China kann es nicht einfach weiter so beiden Seiten Recht machen. Es muss positive geopolitische Verantwortung übernehmen, sonst wird es selbst zur Verantwortung gezogen.
Wer mit dem Schmuddelkind spielt, wird selbst schmutzig
Ohne große Eigenanstrengung glaubte China an strategischer Bedeutung zu gewinnen. Die abkühlende Leidenschaft Amerikas schien Europa wie eine reife Frucht in den Schoß Chinas fallen zu lassen. Langfristig - und die KP denkt immer langfristig - hätte Amerika einen immer noch wichtigen Vorposten verloren. Doch hat Putins Ukraine-Krieg die geopolitischen Karten neu gemischt. Zunächst macht die unerwartete Geschlossenheit des Westens es auch Peking schwer, einen Keil zwischen die transatlantischen Partner zu treiben.
Ohnehin, heutzutage erschweren die sozialen Medien die zensierte Berichterstattung von oben dramatisch. Die Wahrheit ist nicht mehr das erste Kriegsopfer. Putins Lügen werden grandios entlarvt. Nichts mitbekommen zu haben, kann China nicht mehr als entschuldigende Ausrede vorbringen. Schweigen heißt sich mitschuldig zu machen. Das nutzt der Westen genüsslich aus. Im Windschatten der russischen Invasion unterstellt er China jetzt Gelüste auf Taiwan. Und unabhängig davon, ob Moskau Peking tatsächlich um Waffenhilfe gebeten oder sogar schon erhalten hat, gilt das Putin-verstehende China jetzt als verdächtig. Vor allem Amerika beherrscht das Geschäft, dass selbst falsche Verdächtigungen hartnäckig wie Kaugummi am Schuh kleben bleiben.
Dem gegenüber können sich die USA als eine Art globale Friedenstaube auch in den aufstrebenden Ländern Asiens präsentieren, denen die zunehmende Abhängigkeit von China ohnehin nicht süß, sondern sauer aufstößt. Insgesamt gerät China in die Defensive, was der KP überhaupt nicht schmeckt.
China hat viel zu verlieren
Ebenso hängen schwere wirtschaftliche Damokles-Schwerter über China. Wegen "Beihilfe" zur Umgehung westlicher Sanktionen könnte auch Peking bestraft werden. So sind chinesische Banken mit umgerechnet ca. 90 Mrd. Dollar der größte Kreditgeber Moskaus, die durch zukünftige Ölimporte aus Russland abgesichert sind. Daneben wird ein Teil der russischen Devisenreserven in Yuan gehalten. Das sind gleich drei Gründe in die Schusslinie zu geraten.
Und die Verbindungen Pekings zu Moskau haben längst auch die Börse in Shanghai erreicht. Dort wird befürchtet, ein Entgegenkommen Pekings gegenüber Putin könnte zu restriktiven Maßnahmen des Westens gegenüber chinesischen Unternehmen führen. Für die internationale Reputation Chinas an den Finanzmärkten wäre es fatal, wenn seine Aktien bei ausländischen Investoren noch mehr in Ungnade fielen. Bereits jetzt hat der marktwirtschaftsfeindliche Druck der Regierung auf Technologiekonzerne viel chinesisches Porzellan zerschlagen. Wo sind eigentlich der Alibaba-Gründer Jack Ma und die anderen Großkopferten abgeblieben? Und wenn im Extremfall neben russischen auch chinesische Aktien aus den internationalen Aktienindizes fliegen, wären sie im Westen geächtet wie Robin Hood vom Sheriff von Nottingham. Diese Lektion scheint China verstanden zu haben. Es will den Aktienmarkt stabil halten und mit den USA sogar in Finanzregulierungsfragen - bislang für Peking ein rotes Tuch - kooperieren.
Peking im geopolitischen Reality Check
China trägt also ein großes Risiko, wenn es ein vom Westen isoliertes Russland vor dem politischen, militärischen und (finanz-)wirtschaftlichen Niedergang oder gar der Staatspleite bewahrt. Warum auch? Abseits der ideologischen Ablehnung westlicher Werte verbindet Moskau und Peking schon historisch keine wahre Liebe, für die man große Opfer bringen will. Vielleicht entspricht das russisch-chinesische Verhältnis dem von so manchem Schwiegersohn zu seiner Schwiegermutter. Warum es sich für die Großmachtvisionen eines irrlichternden Präsidenten mit den USA und Europa verscherzen? Denn im Vergleich mit der "Zwergen-Wirtschaft" Russland macht China mit diesen Regionen ein Vielfaches des Handels. Warum also einen Zwergenaufstand unterstützen, wenn aus dem Westen der riesengroße Bumerang zurückkommt. Und was nutzt günstig produzierte chinesische Ware, wenn sie nicht in westlichen Regalen liegt? Ideologie macht selbst die Chinesen nicht satt.
Überhaupt ist China derzeit binnenwirtschaftlich kein blühendes Land. Die Null-Covid-Strategie macht den Chinesen zu schaffen. Und wie wahrscheinlich ist es, dass die Immobilienkrise vorbei ist? So wahrscheinlich wie Streuobstwiesen unkrautfrei sind!
Dies spricht insgesamt dafür, dass China nicht mehr nur der möglichst unbeteiligte Günstling des Ost-West-Konflikts sein will. Natürlich sollte niemand erwarten, dass Peking auf einen westlichen Kurs einschwenkt. Wenn es aber immerhin dem russischen Bären so kräftig auf die Tatzen haut, dass die Risiken für die (Wirtschafts-)Welt wieder kleiner werden, würde China zeigen, dass es bereit ist, endlich positive geopolitische Verantwortung zu übernehmen. Denn nur dann ist man eine echte ernstzunehmende Supermacht.
Glück auf nach Peking!
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.