Seit der Gründung 1847 als "Telegraphen-Bauanstalt von Siemens und Halske" hat sich beim Münchner Konzern viel verändert. Stillstand bedeutet Rückschritt, Siemens ist inzwischen in allen wichtigen Industriefeldern der Zukunft präsent. Anders als Konkurrent General Electric, der sich in einer tiefen Krise befindet und auf Trumps "America First"-Politik hofft, hat das Siemens-Management schon früh die Weichen für die Zukunft gestellt.

Der mit rund 380.000 Mitarbeitern global breit aufgestellte Industriekonzern wird seit Monaten fit gemacht für die Zukunft - Stichwort "Vision 2020+". Mit einer verschlankten Konzernstruktur rücken zugleich mehr unternehmerische Freiheit in den Fokus, um so die Schlagkraft zu erhöhen und beim Wachstum auf die Überholspur zu wechseln. Drei operative Unternehmen - Gas and Power, Smart Infrastructure und Digital Industries - bilden die Basis des Industriellen Geschäfts. Ergänzend dazu kommen drei strategische Unternehmen: Die Zusammenlegung des Mobilitätsgeschäfts unter Siemens Alstom ist für 2019 geplant, Siemens Gemesa Renewable Energy (SGRE) mit den Windkraftaktivitäten und Siemens Healthineers als führender Anbieter in der medizinischen Bildgebung und Labordiagnostik.

Mit der Restrukturierung, Reorganisation und Optimierung dürfte mittelfristig die Gewinndynamik wieder spürbar anziehen. Bei Gas and Power ist zwar noch Geduld gefragt, die schwache Auftragslage lässt derzeit noch keine Freude aufkommen. Allerdings läuft auch hier bereits die Restrukturierung, bald könnte die Talsohle durchschritten sein.

Aktie mit attraktiven Abschlag



Dank der IPO-Erlöse legten die liquiden Mittel im Geschäftsjahr 2018 um knapp 30 Prozent auf 12,4 Mrd. Euro zu bei gleichzeitig unveränderten Finanzschulden von gut 34 Mrd. Euro. Dank der verbesserten Verschuldungskennzahlen sowie dem robusten Geschäftsmodell sind die Rating-Ausblicke durchweg stabil. Im neuen Geschäftsjahr sollen alle Segmente - mit Ausnahme von Power and Gas - die jeweiligen Margenbänder erreichen oder übertreffen. Die bisher recht hohe Abhängigkeit vom Konjunkturzyklus wird vor allem durch die Medizintechnikgeschäft abgefedert. Siemens rechnet im Geschäftsjahr 2019 mit einem moderaten Umsatzanstieg. Nach 83 Mrd. Euro rechnet der Markt mit etwa 85,4 Mrd. Euro. Bei der bereinigten Marge des Industriellen Geschäfts werden elf bis zwölf Prozent als Ziel vorgegeben, 2018 waren es 11,3 Prozent.

Was bedeutet das für die fundamentale Bewertung? Die Konsensschätzungen für den Gewinn je Aktie sind Mitte November leicht gestiegen. Aktuell werden für 2019 rund 7,20 Euro prognostiziert, 2020 sollen es 8,23 Euro werden. Basierend darauf liegt die Aktie derzeit bei einem KGV (2020) von zwölf, was einem Abschlag von rund 20 Prozent auf den langjährigen KGV-Durchschnitt entspricht. Die nächste Wasserstandsmeldung über die Geschäftsentwicklung gibt es bereits am 30. Januar, wenn Siemens zur Hauptversammlung lädt. Derzeit werden 1,66 Euro Gewinn erwartet, rund 0,20 Euro wenige als vor drei Monaten. Ausgeschüttet werden wahrscheinlich 3,80 Euro je Aktie, die Verzinsung liegt somit bei 3,8 Prozent.

Trend auf dem Prüfstand



Mindestens ebenso spannend ist auch die technische Ausgangslage. Langfristig sorgt ein seit 2012 bestehender Aufwärtstrend (grün) für Halt, der zuletzt bei rund 95 Euro bestätigt wurde. Dem steht im mittelfristigen Zeitfenster ein Abwärtskanal (rot gestrichelt) entgegen. Statistisch ist die Aktie mit einem Abschlag von gut sechs Prozent zur 200-Tage-Linie (hier als 40-Wochen-Durchschnitt) überverkauft und reif für eine Erholung. Zwischenetappen einer Gegenbewegung verlaufen bei 107/108 Euro (200-Tage-Durchschnitt, horizontale Verkaufszone) und um 115 Euro (Grenze des Abwärtskanals). Darüber besteht Spielraum bis 125 und im Idealfall 135 Euro (2017er-Hoch).



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Empfehlung der Redaktion



Als Indexschwergewicht bestimmt Siemens auch die Richtung am Gesamtmarkt. Und hier sollten die Perspektiven durchaus positiv ausfallen, sofern die Weltwirtschaft wieder an Schwung gewinnt und Themen wie der Brexit und Handelsstreit gelöst werden. Noch dominieren die Sorgen, mit knapp drei Prozent Gewinn ist der Wert eher schwach ins neue Jahr gestartet.

Für Optimisten ist das Chance-Risiko-Verhältnis derzeit aber attraktiv, der Aufwärtstrend ermöglicht eine enge Absicherung bei 93 Euro. Fundamental sollten sich die positiven Effekte aus der Strategie "Vision 2020+" nun immer stärker in guten Zahlen niederschlagen.

Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 135,00 Euro
Stoppkurs: 93,00 Euro

Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast bei n-tv und dem Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD). Bei BÖRSE ONLINE war er sechs Jahre Online-Koordinator und Redakteur mit den Schwerpunkten Nebenwerte Deutschland, Zertifikate und Technische Analyse.
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