Am 15. Juli jährte sich der Börsengang von Ströer zum zehnten Mal. Wegen der Corona-Krise war den Aktionären des Spezialisten für Außenwerbung die Feierlaune schon vor dem Jubiläum vergangen. Die Pandemie hat den Kölnern die Basis für ihren Erfolg abrupt entzogen, indem sie die öffentliche Mobilität zum Erliegen brachte. Und die "ist die Einschaltquote der Außenwerbung", erklärt Ströer im Geschäftsbericht 2019 treffend.
Folgerichtig brach der MDAX-Titel während des Lockdowns ein. Mitte Februar hatte Ströer noch ein Allzeithoch von knapp 80 Euro erreicht. Ende März notierte die Aktie zwischenzeitlich bei weniger als der Hälfte des Spitzenniveaus. Damit fiel der jüngste Absturz noch weit drastischer aus als die Korrektur vom April 2016. Damals war Ströer ins Visier von Muddy Waters geraten. Der US-Hedgefonds zweifelte Bilanzierung und Geschäftsführung an und wettete mit Leerverkäufen gegen den Mid Cap.
Jahresprognose einkassiert
Während sich diese Vorwürfe verflüchtigt haben, gab es für den jüngsten Kurssturz einen handfesten Grund: Im März war nicht absehbar, für wie lange den rund 300 000 Außenwerbeflächen von Ströer das Publikum fehlen würde. Auf seinen Plakatwänden und Bildschirmen erwirtschaftet der Dienstleister den Großteil der Umsätze. 2019 steuerte der Werbekanal Out-of-Home (OOH) allein im analogen Bereich mehr als 40 Prozent zu den Gesamterlösen bei. Hinzu kommen die Umsätze aus den digitalen Werbeflächen sowie mit Content - Ströer vermarktet eigene Internetseiten, allen voran das Portal T-Online. Darüber hinaus ist das Unternehmen im Direktmarketing aktiv.
"Weniger Reichweite führt zwangsläufig zu sinkenden Umsätzen im Bereich OOH", teilte das Unternehmen Mitte März mit. Gleichzeitig kassierte der Vorstand die Prognose für 2020. Ursprünglich hatte das Management ein organisches Wachstum von Umsatz und operativem Ergebnis im mittleren einstelligen Bereich erwartet. Am 13. August meldet sich das Unternehmen mit dem Zwischenbericht für das zweite Quartal erneut zu Wort.
Nach Ansicht von Craig Abbott, Analyst bei Kepler Cheuvreux, wird in diesen Zahlen der Tiefpunkt des Geschäfts zum Ausdruck kommen. Er verweist darauf, dass sich das öffentliche Leben normalisiert. In der Tat ist auf Deutschlands Straßen und in den Innenstädten wieder einiges los. Diesen Eindruck können nicht nur staugeplagte Pendler bestätigten. Er lässt sich messen. Das Start-up Hystreet hält mittels Laserscanner fest, wie viele Menschen auf beliebten Einkaufsmeilen unterwegs sind. Beispielsweise lag die Zahl der Passanten auf der Frankfurter Zeil im Juli mit mehr als 1,8 Millionen Menschen bei annähernd 96 Prozent des Vorjahresniveaus.
Neben dieser Entwicklung sprechen strukturelle Gründe für eine Beschleunigung des MDAX-Neulings. "Ströer verfügt über ein überdurchschnittliches mittelfristiges Wachstumspotenzial", schreibt Craig Abbott in einer Studie. Als einen Treiber bezeichnet der Analyst die Digitalisierung. Das Unternehmen kann die Werbung über seine Screens flexibel auf den jeweiligen Standort respektive die Kundenwünsche zuschneiden. Gleichzeitig sorgt der Dienstleister über seine knapp 5000 Videoleinwände vor allem in Bahnhöfen und Einkaufszentren für werbe- trächtige Unterhaltung. Hinzu kommt, dass die Bedeutung des OOH-Marketings in einer trotz Corona weiterhin sehr mobilen Welt zunimmt. Aktuell beträgt ihr Anteil am gesamten deutschen Werbemarkt gerade einmal 5,7 Prozent.
Vorteilhafter Deutschland-Fokus
Das Geld sitzt bei den Unternehmen in der Krise zwar nicht gerade locker, an bestimmten Stellen profitiert Ströer dennoch von der Pandemie. Beispielsweise dürfte das allgemeine Informationsbedürfnis im Moment besonders hoch sein. Mit dem Statista-Portal liefert das Unternehmen eine immense Fülle von Statistiken und Prognosen. Für Stabilität sorgt zudem die Fokussierung auf den Heimatmarkt. Deutschland kommt bis jetzt relativ gut durch die Pandemie. Zur Strategie der Bundesregierung im Kampf gegen das Virus zählt die Aufklärung - wobei Berlin auf das Ströer-Netzwerk zurückgreift.
GroupM erwartet, dass der deutsche OOH-Markt bereits 2021 - die Bundestagswahl könnte dann für eine kleine Sonderkonjunktur sorgen - auf das Niveau des vergangenen Jahres zurückkehrt. Weltweit dürfte es dem Werberiesen zufolge erst 2024 so weit sein. Kepler Cheuvreux sieht den heimischen Marktführer bei Umsatz und Ergebnis zwar erst 2022 wieder auf dem Vorkrisenniveau, im Vergleich zur Konkurrenz wäre das allerdings ein sehr schnelles Comeback. Relativ gesehen ist auch die Bewertung des Mid Cap günstig. Beim Kurs-Gewinn-Verhältnis 2021 beträgt der Abschlag gegenüber dem französischen OOH-Spezialisten JCDecaux ein Viertel. Da wir nicht davon ausgehen, dass den Kölnern die Geschäftsgrundlage ein weiteres Mal entzogen wird, raten wir zum Kauf.