Die Börsianer bewerteten den neuen Konzern mit 91.000 Mitarbeitern zum ersten Kurs von 22,01 Euro mit 16 Milliarden Euro - weniger als die Analysten ihm im Schnitt zugetraut haben und weniger als der Buchwert, den die Wirtschaftsprüfer beim "Spin-off" im März ermittelt hatten. Sie setzen vielmehr auf die verbleibende Siemens AG, deren Aktie trotz der Abspaltung von einem Drittel des Geschäfts mit einem Kurs von 109 Euro kaum nachgab. Ihre Anteilseigner haben aber für je zwei Siemens-Aktien zusätzlich ein Siemens-Energy-Papier im Depot.
Die Siemens-Energy-Aktien schwankten zum Börsenstart heftig zwischen 19,21 und 22,98 Euro. Die Berg- und Talfahrt dürfte in den nächsten Wochen weitergehen. Denn nicht nur Dax-Indexfonds müssen sich von Siemens-Energy-Aktien trennen, weil das Unternehmen mit der Bewertung zunächst nur Chancen auf den Nebenwerteindex MDax hat. Auch Technologie-Investoren dürften aussteigen. Insgesamt könnten 35 Prozent der Papiere in nächster Zeit den Besitzer wechseln. "Frühestens Mitte Oktober" werde man sehen, wie die Börse Siemens Energy wirklich bewerte, sagte Siemens-Finanzvorstand Ralf Thomas.
Die Siemens AG konzentriert sich mit 240.000 Mitarbeitern auf ihre margenstarken Geschäfte mit der Automatisierung von Fabriken, auf Infrastruktur- und Gebäudetechnik sowie auf Züge und kann den Anlegern damit höhere Renditen versprechen. Zudem hält sie 79 Prozent an der Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers, die an der Börse allein 40 Milliarden Euro wert ist. Damit sind nun drei Unternehmen mit dem Namen Siemens an der Frankfurter Börse notiert.
Die Strategie des scheidenden Vorstandschefs Joe Kaeser, den Mischkonzern aufzuspalten, hat sich vorerst ausgezahlt. Er hegt seit langem den Verdacht, dass Siemens an der Börse unter einem Konglomeratsabschlag leidet. Analysten veranschlagen ihn auf mehr als ein Viertel. "Die eigenständigen Börsennotierungen werden die Wertschaffungspotenziale der jeweiligen Geschäfte deutlich besser als im Konglomerat erschließen können", sagte Kaeser.
KEINE GROSSEN ÜBERNAHMEN AUF DER AGENDA
Aus dem Mischkonzern soll ein Technologieunternehmen werden, wie der künftige Siemens-Chef Roland Busch bekräftigte: "Nach dem weitgehenden Abschluss der strukturellen Weiterentwicklung werden wir jetzt unseren Fokus konsequent auf die digitale Transformation des Unternehmens legen." Vor allem in der Bau- und Gebäudetechnik sieht er da Nachholbedarf. Große Übernahmen stehen in den nächsten Jahren nicht auf der Tagesordnung, zumal die Ratingagenturen klar signalisiert haben, dass sie einer höheren Verschuldung kritisch gegenüberstünden. Finanzvorstand Thomas unterstrich in Frankfurt, dass auch die Zug-Sparte Siemens Mobility nach der geplatzten Fusion mit Alstom Teil des Konzerns bleibe. "Mobility kann sich sehr gut weiter so bewegen. Wir werden aber weiter nach links und rechts schauen."
Für Siemens-Energy-Chef Christian Bruch geht es kurzfristig darum, das Geschäft mit Turbinen für Gas- und Kohlekraftwerke, aber auch mit Windanlagen in die Gewinnzone zurückzuführen. Mittelfristig geht es um nichts weniger als die Energiewende. "Als eigenständiger Konzern haben wir nun die notwendige unternehmerische Flexibilität, um die weltweite Transformation der Energiemärkte nachhaltig und wirtschaftlich erfolgreich mitzugestalten", sagte Bruch. Der Ausstieg aus dem Bau neuer Kohlekraftwerke ist vorgezeichnet. Der größte Hoffnungsträger ist die spanische Wind-Tochter Siemens Gamesa, die wegen des Preiskampfs in der Branche aber ebenfalls rote Zahlen schreibt. Die 67-Prozent-Beteiligung an Gamesa ist allein knapp zehn Milliarden Euro wert.
GRÖSSTER SPIN-OFF IN DEUTSCHLAND
Anders als bei Healthineers war Kaeser bei Siemens Energy daran gelegen, die Mehrheit sofort abzugeben. Man habe Siemens Energy finanziell so aufgestellt, dass es "von Tag eins auf eigenen Füßen stehen kann", sagte Thomas. 55 Prozent der Aktien liegen nun bei den eigenen Aktionären, 9,9 Prozent übernahm der Siemens-Pensionsfonds. Die restlichen 35,1 Prozent sollen binnen zwölf bis 18 Monaten weiter abschmelzen. Doch wolle Siemens für etwa fünf Jahre eine Sperrminorität behalten, zumal der Konzern für mehr als 40 Milliarden Euro an Verträgen von Siemens Energy bürge, sagte Thomas. "In dieser Zeit möchte ich für die Siemens AG ein gewisses Mitentscheidungsrecht haben."
Siemens Energy ist der größte "Spin-off" eines Dax-Konzerns. Zuvor hatte Bayer auf dem selben Weg Lanxess und Covestro als eigenständige Unternehmen an die Börse gebracht. E.ON trennte sich von Uniper. Auch Siemens hat mit Abspaltungen Erfahrung: 2013 waren die Aktien von Osram an die eigenen Anteilseigner verteilt worden. Ähnliches plant Siemens nächstes Jahr mit der Getriebetochter Flender, hält sich aber einen Verkauf an einen Investor offen.
rtr