Kaum ein Finanzprodukt genießt bei Anlegern auf der ganzen Welt so viel Ansehen wie die zehnjährige Bundesanleihe. Sie gilt als risikoloses Wertpapier, kann jederzeit zu barem Geld gemacht werden und dient als Richtschnur für andere europäische Papiere. Doch ihr Status als "Benchmark Bond" wankt. Experten halten es für möglich, dass Frankreich mit seinen Staatsanleihen der Bundesrepublik langfristig den Rang abläuft. "So etwas wäre ein schleichender Prozess und passiert nicht von heute auf morgen, aber ganz auszuschließen ist es nicht", sagt Anleihenspezialist Rainer Guntermann von der Commerzbank.
Schuld an den aufkeimenden Diskussionen sind Finanzminister Wolfgang Schäuble und die Europäische Zentralbank (EZB). Die Sparpolitik des Bundes senkt das Emissionsvolumen der deutschen Schuldverschreibungen. Gleichzeitig kauft die EZB im Rahmen des sogenannten Quantitative Easing (QE) Anleihen im großen Stil auf und saugt damit einen Großteil des Angebots ab. "Der Zweck einer Benchmark-Anleihe ist, dass der Markt liquide und groß ist und diese Eigenschaften verschwinden allmählich bei den Bunds", sagt Volkswirt Bert Lourenco von der Bank HSBC.
Den Status "Benchmark" legt niemand fest, er entwickelt sich am Finanzmarkt über Jahre. Neben der zehnjährigen Bundesanleihe gelten die vergleichbaren Staatsanleihen aus den USA und Japan als richtungsweisend. Die Kurse der Bonds anderer Länder orientieren sich an ihnen und es werden Renditeaufschläge darauf berechnet. Für Anleger wird dadurch das Risiko einer Anleihe deutlich, denn in der Regel gilt: Je höher ein solcher Aufschlag, desto höher ist das Risiko eines Zahlungsausfalls.
KEHRSEITE DER "SCHWARZEN NULL" UND DER GELDPOLITIK
Die mit dem Schuldenmanagement beauftrage Finanzagentur gibt immer weniger Anleihen heraus. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Wegen sprudelnder Steuereinnahmen und niedriger Leitzinsen muss die Bundesregierung weniger Schulden aufnehmen. Seit 2014 erwirtschaftet Deutschland sogar Haushaltsüberschüsse. Auf der anderen Seite kauft die EZB im Rahmen ihres inzwischen 1,7 Billionen Euro schweren Anleihe-Kaufprogramms so viele Staatspapiere aus Deutschland wie aus keinem anderen Land in Europa. Frankreich steht an zweiter Stelle, gefolgt von Italien. "Die EZB will die Märkte mit ihrem Kaufprogramm nicht zu sehr stören, aber es ist klar, dass sie es trotzdem tut", sagt Analyst Patrick O'Donnell vom Vermögensverwalter Aberdeen.
Für Anleger ist das bereits deutlich spürbar: Die EZB-Käufe und die durch politische und wirtschaftliche Unsicherheiten ausgelöst Flucht von Investoren in sichere Anlagen drückte die Rendite des zehnjährigen Bundespapiere im Juni erstmals unter die Null-Prozent-Marke. Seither müssen Anleger dem Staat etwas dafür bezahlen, dass sie ihm Geld leihen dürfen.
FRANKREICH WÄCHST IN BENCHMARK-STATUS HINEIN
Einer der Gründe, weshalb manch ein Analyst Staatsanleihen aus Frankreich im Kommen sieht, ist die reine Größe des Markets: Nach Berechnungen der Commerzbank ist der französische Anleihe-Markt insgesamt 1,4 Billionen Euro schwer, der Deutsche 1,1 Billionen Euro. Das Volumen der Neuemissionen in Deutschland habe 2015 auf 156 (2014: 172) Milliarden Euro abgenommen, in Frankreich dagegen auf 217 (203) Milliarden Euro zugelegt. "Der französische Staatsanleihenmarkt ist eine gute Alternative zu Deutschland, weil er größer ist und einen gut funktionierenden Terminmarkt hat", sagt Lourenco.
Nach Meinung von Analyst Dwight Bolden von der Metzler-Bank ist es allerdings zu kurz gesprungen, nur auf die Größe des Anleihenmarkts zu achten. "Ein besonders wichtiger Punkt für den Benchmark-Status ist auch die Bonität eines Landes." Deutschland ist eines der wenigen Ländern weltweit, das von den großen Ratingagenturen noch mit die Top-Note "AAA" für seine Kreditwürdigkeit ausgezeichnet wird. Frankreich, die nach Deutschland zweitgrößte Volkswirtschaft in der Euro-Zone, wird von den Ratingexperten etwas schlechter bewertet. Bolden ist sich deshalb sicher: "Zumindest kurzfristig wird sich nichts am Benchmark-Status der zehnjährigen Bundesanleihen ändern."