Der Fehler liegt im System: "Eine Schwierigkeit im deutschen System ist, dass es spekulativen Investoren bei Übernahmen zu leicht gemacht wird, Geld zu verdienen und damit die Transaktion zum Schaden anderer Aktionäre zu gefährden", sagt Christian Kames, der das Investmentbanking von JPMorgan in Deutschland leitet. Regeln wie in Großbritannien oder den USA könnte ihnen den Wind aus den Segeln nehmen.
Die starren, komplexen Regeln bei Übernahmen "kreieren ein vielversprechendes Spielfeld für Hedgefonds", wie der erfahrene Banker sagt. Käufer brauchen eine Mehrheit von 75 Prozent der Aktionäre, die ihre Anteilsscheine an sie abgeben. Nur dann bekommen sie mit einem Beherrschungsvertrag Zugriff auf die Kasse des Zielunternehmens - das ist die Voraussetzung für Kredite zur Finanzierung der Übernahme. Und auch nachdem die Akquisition unter Dach und Fach ist, bleiben den Spekulanten noch mehrere Optionen, um über eine Abfindung auch den letzten Cent herauszuholen. Doch damit können sie sich leicht verzocken: Wenn sie vorher ihre Aktien zurückhalten, können sie die ganze Transaktion zu Fall bringen.
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Hier drohe auch Linde noch Ärger: "Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sich hier Hedgefonds einkaufen werden", unkt ein Banker, der nicht genannt werden will. Denn das Risiko für die Spekulanten, dass die Aktie des Gasekonzerns einbräche, wenn die 75-Prozent-Schwelle verfehlt wird, sei gering - anders als bei Stada. Denn ehe die Hoffnung auf eine Übernahme keimte, lag die Stada-Aktie 40 Prozent unter der Offerte von Bain und Cinven.
Die Übernahme des hessischen Arzneimittelherstellers droht an einem anderen Webfehler zu scheitern: Immer mehr Papiere liegen in börsennotierten Fonds (ETFs) oder anderen Vehikeln, die nur Indizes abbilden. "Denn sie dienen ihre Aktien erst nach Erreichen von Schwellenwerten an und können damit eine Übernahme ungewollt zum Scheitern bringen", erklärt Rainer Langel, der für die australische Investmentbank Macquarie einen der Stada-Bieter begleitet. ETFs dürfen ihre Papiere erst dann abgeben, wenn die Übernahme perfekt ist.
In angelsächsischen Ländern ist das einfacher. Dort stimmen die Aktionäre auf einer Hauptversammlung ab, und die Mehrheit entscheidet, ob alle Anteilseigner ihre Papiere abgeben müssen. "Das gäbe in bestimmten Situationen zusätzliche Transaktions-Sicherheit", sagte Rothschild-Investmentbanker Dirk Pahlke. Dass zwar die Aktionäre bei Praxair mitreden dürfen, nicht aber bei Linde, missfällt nicht nur Kleinaktionärsvertretern, sondern auch großen Investmentfonds. Kames fände ein System wie in den USA "deutlich effizienter" als das deutsche.
Aber so lange das Gesetz ist, müssen Käufer und Verkäufer damit leben - und das könnten sie auch, meint Pahlke. Auch der Deutschland-Chef der britischen Barclays, Alexander Doll, sieht das Thema gelassen. "Dass Übernahmen scheitern, ist ja nicht die Ausnahme - das ist weltweit so. Als Faustregel gilt: Nur zehn bis 20 Prozent aller Übernahmepläne sind erfolgreich." Ein Großteil scheitert, bevor sie das Licht der Öffentlichkeit erblicken.
Dass sich die Fehlschläge häufen, könnte auch daran liegen, dass die Vorstandschefs unter dem Druck der Investoren derzeit auch riskantere Übernahmeprojekte wagen. "Geld ist nach wie vor im Übermaß verfügbar, die Finanzierungskosten sind auf einem historischen Tiefstand, die Vorstände haben Vertrauen in ihr Geschäft", zählt Macquarie-Banker Langel die Gründe auf, warum die Manager sich auf ihrer Einkaufstour nicht entmutigen lassen. "In diesem Umfeld passiv zu bleiben, hält kein Vorstandschef lange aus." Die Investmentbanker erwarten auch in der zweiten Jahreshälfte etliche Milliarden-Übernahmen in Deutschland - oder zumindest den Versuch dazu.
rtr