Emmanuel Macron hat die Stichwahl um das Präsidentenamt mit 58,55 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen. An den Börsen wurde sein Sieg erwartet. Was bedeutet der Ausgang der Wahl jetzt für die Märkte?


Mittelfristig hängt viel vom Ausgang der französischen Parlamentswahlen im Juni ab. Wobei wir inzwischen wesentlich optimistischer als vor drei, vier Monaten sind, dass Macron mit "freundlichen" Kräften im neuen Abgeordnetenhaus solide weiter regieren können wird.

Längerfristig ist es gerade auch aus europäischer Sicht günstig, dass im wichtigen EU-Mitgliedsland Frankreich ab Juni für die nächsten fünf Jahre klare innenpolitische Verhältnisse herrschen werden. Die Realität der vergangenen fünf Jahre war aber, dass Macrons Pläne auf europäischer Ebene meist nur dann umgesetzt werden konnten, wenn sie durch die innenpolitischen Entwicklungen in genug anderen Mitgliedsländern oder durch plötzliche Änderungen von Rahmenbedingungen begünstigt wurden - man denke nur an die Corona-Pandemie und die in der Folge aufgelegten, gemeinsamen EU-Hilfsprogramme, wie sie Macron schon jahrelang vorher erfolglos gefordert hatte. Daran wird sich auch in Zukunft wenig ändern. Macron wird nun wahrscheinlich noch freier agieren können, ohne jede Sorge um seine Wiederwahl. Umgekehrt gilt natürlich weiter, dass Frankreich eben nur eins von 27 EU-Mitgliedsländern ist. Insofern war möglicherweise das zumindest genauso wichtige Wahlergebnis des gestrigen Abends der Erdrutschsieg der grün-liberalen und pro-europäischen Freiheitsbewegung im kleinen Slowenien. Slowenien spielt an den Finanzmärkten direkt zwar keine große Rolle. Allerdings dürfte es längerfristig für Europa äußerst wichtig sein, in möglichst vielen, idealerweise allen EU-Mitgliedsländern und Nachbarstaaten den Rechtsstaat und die Meinungsfreiheit dauerhaft zu stärken und zu erhalten. Gerade in geopolitisch schwierigen Zeiten sollte man nicht die Signalwirkung unterschätzen, die gerade auch von kleinen Ländern mit noch jungen Demokratien ausgehen kann, in negativer, aber auch in positiver Hinsicht.

Macron versprach am Sonntagabend, sich für "ein stärkeres Europa" einzusetzen. Wie könnte das aussehen?


An Macrons genereller Sicht auf europäische Themen und seinen Plänen hat sich seit seiner Rede an der Sorbonne im September 2017 im Grunde nur wenig geändert. Insgesamt könnte man sie so zusammenfassen: Mehr Europa, wenn möglich mit starkem französischen Einfluss zu Themen, die für Frankreich aus klar definierten Nationalinteressen wichtig sind - idealerweise unter französischer oder zumindest deutsch-französischer Federführung. Nur müssen da, wie man schon die vergangenen fünf Jahre gesehen hat, eben auch die anderen 26 EU-Mitglieder mitmachen.

Frankreich und Deutschland haben in den Monaten und Jahren vor Putins erneutem Überfall auf die Ukraine eine sehr kompromissgeneigte Rolle gegenüber Russland vertreten, weil man in Berlin und Paris dachte, so den Frieden sichern zu können. Die fatalen Folgen dieser Fehleinschätzung kann man nicht nur täglich an den furchtbaren Fernsehbildern aus der Ukraine sehen. Sie erschüttern momentan auch die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen vieler Partner in die deutsche und französische Außenpolitik, nicht nur in Mittel- und Ost-, sondern auch in Nordeuropa. Andererseits wird dort die entschlossene Haltung des Vereinigten Königreichs sehr begrüßt. Bei Sicherheitsfragen dürfte "ein stärkeres Europa" mittelfristig nun eher durch die Einbindung von europäischen Partnerländern außerhalb der EU wie dem Vereinigten Königreich, aber auch Norwegen sowie im Zusammenspiel mit einer gestärkten Nato möglich sein als durch den Ausbau gemeinsamer EU-Mechanismen, auf die Macron eigentlich gerne gesetzt hätte.

Er möchte eine engere europäische Zusammenarbeit auch in Sicherheits- und Verteidigungsfragen. Was bedeutet das für die heimische Rüstungsindustrie?


Es ist zu früh, um dazu endgültige Schlüsse zu ziehen, weil momentan unklar ist, in welchem Rahmen eine solche Zusammenarbeit stattfinden würde und wie beispielsweise dann die Beschaffung organisiert würde. Kurz- und mittelfristig wichtiger für die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen sind wahrscheinlich die Diskussionen in Deutschland seit der von Kanzler Scholz am 28. Februar ausgerufenen "Zeitenwende". Deutsche und internationale Sicherheitsexperten weisen - vermutlich zurecht - darauf hin, dass insbesondere im Beschaffungswesen einiges im Argen liegt und ein Umdenken im Hinblick auf eine sinnvolle Umsetzung der neuen geopolitischen Ziele gerade erst begonnen hat.

Macron hat in Energiefragen einiges vor. So soll Frankreich als erstes Industrieland aus den Energieträgern Gas, Öl und Kohle aussteigen. Erwarten Sie einen Schub für erneuerbare Energien oder dürfte lediglich die in Frankreich traditionell sehr wichtige Atomkraft davon profitieren?


Frankreich hat und wird erneuerbare Energien zügig weiter ausbauen. Gerade da hat es in der ersten Amtszeit von Macron bereits einige Fortschritte gegeben. Atomkraft wird als notwendige Ergänzung gesehen, vor allem auch, weil eine Renaissance von vielen älteren Wählern begrüßt werden dürfte. Aber Vorsicht aus Anlegersicht: Wie genau das organisiert wird und ob und inwieweit einzelne Firmen profitieren werden, ist vorläufig unklar, weil die Rahmenbedingungen vermutlich erst nach den Parlamentswahlen im Juni festgelegt werden.

In seiner ersten Amtszeit hatte Macron Reformen angestoßen: Er hatte etwa die Steuerlast der Firmen gesenkt oder den Arbeitsmarkt aufgebrochen. Die Arbeitslosigkeit sank. Welche Reformen erwarten Sie für seine zweite Amtszeit?


Je nachdem, wie genau die Parlamentswahlen ausgehen, scheint ein gewisser Schwenk weg von wirtschaftsliberalen Reformen und hin in Richtung soziale Schutzmaßnahmen, aber auch in andere Bereiche wie zum Beispiel Dezentralisierung und Digitalisierung in der Verwaltung wahrscheinlich. Wobei Macron - vermutlich ganz bewusst - bisher in praktisch allen Bereichen vage geblieben ist. Das ist insofern verständlich, um nicht zu sagen vernünftig, weil er derzeit noch nicht wissen kann, welche Reformen er in der zweiten Amtszeit im Parlament durchbringen können wird und welche Kompromisse dafür vielleicht notwendig sein werden.

Macron kündigte im Wahlkampf an, das Mindestrentenalter anzuheben und Sozialleistungen an Bedingungen wie eine 15- bis 20-stündige Ausbildung zu knüpfen. Könnten diese Reformen Erfolg haben oder erwarten Sie dadurch eine neue Welle an Protesten, ähnlich der "Gelbwesten"-Proteste?


Bereits im Wahlkampf hat Macron Kompromissbereitschaft beim Thema Mindestrentenalter signalisiert. Was den Arbeitsmarkt betrifft, waren bereits die letzten Jahre seiner ersten Amtszeit sehr erfolgreich, nicht nur anhand der Zahlen, sondern auch durch den innovativen Umgang mit neuen Herausforderungen wie etwa der Corona-Pandemie. Wir erwarten weitere, meist kleine, pragmatische Reformen - oft angelehnt an erfolgreiche Beispiele anderer Länder anstatt großer, kontroversieller Einschnitte. Aus den "Gelbwesten"-Protesten scheint Macron jedenfalls gelernt zu haben und dürfte bei sensiblen Themen in seiner zweiten Amtszeit die Sozialpartner, insbesondere die Gewerkschaften, stärker einbinden, was das Konfliktpotenzial reduzieren sollte.

Wie gefährlich können die Parlamentswahlen im Juni Macron werden?


Wesentlich weniger gefährlich, als es vor einigen Monaten ausgesehen hat. Die traditionellen linken und rechten Parteien sind nach dem katastrophalen Abscheiden ihrer Präsidentschaftskandidaten mehr denn je mit sich selbst beschäftigt. Rechtsaußen dürfte nach dem erneuten Scheitern von Le Pen ebenfalls ein Diskussionsprozess losgehen, nicht zuletzt was die Kandidatenlisten und den Umgang mit Unterstützern von Eric Zemmour betrifft. Außerdem dürften die Wahlkampfkassen der Rassemblement National relativ dürftig gefüllt sein und Geldgeber zu finden war für RN und FN traditionell immer schon schwierig. Das Wahlrecht macht es für als extrem wahrgenommene Kandidaten ohnehin sehr schwer, Parlamentssitze zu erobern. Das gilt im Übrigen auch für die Anhänger von Jean-Luc Mélenchon linksaußen.

Insgesamt stehen die Chancen nun nicht schlecht, dass Macrons Partei zumindest eine kleinere Mehrheit wird retten können. Jedenfalls dürfte sie sich kaum mit einer numerisch starken und ideologisch geeinten Opposition gegenübersehen. So ein Szenario wäre durchaus plausibel gewesen, hätte es statt Le Pen ein Mitte-Links oder Mitte-Rechts Kandidat wie Xavier Bertrand in die Stichwahl geschafft und nur knapp gegen Macron verloren. So eine Kombination wäre für Macron um einiges gefährlicher gewesen. Zwar werden wir die einzelnen Endergebnisse auf lokaler Ebene in den kommenden Wochen genau analysieren müssen, aber der erste Eindruck ist, dass Macron nun auch für die Parlamentswahlen eine überraschend gute Ausgangsposition hat. Wobei im Wahlkampf natürlich noch einiges passieren kann.