Die Inflationsrate in Deutschland ist im Juli auf 3,8 Prozent gestiegen - der höchste Wert seit 13 Jahren. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts kletterten die Verbraucherpreise allein im Vergleich zum Juni um 0,9 Prozent nach oben. Bundesbankpräsident Jens Weidmann rechnet damit, dass sich die Geldentwertung bis zum Jahresende auf fünf Prozent steigern könnte. Wir sprachen mit Stefan Riße, dessen Buch "Die Inflation kommt" nun in einer aktualisierten Zweitauflage vorliegt.

BÖRSE ONLINE: Herr Riße, die Erstauflage Ihres Buchs "Die Inflation kommt" erschien 2009. Elf Jahre lang kam die Inflation nicht. 2021 ist sie plötzlich da. Was ist das für ein Gefühl? Genugtuung?

Stefan Riße: Genugtuung ganz sicher nicht. Zwar habe ich immer gesagt, dass die Bestimmung des Zeitpunktes, wann die Inflation anspringen würde, das Schwerste an der Prognose sei, dennoch, wenn es elf Jahre dauert, bis das Ereignis eintrifft, muss man schon eingestehen, dass das zunächst eine Fehlprognose war. Richtig allerdings war die Voraussage der negativen Realzinsen, die aber eben nicht durch steigende Inflation zustande kamen, sondern weil die Zinsen auf null und darunter sackten. Daher war es auch richtig, schon 2009 auf Sachwerte wie Gold, Aktien und Immobilien zu setzen. Auch den Schweizer Franken empfahl ich zum Kauf, was absolut richtig war.

Auf welche Teuerungsraten müssen wir uns künftig einstellen?

Ich denke schon, dass wir uns an Inflationsraten um die vier Prozent gewöhnen müssen, was ohne Zins zum Ausgleich große Teile des Ersparten vieler Bürger real vernichten wird.

?Wie lange wird uns die Inflation Ihrer Meinung nach begleiten?

Eine Dekade, also zehn Jahre wäre das, was notwendig ist, um real betrachtet die viel zu hohe Verschuldung von Staaten, aber auch vieler Unternehmen zu senken. Das hat es in der Geschichte immer wieder gegeben, ob nach dem Zweiten Weltkrieg oder in den 70er-Jahren.

Wie werden die Notenbanken reagieren? Gibt es in absehbarer Zeit wieder Zinsen auf das Ersparte?

Die Notenbanken werden gar nichts machen. Der Grat zwischen Inflation und Deflation mit Rezession ist viel zu schmal. Wer eine Inflation von vier Prozent bekämpfen will, muss mindestens einen Zins von vier Prozent bieten. Wenn die Leitzinsen dorthin steigen würden, müssten die Staaten irgendwann nur noch für ihren Zinsdienst neue Schulden aufnehmen. Und die 15 Prozent Zombie-Unternehmen, die wir in den OECD-Ländern haben und die nur durch die Minizinsen durchhalten, gingen reihenweise pleite. Mag sein, dass es ein paar Zinsschritte in homöopathischen Dosen geben wird, aber sie werden viele Jahre unter der Inflationsrate bleiben.

Wie groß ist die Gefahr einer Hyperinflation, die nicht mehr zu kontrollieren ist?

Für eine Hyperinflation gibt es überhaupt keinen Grund. Ich hätte sicherlich mehr Aufsehen mit meinem Buch erregt, wenn ich dies prognostiziert hätte, doch Hyperinflation gibt es nur dann, wenn es viel Geld und am Ende aber nichts dafür zu kaufen gibt, wie nach den Kriegen, als alles zerstört war oder durch Reparationen abgebaut wurde. Das ist ja mitnichten der Fall. Produktionskapazitäten sind nicht der Engpass, zumindest längerfristig nicht. Gefährlich würde es nur, wenn das Vertrauen aus dem Papiergeld schwindet. Dann allerdings würden die Notenbanken wahrscheinlich Inflationsbekämpfung als wichtiger betrachten als die Unterstützung der Wirtschaft und dann doch Gegenhalten mit restriktiver Geldpolitik.

Was können Anleger tun, um ihr Vermögen sicher durch die Inflation zu bringen?

Anleger brauchen Sachwerte. Geldwerte wie Festgelder, Sparbücher und klassische Lebensversicherungen werden für ihre Inhaber eine reale Vermögensschrumpfung in erheblichem Ausmaß verursachen. Zu Sachwerten gehören aber nicht nur Immobilien und so etwas wie Gold und Edelmetalle insgesamt, sondern auch Aktien.

Gold und Qualitätsaktien empfehlen mehr oder weniger alle. Ist das nicht schon eine Art Kontraindikator, zumal Qualitätsaktien bereits ziemlich hoch bewertet sind?

Bei Gold sehe ich überhaupt keine Überinvestitionen. Im Gegenteil: Schaut man sich an, wie viel Gold Anfang der 80er-Jahre im Verhältnis zu Aktien vorhanden war und dementsprechend auch von Anlegern allokiert, sind wir erst bei einem Bruchteil dessen. Gold notiert etwa dreimal so hoch wie Mitte der 80er-Jahre und der Dow-Jones-Index 30-mal so hoch. Bei Aktien würde ich nicht unbedingt auf gewisse Branchen oder Kategorien setzen, sondern breit streuen. Mit einem global investierten Aktienfonds oder auch einfach einem MSCI-World-ETF hat man das Wichtigste schon abgedeckt.

Wie sieht Ihr Szenario für Aktien und Anleihen generell für die Phase der Inflation aus?

Anleihen bleiben real nach Inflation ein Minusgeschäft, in den USA sind mittlerweile hochriskante Hochzinsanleihen real betrachtet negativ verzinst. Die Zinsen am langen Ende werden auch deswegen nicht steigen, weil die Notenbanken über ihre Anleihekäufe dies gar nicht zulassen werden. Aktien werden steigen, da die Notenbanken nicht bremsen. Denn nur das wäre schlecht für Aktien, nicht die Inflation an sich.

Was ist mit Kryptowährungen? Bitcoin und Co springen ja wie wild hin und her. Fünf Sprünge pro Tag sind praktisch nichts.

Der Bitcoin und andere große Kryptowährungen könnten zu einem Wertaufbewahrungsmittel werden, ähnlich wie Gold. Im Unterschied zum Papiergeld sind viele nicht unendlich vermehrbar. Doch der Markt ist noch sehr jung und extrem volatil. Deshalb ist das nichts für Investoren, sondern nur für Spekulanten. Man braucht aber keine Kryptowährung, um sich vor Inflation zu schützen.

 


Späte Bestätigung

Die Corona-Pandemie traf die Welt 2020 mit Wucht. Die Regierungen legten mit Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus die Wirtschaft lahm. Um einer schweren und langen Rezession entgegenzuwirken, beschlossen die Staaten billionenschwere Konjunkturpakete gegen die Krise. Schulden als Allheilmittel zur Krisenbekämpfung waren schon nach der Finanzkrise 2008/09 gang und gäbe. Da dies damals nicht zu einer Inflation der Verbraucherpreise führte, hält man es jetzt offenbar auch in vielfachem Volumen für unbedenklich. Stefan Riße sieht das anders. Das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent werde nicht mehr zu halten sein, warnt der Autor in der kürzlich erschienenen Zweitauflage seines Buchs "Die Inflation kommt". In Kombination mit dem Nullzins führe das zu massiven Vermögensverlusten. Nur wer sein Geld richtig anlege, könne sich vor Inflation schützen und zudem davon profitieren, schreibt der Kapitalmarktstratege der Fondsgesellschaft Acatis. In seinem Buch erklärt er eingängig, wie das funktionieren kann.