Apple ist eine Profitmaschine: 83 Milliarden Dollar Nettocash standen zuletzt in der Bilanz des iPhone-Herstellers. Und ständig kommt neues Geld herein. Allein in der ersten Hälfte des aktuellen Geschäftsjahres erwirtschaftete der Konzern einen Nettogewinn von 52,4 Milliarden Dollar. Das wirft ein ungewöhnliches Problem auf: Wohin nur mit dem Reichtum?
Ein kleiner Teil der laufenden Erträge wird als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet. Im ersten Halbjahr waren es mehr als sieben Milliarden Dollar. Ein anderes Instrument ist bei Apple beliebter: Mehr als 43 Milliarden Dollar gab der Konzern für den Kauf von Apple-Aktien aus. Allein diese Summe ist größer als der Börsenwert vieler DAX-Konzerne.
Apples Finanzpolitik ist ein Extremfall, aber auch immer häufiger Vorbild. Während die Weltwirtschaft noch immer unter der Pandemie leidet, kehren viele Unternehmen zu einer umstrittenen Gewohnheit zurück: Aktienrückkäufe. Mehr als 500 Milliarden Dollar haben allein die US-Konzerne in diesem Jahr bereits für den Kauf eigener Aktien freigegeben. Schon im kommenden Jahr könnte das Vor-Corona-Niveau erreicht werden.
Auch die Europäer gehen in die Offensive. Für Staunen sorgt der Vorstoß von LVMH. Der französische Luxusgüterkonzern will Aktien bis zu einem Kurswert von 950 Euro zurückkaufen. Diese Obergrenze liegt mehr als 40 Prozent über dem aktuellen Aktienkurs und würde im Extremfall auf ein Volumen von knapp 48 Milliarden Euro hinauslaufen. Gewöhnlich sind die Dimensionen bei europäischen Unternehmen bescheidener. Unilever will bis zu drei Milliarden Euro für eigene Aktien ausgeben, Novartis bis zu 2,5 Milliarden Dollar, L’Oréal bis zu 1,2 Milliarden Euro, der britische Spirituosenkonzern Diageo bis zu eine Milliarde Pfund.
In Deutschland sind die Versicherer Allianz und Munich Re als fleißige Rückkäufer bekannt, halten sich aber in der Corona-Krise zurück, um nicht den Unmut der Regulierungsbehörden auf sich zu ziehen. Analysten gehen davon aus, dass die beiden DAX-Konzerne spätestens 2022 wieder aktiv werden. Immerhin bis zu eine Milliarde Euro hat im Frühjahr die Deutsche Post für den Rückkauf eigener Aktien verplant.
In der alten Welt sind Dividenden, also Bargeldzahlungen direkt an die Aktionäre, beliebter als Rückkäufe. Dieser Trend könnte aber drehen: Die Investmentbank Morgan Stanley kalkuliert, dass sich europäische Firmen künftig stärker am amerikanischen Vorbild orientieren. Der Pandemie-Schock hat einen der Vorzüge der Rückkäufe aufgezeigt: Eine Dividendenkürzung sorgt bei Aktionären für Unmut, weil die eigentlich fest eingeplante Geldüberweisung ausbleibt. Darum drücken schlechte Nachrichten zur Dividende oft den Kurs. Aktienrückkäufe lassen sich dagegen ohne einen offensichtlichen Nachteil für den Aktionär aussetzen und werden darum an der Börse allenfalls milde bestraft.
Die Logik der Börse
Rückkäufe haben nach Überzeugung der Börsianer viele Vorzüge: Werden Aktien aus dem Verkehr gezogen, müssen die Konzerngewinne rechnerisch über weniger Papiere verteilt werden. Auf jede ausstehende Aktie entfällt also ein höherer Anteil des Gewinns. Das sollte den Wert einer Aktie steigern. Prominenter Befürworter der Rückkäufe ist Warren Buffett. In seinem Brief an die Aktionäre seiner Beteiligungsgesellschaft beschreibt er den Effekt: Berkshire kaufte in den Jahren 2016 bis 2018 etwas mehr als eine Milliarde Apple-Aktien. Das entsprach damals 5,2 Prozent des iPhone-Herstellers. Da Apple inzwischen viele eigene Aktien vom Markt gesaugt hat, ist der Anteil von Berkshire auf 5,4 Prozent gestiegen. Und das, obwohl Buffett zwischendurch einige Apple-Aktien verkauft hat.
Im Fall Apple handelt sich um ein Unternehmen, das extrem gut dasteht. Es gibt aber auch Gegenbeispiele. Besonders krass ist die Situation bei den amerikanischen Fluggesellschaften. Diese haben in den Jahren vor der Pandemie, anstatt Rücklagen zu bilden, den größten Teil ihrer Cashflows in den Kauf eigener Aktien gesteckt - und mussten nach Ausbruch des Virus durch Staatshilfen vor dem Kollaps gerettet werden.
Ein anderer Kritikpunkt: Unternehmen kaufen meist dann eigene Aktien, wenn die Geschäfte gut laufen und die Papiere entsprechend teuer sind. Wenn die Kurse abstürzen, werden Rückkäufe ausgesetzt. Unternehmen machen also genau das Gegenteil von dem, was ein schlauer Investor tun würde. Ein abschreckendes Beispiel aus Deutschland liefert Adidas: Der Sportartikler kaufte in der Rally vor dem Corona-Crash eigene Aktien. Am 17. März des vergangenen Jahres wurde das Programm dann schlagartig ausgesetzt: einen Tag, bevor die Aktie ihren Tiefpunkt erreichte und eigentlich der beste Zeitpunkt zum Kauf gekommen war.
Wichtig für erfolgreiche Rückkäufe ist, dass Unternehmen die Finanzkraft und auch den Willen haben, kontinuierlich zuzugreifen. Die Buyback-Version des amerikanischen Aktienindex S & P 500, die aus dem breiten US-Markt die 100 aktivsten Rückkäufer auswählt, hat über die vergangenen zehn Jahre einen knappen Vorsprung zum breiten Markt herausgeholt. Besser ist die Bilanz in Europa. Der von Solactive berechnete European Buyback Index hat den breiten Stoxx Europe 600 über die vergangenen zehn Jahren im Schnitt um knapp vier Prozentpunkte geschlagen.
Auch Apple will weiter kaufen: Der Konzern hat sein Programm um 90 Milliarden Dollar aufgestockt.
INVESTOR-INFO
Nordamerika
Die besten 100
Vor allem in den USA sind Rückkäufe bei Unternehmen ein beliebtes Instrument, um den Aktienkurs aufzupolieren. Der Indexanbieter S & P hat eine spezielle Version seines populären Aktienindex S & P 500 geschaffen. Für dieses Produkt werden aus dem Basisindex die 100 Unternehmen mit der höchsten Rückkaufquote ausgewählt. Anleger in Europa können unter anderem über einen ETF des Anbieters Amundi in den S & P 500 Buyback investieren (ISIN: LU 168 104 812 7).
Europa
Neue Akzente
Auch europäische Unternehmen bauen stärker auf Aktienrückkäufe. Der Solactive European Buyback Index setzt auf Unternehmen, die in den vergangenen zwei Monaten Rückkäufe angekündigt haben. Zu den 50 Mitgliedern gehören aktuell Carlsberg, Freenet und die Deutsche Post. Investieren können Anleger in den Index über ein Zertifikat (ISIN: DE 000 A12 V1Y 8) Schon seit der Jahrtausendwende setzt der Aktienfonds KBC Equity Fund Buyback Europe (ISIN: BE 017 440 701 6) auf dieses Investmentthema und hat dabei eine überdurchschnittliche Rendite erzielt. Zu den größten Positionen zählten zuletzt Nestlé, Siemens und Sanofi.
Aktien
Kaufkandidaten
In knapp zehn Jahren hat Apple 550 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe und Dividenden ausgegeben. Die Shoppingtour dürfte weitergehen. LVMH will bis zu zehn Prozent seiner Aktien vom Markt nehmen. Das Luxusgüter-Konglomerat profitiert vom wachsenden Wohlstand in China und dem Konjunkturaufschwung. Der Konsumgüterkonzern Unilever hat ein vergleichsweise krisenfestes Geschäft und kann darum Rückkäufe auch langfristig finanzieren. Die Deutsche Post sendet mit ihren Rückkäufen das Signal, dass der Vorstand mit einer positiven Geschäftsentwicklung rechnet.