LAGE BEI SIEMENS:

Der seit 2013 als Konzernchef wirkende Kaeser hinterlässt seinem Nachfolger Roland Busch ein bestelltes Feld. Die jahrelange Neuausrichtung hin zum Kerngeschäft Digitalisierung fand im vergangenen September mit der Abspaltung des Energiegeschäfts vorläufig ihren Abschluss. In den Jahren zuvor hatte der Konzern unter anderem das Windgeschäft mit dem spanischen Konkurrenten Gamesa fusioniert und seine Medizintechniktochter an die Börse gebracht. Lediglich die Zusammenlegung des Zuggeschäfts mit dem französischen Wettbewerber Alstom scheiterte an den Behörden.

Das weit verzweigte Siemens-Reich ist damit deutlich einfacher strukturiert und klarer aufgestellt. Risiken wurden gesenkt. Siemens wird künftig noch stärker auf das Geschäft mit Automatisierung und Software sowie intelligenter Infrastruktur setzen, von dem sich die Münchner große Wachstumschancen versprechen. Zur Hauptversammlung an diesem Mittwoch (3.2.) übergibt Kaeser den Staffelstab dann endgültig an Busch. Dieser steht vor der Aufgabe, das Geschäft von Siemens mit der digitalen Technik weiterzuentwickeln und einen schlagkräftigen Konzern zu formen.

Auch steuert das Unternehmen solide durch die Corona-Krise. Im vergangenen Geschäftsjahr hatte sich vor allem das Geschäft mit Industrie-Software robust entwickelt. Schwieriger zeigte sich hingegen das Geschäft mit der Automatisierung in den wichtigen Branchen Automobil, Maschinenbau und Luftfahrt.

Für das erste Quartal des neuen Geschäftsjahres 2020/21 hat Siemens nun operativ starke Signale gesendet. Vor allem die Automatisierungs- und Softwaregeschäfte und der Bereich Smart Infrastructure hätten sich stark entwickelt und deutlich höhere Ergebnisse im Vergleich zum Vorjahr geliefert, teilte das Unternehmen vorab mit. Vor allem das China-Geschäft sei stärker gewachsen als erwartet.

Und auch noch von der mehrheitlich gehaltenen Tochter Siemens Healthineers kamen zuletzt gute Nachrichten: Der Medizintechnikkonzern schnitt im ersten Quartal deutlich besser ab als erwartet und erhöhte seine Prognose.

Siemens kündigte an, den Ausblick für das bis Ende September laufende Geschäftsjahr zu überprüfen und nährte damit Hoffnungen des Marktes auf eine Erhöhung der Ziele. Bislang geht der Konzern wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie von einem moderat steigenden vergleichbaren Umsatz sowie einem moderat zunehmenden Gewinn nach Steuern aus. Analysten hatten die Prognose bislang als konservativ erachtet. Ausführlich will der Konzern vor Beginn der Hauptversammlung berichten.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Viele Marktexperten haben in jüngster Zeit ihre Kursziele für Siemens erhöht und empfehlen das Papier zum Kauf. So rief die Privatbank Berenberg jüngst ein Kursziel von 160 Euro auf und gehört damit zu den größten Optimisten. Er möge die neue Siemens, schrieb Analyst Philip Buller in einer Ende Januar veröffentlichten Studie. Mit der Abspaltung von Siemens Energy hätten die Münchner ihre Struktur vereinfacht. Und wenn das erste Geschäftsquartal Aussagekraft besitze, so der Experte weiter, dann habe der Konzern auch wiederentdeckt, wie man seine Pläne im Tagesgeschäft in die Tat umsetzt. Siemens habe dabei deutlich besser als erwartet abgeschnitten. Buller verwies auf ein starkes Wachstum und eine herausragende Margenentwicklung.

Auch die Deutsche Bank steht auf der Käuferseite, mit einem Kursziel von 152 Euro. Der Industriekonzern habe es offenbar gelernt, seinen technologischen Vorsprung nun auch in bare Münze umzuwandeln, so Analyst Gael de-Bray. Der Konzern sei "in einer einzigartigen Position", um seine Stärke in der digitalen Welt zu nutzen. Er sei auch ein wichtiger Profiteur staatlicher Konjunkturprogramme.

Das Analysehaus Jefferies hob das Kursziel nach den Quartalszahlen ebenfalls an - auf 150 Euro. Der Technologiekonzern habe ein hervorragendes erstes Geschäftsquartal hinter sich, schrieb auch Analyst Simon Toennessen in seiner jüngsten Studie. Es belege, dass der Marktfokus sich nach der Abspaltung von Siemens Energy von der Diversität des Unternehmens und dem Konglomeratsabschlag hin zur Qualität der Vermögenswerte verschiebe. Toennessen hob seine Ergebnisschätzungen an und liegt nun nach eigenen Angaben über den Konsensprognosen.

Im Segment Digital Industries sei die Profitabilität im ersten Geschäftsquartal beeindruckend hoch gewesen, so der Analyst. Höhere Ziele des Industriekonzerns für das gesamte Geschäftsjahr bei der Veröffentlichung des Quartalsberichts Anfang Februar seien nun "sehr realistisch". Auch Daniela Costa von der US-Investmentbank Goldman Sachs rechnet mit einer Anhebung des Ausblicks.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Aktie hat seit Wochen einen guten Lauf. Ende Januar hangelte sich das Papier von Rekord zu Rekord. Die guten operativen Zahlen zum Jahresauftakt ließen "die neue Siemens" danach auch erstmals die Marke von 130 Euro knacken. Danach war die Luft zunächst aber etwas raus. Aktuell notiert das Papier wieder knapp unter der Marke. Der Kurs ist dabei um die jüngsten Abspaltungen wie etwa Siemens Energy bereinigt. Mit Blick auf die zuletzt vielfach angehobenen Kursziele halten Börsianer die Aktien dabei immer noch für zu günstig bewertet.

Den Corona-Crash im März vergangenen Jahres konnte Siemens schon wenige Monate später ausgleichen. Von rund 103 Euro Ende Januar 2020 war es damals bis auf Kurse von rund 53 Euro zurückgegangen. Seitdem hat sich das Papier kräftig erholt.

In diesem Jahr hat die Aktie rund neun Prozent dazugewonnen, nach rund elf Prozent im vergangenen Jahr. Blickt man 5 Jahre zurück, liegt das Kursplus bei mehr als 60 Prozent.

Mit einer Marktkapitalisierung von gut 110 Milliarden Euro gehört Siemens zu den Schwergewichten im Dax (DAX 30). Nur der Softwarekonzern SAP (SAP SE) ist aktuell mehr wert als die Münchner.

dpa-AFX