Das Projekt trägt den schönen Namen HOL-I-WOOD. Und tatsächlich erinnert die Szene ein wenig an Science- Fiction-Streifen aus der amerikanischen Filmfabrik. Doch statt Tom Cruise oder Keanu Reeves bewegt sich Diplom-Ingenieur Philipp Tiefenbacher mit kleinen Schritten durch die virtuelle Realität. Die besteht aus einer weißen Bodenplatte und drei Leinwänden. Als das Licht ausgeht, taucht dort die Projektion einer Maschine auf. Richtig plastisch kann das Bild nur Tiefenbacher mit seiner 3-D-Brille sehen. In seiner Hand hält der junge Wissenschaftler ein Tablet. Sobald er mit diesem durch den Raum spaziert, verändert sich auch die Projektion. Ganz so, als würde er vor einer echten Maschine auf und ab gehen und sie immer in der richtigen Perspektive sehen.
Die Simulation ist freilich kein Selbstzweck. Und HOL-I-WOOD mag zwar an die US-Filmindustrie erinnern, aber tatsächlich geht es um eine Innovation in der Holzindustrie. Konkret um einen Roboter, der bei der Verarbeitung von Brettern tote Äste oder Harzeinschlüsse automatisch erkennen und ausbessern soll. Bisher ist dies eine recht zeitaufwendige Arbeit, die von Hand erledigt werden muss. Ein europäisches Konsortium aus Wissenschaftlern und Firmen will dies nun ändern.
Mit dabei: die Technische Universität München, wo Tiefenbacher am Lehrstuhl für Mensch-Maschine- Kommunikation forscht. Dort geht er der Frage nach, wie sich eine solche Maschine möglichst intuitiv steuern und warten lässt. Das Ergebnis seiner Arbeit wird ein Tablet sein, mit dem sich der Benutzer frei in der Fabrikhalle bewegen kann. Steht etwa eine Wartung an, geht man mit dem Gerät um die Maschine herum und sieht diese auf dem Bildschirm immer in der richtigen Perspektive. Das fehlerhafte Teil leuchtet dann dort auf. Und ein entfernt sitzender Experte, der das Bild ebenfalls sieht, kann Reparaturinfos auf den Monitor schicken.
Ohne Gelder aus Brüssel wäre dieses Projekt nicht möglich. Insgesamt 4,2 Millionen Euro kostet die Entwicklung des Holzroboters und der Steuerungssoftware. 2,9 Millionen Euro davon übernimmt die EU. Es sind keine Kleckerbeträge, mit denen die Europäische Union Forschung und Innovation in den Mitgliedsländern fördert. Von 2014 bis 2020 sollen dafür rund 77 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
Dennoch ist dies nur ein relativ kleiner Teil der Gelder, die in Brüssel verwaltet werden. 960 Milliarden Euro zahlen die europäischen Mitgliedsländer in den kommenden sieben Jahren in den Gemeinschaftshaushalt ein. Knapp ein Fünftel davon - 192 Milliarden Euro - steuern die deutschen Steuerzahler bei. Dieses Geld wird auf verschiedene Töpfe verteilt, um gemeinsame Ziele zu finanzieren. Dazu gehören vor allem Wachstum und Beschäftigung. Knapp ein Drittel des EU-Haushalts wird bis 2020 für sogenannte Strukturfonds ausgegeben.
Auf Seite 2: Der Traum vom Friseurberuf
Der Traum vom Friseurberuf
Ein Teil der Gelder - knapp 20 Milliarden Euro - geht nach Deutschland. Und landet in Projekten wie dem am Berufsschulzentrum Miesbach. Dort träumt Ido Darwish davon, Friseur zu werden. Ein normaler Berufswunsch für einen Jugendlichen. Doch die Situation, in der sich der 21-jährige Iraker befindet, ist alles andere als normal. Darwish ist Asylbewerber in Deutschland, will hier ein neues Leben beginnen. Und er hat Glück. Denn gemeinsam mit 15 weiteren Asylbewerbern und Flüchtlingen darf er am Berufsschulzentrum die "Vorklasse zum Berufsintegrationsjahr" besuchen.
Die Jugendlichen aus unterschiedlichen Kulturen lernen dort Deutsch, Mathematik und grundlegendes Wissen, das sie im Alltag hierzulande brauchen. Das alles soll sie vorbereiten, damit sie im kommenden Schuljahr gemeinsam mit ihren deutschen Mitschülern lernen und Praktika machen können.
"Mithilfe der EU-Förderung können wir ein Vollzeitangebot bieten", sagt Schulleiter Martin Greifenstein. Gut 34 000 Euro stammen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds ESF, auf mehr als 65 000 Euro belaufen sich die Gesamtkosten des Unterrichtsprojekts. Gut angelegtes Geld, findet Regierungsschuldirektor Jürgen Ersing. "Durch eine Berufsausbildung erhalten die Jugendlichen die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Und wenn sie ihr eigenes Geld verdienen, kommt das auch unserer Wirtschaft zugute." An Motivation fehle es jedenfalls nicht, berichtet Klassenlehrer Raimund Schlögel: "Die wollen alle - im Gegensatz zu manch deutschem Berufsschüler."
Anders als im Forschungsbereich werden die Gelder für Projekte wie in Miesbach nicht direkt in Brüssel beantragt. Die EU stellt zwar die Mittel bereit, aber wo sie eingesetzt werden, darüber entscheiden die Mitgliedsländer selbst. Im Fall des Miesbacher Berufsschulzentrums das bayerische Kultusministerium.
Auf Seite 3: Neuausrichtung mit Kräutern
Neuausrichtung mit Kräutern
Die Entscheidungshoheit über die Verwendung von Fördergeldern haben Europas Regionen auch, wenn es um die Entwicklung des ländlichen Raums geht. Idyllisch am Rand der bayerischen Voralpen liegt die 3800-Einwohner-Gemeinde Bad Heilbrunn. Im Südosten schwingen sich Blomberg und Zwiesel über die 1200-Meter-Marke. Im Norden erstrecken sich zahllose grüne Wiesen. Eine Landschaft, wie geschaffen zum Entspannen. Größter Arbeitgeber am Ort ist eine Rehaklinik. Lange lief es gut mit dem Kurbetrieb im Ort, doch als die Krankenkassen die Leistungen kürzten, ging es auch mit den Gästezahlen bergab.
Die Gemeinde suchte nach einer Neuausrichtung und fand sie - im benachbarten Kloster. Dort entstand im 13. Jahrhundert das "Benediktbeurer Rezeptar", eine der ältesten erhaltenen medizinischen Handschriften. 35 Pflanzen mit ihren Anwendungsempfehlungen werden darin erklärt. Warum diese Tradition nicht touristisch nutzen, dachten sich die Bad Heilbrunner. Und so gibt es seit einigen Jahren eine neue Attraktion in dem Ort: den Kräuter- Erlebnis-Park.
In der zentral gelegenen und frei zugänglichen Grünanlage können Besucher mehr als 400 verschiedene Kräuter, Duft- und Blühpflanzen erleben. Wer tiefer eintauchen will, lässt sich von einer Kräuterpädagogin durch den Park führen oder besucht einen Workshop, in dem man etwa Kräuteressig herstellen kann.
Dass es den Erlebnispark in dieser Form gibt, ist auch EU-Geldern zu verdanken. Rund 150 000 Euro erhielt das Projekt aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Mit diesem Fonds will die EU das Stadt-Land-Gefälle ausgleichen, etwa indem die Ansiedlung von Unternehmen unterstützt oder touristische Projekte gefördert werden. Die Verteilung der Gelder erfolgt durch die Regionalregierungen. Zuständig in Bayern und damit auch für das Projekt Kräuter-Erlebnis-Park ist das Landwirtschaftsministerium.
Auf Seite 4: Ideen mit "Leader" umsetzen
Ideen mit "Leader" umsetzen
Rund fünf Prozent des ELER-Topfs sind für die sogenannte Leader-Förderung vorgesehen. Das Kürzel steht für "Liaison entre Actions de Développement de l’Économie Rurale", zu deutsch "Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft". Was kompliziert klingt, heißt nichts anderes, als dass lokale Aktionsgruppen ein regionales Entwicklungskonzept umsetzen.
In den Aktionsgruppen schließen sich Vereine und Verbände, aber auch örtliche Kreditinstitute zusammen. Und die überlegen sich sehr genau, was sie wollen oder brauchen. Denn mindestens die Hälfte der Finanzierung müssen die Projektträger selbst übernehmen. Das war in Bad Heilbrunn nicht anders. Deshalb war es den Verantwortlichen um Projektmanager Andreas Wüstefeld von Anfang an wichtig, den Erlebnispark in ein umfassendes Tourismuskonzept einzubetten.
So tritt die gesamte Region um Bad Heilbrunn - das Tölzer Land - seit 2009 unter der Dachmarke "Kräuter-Erlebnis-Region" auf. Auch für diese touristische Ausrichtung gab es rund 14 000 Euro Förderung von der EU. Mittlerweile beteiligen sich 150 Partner an dem Konzept - von der Gaststätte, die Kräutergerichte anbietet, bis zum lokalen Teehersteller Bad Heilbrunner, der den Kräuterpark unterstützt. Daneben können sich auch die Bäuerinnen der Region ein zweites Standbein aufbauen, indem sie sich zu Kräuterpädagoginnen ausbilden lassen.
Wie stark sich eine solche touristische Neuorientierung in Euro und Cent auszahlt, werden die kommenden Jahre erweisen. Eines ist den Projektverantwortlichen aber schon heute gelungen: dass auch die Einheimischen selbst den Kräuterpark akzeptieren und nutzen. "Es gibt im Park beispielsweise eine Fläche, auf der die Schüler des Orts Kräuter und Gemüse anbauen", sagt Ulrich Glodowski, Leiter der Gästeinformation. "Dadurch interessieren sich auch deren Eltern für den Park." Und vielleicht auch ein bisschen mehr für die Europäische Union.
Auf Seite 5, 6 und 7: Investor-Info