Mehr als 18 Monate ist es her, seit die Kurse gewaltig in den Keller rauschten. Niemand wusste, wann nach der Pandemie wieder Normalität einkehrt. Das Leben spielte sich in den eigenen vier Wänden ab, das Konsumentenverhalten änderte sich schlagartig. Kontakte zur Außenwelt gab es vor allem über das Internet. Einkaufsgewohnheiten, Essverhalten, aber auch die Dauer, die Privatanleger mit ihrer Geldanlage verbrachten, änderten sich radikal. Die Aktienkurse vieler Unternehmen, die einst nicht auf dem Kurszettel standen, rückten in den Fokus und legten kurz nach dem Sturz um ein Vielfaches zu. Vor allem die sogenannten Stay-at-Homes, also die Bleib-zu-Hause-Aktien, gingen durch die Decke. Mit den Lockerungen und den Ladenöffnungen kamen sie dann jedoch unter die Räder. BÖRSE ONLINE schaute sich um, wer tief gefallen ist und jetzt wieder das Potenzial hat, in Richtung alter Hochs zu klettern.

Möbel aus dem Netz

Ein Titel, der gewaltig abstürzte, ist etwa der der Möbelplattform Home24. Vom Zwischenhoch bei rund 27 Euro ging der Kurs auf etwas mehr als elf Euro zurück. Anleger gehen davon aus, dass sich die Konsumenten nach den Lockerungen wieder vor Ort in den Läden nach Möbeln umschauen, vor allem aber auch weniger Zeit für ihre Wohnungseinrichtung aufwenden. Abzulesen ist dies an der Zahl der Neukunden: Das Wachstum nahm rapide ab. Lediglich etwas mehr als 20 000 Neukunden kamen im zweiten Quartal im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Jahres dazu. In den vorangegangenen beiden Quartalen lag die Zahl um das Zehnfache höher.

Doch nicht nur bei Home24 griffen weniger Neukunden zu. Nahezu sämtliche Händler, die ihr Geschäft hauptsächlich über das Internet abwickeln, bekamen die neue Lust am stationären Einkauf zu spüren. Ungeachtet dessen geht der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH) davon aus, dass sich die Entwicklung nicht mehr umkehren lässt.

Trotz deutlich weniger Neukunden konnten die Zahlen von Home24 zum Halbjahr überzeugen: Der Umsatz kletterte auf 325 Millionen Euro, ein Wachstum von etwas mehr als 50 Prozent. Für 2023 rechnen die Berliner dann mit der ersten Milliarde. Zwar schreiben sie unterm Strich noch keine schwarzen Zahlen. Ziel ist es jedoch, vor allem das Wachstum zu forcieren und schnell größer zu werden. Im Vergleich zum Wettbewerb ist der Möbellieferant günstig bewertet.

So kostet der britische Wettbewerber Made.com nahezu das Doppelte an der Börse, obwohl er weniger Umsatz macht. Und auch der deutsche Konkurrent Westwing wird aktuell mit einem deutlichen Bewertungsaufschlag zu Home24 gehandelt. Viel Geld wird in den Ausbau von Logistik, Lagerkapazitäten und Technologie gesteckt. Für die Markenbekanntheit fließen außerdem mehr als 50 Millionen Euro ins Marketing. Westwing investierte über 30 Millionen Euro weniger. Vor allem deshalb fällt das operative Ergebnis von Westwing besser aus. Home24 könnte hier locker aufholen, setzt allerdings stärker auf Wachstum. Für eine Übernahme ist das Unternehmen ebenfalls ein heißer Kandidat.

Auch Zalando-Aktionäre hatten in den vergangenen Wochen wenig zu lachen: Zwar ging es mit dem Kurs nicht ganz so rapide nach unten wie bei Home24, dennoch verlor der Titel seit dem Hoch bei 105,80 Euro immerhin 30,5 Prozent. Bei Zalando hat die Wiedereröffnung ebenso Spuren hinterlassen: Im Durchschnitt sehen Analysten ein deutlich tieferes operatives Ergebnis als im Vergleichsquartal des vergangenen Jahres. Allerdings waren die Zahlen damals auch dem Lockdown geschuldet und sind geradezu explodiert. Der Titel bleibt ein Kauf.

Mode und Pillen schnell geordert

Ein Neueinstieg könnte sich bei der Global Fashion Group (GFG) lohnen. Sicher laufen auch bei GFG die Geschäfte nicht mehr ganz so stark wie während des Lockdowns. Doch die Zahlen sollten insgesamt solide ausfallen. Aktuell hat das Unternehmen mehr als 16 Millionen Kunden, vor allem in Lateinamerika, Asien und Osteuropa. Im Vergleich zu Zalando ist der Titel aktuell deutlich günstiger bewertet. Analysten von Berenberg sind optimistisch.

Als Übernahmeziel wird immer wieder Shop Apotheke gehandelt, denn die Branche ist sowohl für direkte Konkurrenten und Onlineversandhändler wie Amazon als auch für Private-Equity-Investoren interessant. Shop Apotheke war anfänglich ebenfalls ein klarer Gewinner der Corona-Krise. Angesichts des absehbaren Lockdown-Endes ging es mit dem Kurs aber deutlich bergab. Vom Hoch bei über 250 Euro im Frühjahr 2021 halbierte sich der Titel innerhalb weniger Monate. Ein Grund für die Korrektur lag auch im verzögerten Start des elektronischen Rezepts, durch das gesetzlich Versicherte zukünftig QR-Codes statt rosa Zettel erhalten. Ursprünglich war die Einführung für die Jahresmitte geplant, dann verschob sich der Start auf November 2021. Nun soll es Anfang 2022 losgehen. Für Onlinehändler wie Shop Apotheke würde sich die Bestellung rezeptpflichtiger Medikamente nach der Einführung des E-Rezepts deutlich vereinfachen und das Geschäft beleben. Mittlerweile schöpfen Anleger neuen Mut, der Aktienkurs zieht an. Zudem sind Kapazitätsengpässe infolge des Umzugs in ein neues Logistikzentrum, die das operative Geschäft bis Mitte September belasteten, überwunden. Laut Firmenchef Stefan Feltens ist Shop Apotheke für weiteres Wachstum gerüstet. Kurse über 200 Euro sind mittelfristig wieder drin.

Immer weiter bergab geht es mit Teamviewer. Mehr als 70 Prozent knallte der Kurs nach unten. Und jeden Tag, so scheint es, geht es noch ein Stückchen tiefer. Gründe dafür gibt es genügend: schlechte Zahlen für das dritte Quartal, Prognosesenkungen für das Gesamtjahr, der Großaktionär Permira, der zu Höchstkursen und dann immer wieder Aktien abgibt oder ein erstarkter Wettbewerb. Dazu kommt ein teurer Sponsoringvertrag mit Manchester United. Der läuft über fünf Jahre und dürfte die Schwaben knapp 250 Millionen Euro kosten. Für dieses Jahr macht diese Werbemaßnahme allein etwas weniger als zehn Prozent des kompletten Umsatzes aus. Das Unternehmen rechtfertigt die Maßnahme damit, dass man als globaler Anbieter mit einem der meistverkauften Trikots der Welt schnell eine weltweite Markenbekanntheit aufbauen kann. Viele Experten sehen das kritisch.

Operativ steuert das Unternehmen jetzt dagegen: Der Vertrag von Finanzchef Stefan Gaiser wird nicht verlängert, nächsten Sommer wird er Teamviewer verlassen. Zusätzlich wird aktuell ein neuer Vorstand gesucht, mit klarem Fokus auf den Vertrieb. Diesen wollen die Göppinger deutlich stärken. Zahlreiche Analysten stuften den Titel kräftig zurück. Im Schnitt haben sie ihre Kursziele mehr als halbiert. Das Vertrauen in das Unternehmen hat zuletzt stark gelitten. Neue Kooperationen mit SAP und Google haben sich bislang nur kurz positiv ausgewirkt. Einer Kursübertreibung nach oben folgte bei Teamviewer eine teils selbstverschuldete Übertreibung nach unten. Fakt ist: Die Produkte sind gut, jetzt gilt es intern einige Aufgaben zu lösen. Dann sollte es mittelfristig auch mit dem Aktienkurs wieder aufwärtsgehen.

Onlinebroker voll im Trend

Die Aktie des Onlinebrokers Flatexdegiro zeigte sich dieses Jahr sehr volatil. Wer vor einem Jahr einstieg, kann sich noch über einen Kursgewinn von 80 Prozent freuen. Anleger, die das Papier erst seit sechs Monaten besitzen, liegen gut 30 Prozent im Verlust. Unter Druck kam der Titel nach den Halbjahreszahlen. Die machten deutlich, dass sich das rasante Kundenwachstum verlangsamt. 150 ?000 neue Kunden im zweiten Quartal konnten Börsianer wenig überzeugen, Analysten hatten über 250 ?000 erwartet. Zudem handelten die Kunden auch deutlich weniger. Die Ebitda-Marge lag wegen gestiegener Marketingkosten und höheren Rückstellungen nur noch bei 38 Prozent. Im zweiten Halbjahr könnte sich die Marge aber auf 45 bis 50 Prozent normalisieren, erwarten Analysten. Da der Börsenboom anhalten dürfte, bietet die Kurskorrektur spekulativen Neueinsteigern nun eine gute Kaufgelegenheit. Auf Basis der Gewinnschätzungen für das kommende Jahr wird Flatexdegiro mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 14 deutlich günstiger gepreist als etwa die Konkurrenten Avanza oder Fineco. Auch die stetigen Insiderkäufe des Managements machen Mut. Allein Firmenchef Frank Niehage hat in diesem Jahr mehr als eine Million Euro in Flatexdegiro-Aktien investiert.