Anleger seit dem 28. September direkt investieren.

Die Turnaround-Story SE wird dabei zusehends zur Erfolgsgeschichte. Das Quartal fiel - wie auch bei Healthineers - unerwartet gut aus. Seit September hat die SE-Aktie rund 50 Prozent an Wert zugelegt. Das Kerngeschäft auf Touren, dazu umtriebige und flotte Töchter - macht in Summe mehr für Aktionäre: Rund 120 Prozent Wertzuwachs brachte die Siemens-Aktie samt Dividenden unter Kaeser. Wobei der Chef großen Wert auf die Ausschüttung legte und auch diese erheblich steigerte. Hinzu kommt gemäß Bezugsverhältnis des Spin-offs im September der halbe Kurs der SE-Aktie - macht also rund 140 Prozent Kaeser-Plus. Der DAX brachte nicht halb so viel.

Dient die Börse als Zeuge, so ist Kaesers Vision, die den Traditionskonzern fit für die globalisierte Welt machen und mehr Wert schöpfen wollte, klar aufgegangen. Der Niederbayer dürfte dies sowie die Geschenke der Kollegen in seinem Heimatort Arnbruck genießen.

Schub: Die Industrieautomatisierungssparte DI springt an, auch dank starker China-Geschäfte. Positives Momentum, attraktiv.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 150,00 Euro
Stoppkurs: 97,00 Euro