Würden diese herausgerechnet, betrüge etwa die Solvabilitätsquote bei den französischen Versicherungen nur noch 117 statt wie gemeldet 235 Prozent. Kritisch sei dies, weil die gehaltenen Anleihen am Ende letztlich nur zu 100 Prozent ohne Kursgewinne zurückgezahlt würden. Für den zweiten Mythos hält Deluard die Annahme, die Schwäche im Lebensversicherungsgeschäft und in Bereichen mit garantierten Ausschüttungen könnte durch gut laufende Geschäfte in anderen Segmenten kompensiert werden. Zumindest gelte das nicht für die großen europäischen Versicherungen, weil bei denen die Lebensversicherungen das Brot-und-Butter-Geschäft darstellten. Als dritten Mythos stuft er die Behauptung ein, noch würden die am Markt erzielbaren Renditen über den Verzinsungen liegen, die den Kunden garantiert wurden. Trotz der von den Versicherern bereits nach unten korrigierten Auszahlungsversprechungen sei das aber speziell in Ländern wie Deutschland, der Schweiz und Belgien unrealistisch.
Große Herausforderungen
Mit seinen Warnungen steht Deluard nicht allein da. So mahnte unlängst der Europäische Ausschuss für Systemrisiken, viele Lebensversicherer hätten zu wenig Kapital, um die Forderungen ihrer Kunden langfristig bedienen zu können. Besonders gefährdet seien Anbieter aus Deutschland und Österreich, sollten die Kunden ihr Vertrauen in die Branche verlieren und in größerem Stil Policen kündigen. Wegen der Größe des Sektors bestehe dann sogar eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem. Doch das ist längst nicht alles. Nicht vergessen werden sollten auch die technologischen Herausforderungen, vor denen die Branche steht. Einer Umfrage von PricewaterhouseCoopers, in der es darum ging, welche Veränderungen bei den Vertriebskanälen, beim Kundenverhalten, in der Wettbewerbslandschaft und in Sachen Regulierung zu erwarten sind, wurde die Versicherungsbranche von den Befragten sogar als am stärksten betroffen eingestuft. UBS-Versicherungsanalysten kommen ebenfalls zu dem Schluss: "Technologie wird die Industrie herausfordern wie niemals zuvor."
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Hohe Dividenden, hohe Risiken
Trotzdem haben sich Branchenindizes wie der Performance-Index Euro Stoxx Insurance im laufenden Zyklus besser geschlagen als der marktbreite Euro-Stoxx-Index. Die Risiken haben die Kurse nicht vom Steigen abgehalten. Dennoch kommt eine gewisse Vorsicht in den Bewertungsrelationen zum Ausdruck. Europäische Versicherungsaktien sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 10,5 für die erwarteten Gewinne 2016 im Schnitt günstiger bewertet als der Gesamtmarkt. Auch die Dividendenrenditen fallen mit durchschnittlich 4,7 Prozent relativ lukrativ aus. Durchaus verlockend. Wie schnell der Wind aber drehen kann, wurde zuletzt in den Monaten April und Mai deutlich. Da führten die auf Rekordtiefs absackenden Anleiherenditen geradezu zu einem Ausverkauf bei den Ver- sicherungsaktien.
Wer die Risiken trotzdem nicht scheut und sich in diesem Sektor engagieren will, sollte klassische Lebensversicherungsaktien wie die belgische Aegon, die britische Standard Life oder Swiss Life aus der Schweiz eher meiden. Bei den Kaufkandidaten sollte auf einen intakten charttechnischen Aufwärtstrend in Verbund mit einer vernünftigen Bewertung geachtet werden. Erfüllt werden diese Bedingungen von der britischen Lancashire, der belgischen Ageas (ehemals Fortis) und der niederländischen NN Group (hervorgegangen aus der ING).
Wegen der Risiken sollten Positionen genau beobachtet werden. Dreht die Stimmung gegenüber dem Sektor, wird das in der Regel durch sich eintrübende Chartbilder rechtzeitig signalisiert. Ein Verkauf der Investments sollte dann schnell erfolgen. Die immensen Verluste vom April und Mai sind Warnsignal genug.