B ernd Montag gibt sich optimistisch. "Zwei große Sprünge nach vorn" sieht der Chef von Siemens Healthineers in der Übernahme von Varian Medical Systems, "einen im Kampf gegen Krebs und einen in der Bedeutung des Unternehmens für die Gesundheitsversorgung insgesamt". Mit der 14 Milliarden Euro schweren Akquisition des Medizintechnikers in Palo Alto will die Siemens-Tochter ihr Geschäft mit der Krebsforschung und -therapie ausbauen.
Die Amerikaner zählen zu den weltweit führenden Unternehmen im Bereich der Krebsversorgung und sind auf Strahlentherapie spezialisiert. Der Zukauf soll in bar erfolgen und zum Teil durch eine Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht finanziert werden. Die Aufnahme von Eigenkapital verwässert einerseits den Wert für die Altaktionäre, andererseits würde aufgrund des steigenden Freefloat - allerdings erst mittelfristig - die Aufnahme von Siemens Healthineers in den DAX wahrscheinlicher. Das verliehe dem Aktienkurs erfahrungsgemäß einen Schub.
Der eigentliche Reiz der Übernahme liegt aber an anderer Stelle. Mit Varian ergänzen die Münchner ihr Angebotsportfolio. Martin Schnee vom Analysehaus Fairesearch sieht die Übernahme als Teil einer Wachstumsstrategie: "Healthineers kann Bild, und Varian kann Behandlung." Beides passe zusammen. Die Kombination von Diagnostik und Behandlung ermögliche beispielsweise die Entwicklung neuartiger integrierter Geräte, die günstiger seien als mehrere einzelne.
Kein Schnäppchen
Der Preis, den die Münchner für das kalifornische Unternehmen bezahlen müssen, erscheint mit einem KGV von deutlich über 30 allerdings stattlich. "Varian ist kein Schnäppchen", sagt Kai Brüning von der Düsseldorfer Apo Asset Management. Überrascht habe ihn aber vor allem die Übernahme im Bereich Radiologie. Strahlentherapie sei kapitalintensiv, daher hielten sich die Krankenhäuser hier schon seit Jahren mit Investitionen tendenziell zurück. "Ich denke, die Corona-Krise wird diese Zurückhaltung eher verstärken."
Für Anleger liegt darin ein Risiko. Denn es kann ein oder zwei Jahre dauern, bis die Corona- Krise medizinisch überwunden ist. Und bis die Krankenhäuser die außerordentlichen finanziellen Belastungen durch die Pandemie verdaut haben, wird es voraussichtlich noch länger dauern. Erst dann könnten sie über die Mittel verfügen, um wieder verstärkt in die Krebsversorgung zu investieren. Staatliche Hilfen allerdings könnten die Wiederbelebung der Nachfrage beschleunigen, sind jedoch keineswegs gewiss.
Ungelöstes Thema
Die Verstärkung des Geschäfts mit Großgeräten löst zudem nicht das Problem von Siemens Healthineers in der Sparte Labordiagnostik. Das Geschäft etwa mit der Diagnostikplattform Atellica, obwohl bereits Ende vergangenen Jahres zur Chefsache erklärt, kommt weiterhin nicht recht in Gang. Die Umsätze entwickelten sich schon vor der Corona-Krise von Quartal zu Quartal allenfalls schleppend. Zuletzt war der Umsatz in dieser Sparte sogar rückläufig.
Die leicht schwächeren, aber wenig überraschenden Geschäftszahlen der Münchner zum dritten Quartal wurden eher beiläufig zur Kenntnis genommen. Beim Umsatz erfüllte der Konzern mit 3,31 Milliarden Euro die ohnehin geringen Erwartungen der Analysten. Beim bereinigten operativen Ergebnis (Ebit) lagen die Erlanger mit 461 Millionen Euro sogar etwas darüber.
Wichtiger und von größerer Tragweite als die Momentaufnahme des Dreimonatsergebnisses ist jedoch das Gelingen der Integration von Varian. Die langjährige Geschäftsbeziehung beider Unternehmen und die Zustimmung des Management Board der Amerikaner zur Übernahme bieten eine gute Voraussetzung hierfür.
Wann aber die ersten neuen gemeinsamen Produkte auf den Markt kommen, ist offen. Ebenso, wann die Nachfrage im Bereich Krebsversorgung wieder spürbar anzieht. Und weiterhin ist ungewiss, ob und inwieweit Nachholeffekte durch in der Corona-Krise verschobene Krebsbehandlungen und Investitionen in der Zukunft zu beobachten sein werden.
Risiken: Die Übernahme ist teuer. Die CoronaKrise belastet die Nachfrage. Anleger sehen von Neuengagements ab.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 46,00 Euro
Stoppkurs: 33,00 Euro