Um die politischen Verhältnisse in Südafrika einzuordnen, ist ein Rückblick auf die sogenannte Wulff-Affäre hilfreich. Die Vorwürfe gegen Deutschlands zehnten Bundespräsidenten waren umfangreich: angebliche Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung, pampige Drohgebärden gegenüber Medien. Christian Wulff, der 2014 in allen Punkten freigesprochen wurde, war 2012 bereits zurückgetreten - "um Schaden vom Amt abzuwenden", so die in Deutschland geläufige Formulierung. Kurz und überspitzt: Amt weg wegen eines nicht selbst bezahlten Biers.
Südafrikas Pendant Jacob Zuma, 73 Jahre alt und im vergangenen Jahr im Amt bestätigt, ist im Vergleich mit Wulff ein Teflon-Präsident. Zumas Privathaus wurde jüngst für umgerechnet etwa 18 Millionen Euro aufgehübscht - aus "Sicherheitsgründen", heißt es. Umstritten ist, inwieweit der neue Swimmingpool, das Amphitheater und der enorme Hühnerauslauf, größer als viele Wohnhäuser im Lande, diesem Zweck dienen. Zuma habe sich in insgesamt mehr als 700 Fällen korrupt gezeigt, so der Vorwurf der Opposition. Ihm und seiner Partei, dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC), läge indes nichts ferner als ein Rücktritt. "Unser Präsident" sei heute Südafrikas größtes Problem, sagt Christine Roelofse, 32. Sie ist Hotelmanagerin in Struisbaai, einem Dorf im wirtschaftlich relativ erfolgreichen Landesteil Western Cape, der von der Oppositionspartei DA regiert wird.
Kein Strom, keine Gewinne
Nach gut 20 Jahren an der Macht werden die Defizite der ANC-Herrschaft von Monat zu Monat deutlicher. Die einst größte Volkswirtschaft Afrikas, inzwischen von Nigeria abgehängt, steckt in einer Wirtschaftsmisere, die sowohl strukturelle als auch zyklische Züge trägt. Schon seit 2008 gehören Stromausfälle zum Alltag aller Haushalte und Unternehmen. Den Mangel verwaltet Eskom, der staatliche Stromkonzern. Der wichtige Rohstoffsektor - das Land ist Großproduzent von Gold, Platin, Diamanten, Kohle und Eisenerz - steckt in einer tiefen Krise. Der Absturz der Rohstoffpreise, jüngst verstärkt vom sich abschwächenden Wachstum in China, hat zahlreiche Konzerne in die roten Zahlen gedrückt. Was die Gewerkschaften der Branche allerdings nicht davon abhält, massive Lohnerhöhungen zu fordern und mit Dauerstreiks zu bekräftigen.
Die chronischen Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite legen nahe, dass Südafrika seit Jahren über seine Verhältnisse lebt. Die Arbeitslosigkeit im Land liegt offiziell bei 25 und de facto bei 35 Prozent. Die Inflationsrate kletterte jüngst auf fünf Prozent. Das anämische Wirtschaftswachstum reicht nicht annähernd, um den Arbeitsmarkt zu stimulieren. Südafrikas Pro-Kopf-Einkommen war kaufkraftparitätisch berechnet 1994 mehr als viermal so hoch wie in China. Heute sind die Chinesen - immerhin unter Führung einer Kommunistischen Partei - reicher als die demokratischen Südafrikaner. Der Wert des Rand fällt in Zyklen seit der Jahrtausendwende.
Die gesellschaftliche Spaltung, die Nelson Mandela mit der Neuerfindung als "Regenbogennation" beenden wollte, ist knapp zwei Jahre nach seinem Tod wenig mehr als ein hehres Ideal. Etwa 20 bis 30 Prozent der Südafrikaner sind relativ wohlhabend, gehören also der Mittel- und Oberschicht an. Der Rest lebt in Verhältnissen, die für Entwicklungsländer typisch sind.
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Verheerende Zustände
Ressentiments unter den vier gesellschaftlichen Hauptgruppen im Lande - Schwarze, Farbige ("Coloureds"), Weiße, Inder - sitzen tief und polarisieren weiterhin. In vielerlei Beziehung ist ANC-Südafrika heute immer noch ein rassistisches Land, in dem diskriminiert wird - diesmal zum Nachteil der weißen Bevölkerung.
Ausländerfeindlichkeit, insbesondere gegenüber Flüchtlingen und Einwanderern aus noch ärmeren Nachbarstaaten wie Simbabwe, ist alltäglich und schließt Lynchmorde ein. Kriminalität der brutalsten Sorte ist allgegenwärtig. In ganz Südafrika sind in den vergangenen 20 Jahren um Häuser und Grundstücke Mauern und Zäune errichtet worden: Stacheldraht, Alarmanlagen und Sicherheitsdienste sind einige der wenigen Boombranchen des Landes. "Das ist Teil unseres Lebens - wir nehmen das gar nicht mehr wahr", sagt der 51-jährige Bruce Bosch, Manager eines Fleischunternehmens in Port Elizabeth. "Manchmal fühlt es sich so an, als würden wir in einer Blase leben." Wer berufliche Qualifikationen hat und es möglich machen kann - vor allem die gebildete Mittelschicht -, wandert aus. Chad Prince aus Kapstadt zum Beispiel, ein 25-jähriger IT-Experte, will so bald wie möglich nach Kanada, "weil es dort sicher ist". Südafrika sei "überall korrupt". "Es gibt keine Jobs für Weiße", sagt Roelofze, weil Schwarze bevorzugt würden.
Dass die Aktienkurse zuletzt eingebrochen sind, hat mit der globalen Großwetterlage an den Börsen zu tun - raus aus riskanten Schwellenländern -, aber auch mit den makroökonomischen Besonderheiten am Kap. Langfristig orientierten Anlegern bietet das durchaus Chancen. Denn trotz der volkswirtschaftlichen Misere weist Südafrika eine Reihe erstklassiger Unternehmen auf, die von der Südspitze Afrikas aus große Teile des Kontinents für sich erschlossen haben. Beispiele sind der Einzelhändler Shoprite, das Telekomunternehmen MTN, der Ölkonzern Sasol, der Pharmaspezialist Aspen und der Mediengigant Naspers, mit einem Marktwert von mehr als 40 Milliarden Euro ein Schwergewicht an der Leitbörse in Johannesburg. Sie sind gut gemanagt und ihre Aktien zurzeit günstig zu haben - nicht dank, sondern trotz des ANC.
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