Es ist so wohl umstrittenste Aktie der Welt: Tesla. Ist 2022 der Zeitpunkt, um sie zu kaufen? Oder sogar zu verkaufen? Drei Gründe, die für einen Kauf sprechen – und drei dagegen. Von Jennifer Senninger und Sinan Krieger
Keine Aktie polarisiert so sehr: Tesla. Der Konzern für Elektrofahrzeuge spaltet die Meinungen der Anleger. Bestimmt auch deswegen, da der CEO des Konzerns, Elon Musk, immer wieder in die Schlagzeilen gerät. Erst kürzlich wurde im Wirr-Warr um die Twitter-Übernahme bekannt, dass Musk den Kurznachrichtendienst noch doch übernehmen will. Doch wie steht es derweil eigentlich um die Tesla-Aktie? Diese Gründe sprechen für und gegen einen Kauf.
Marktherrschaft E-Mobilität
Pro: Tesla = E-Autos
Bei E-Autos und Tesla ist es wie bei Taschentüchern und Tempos, etwas im Internet suchen und „googlen“. E-Autos = Tesla. Kann es den Vorsprung zur Konkurrenz behalten? Ja! Neben dem First-Mover-Vorteil gibt es einen weiteren: Die Produktionseffizienz. Laut Musk hat Tesla „gute Chancen“, bis Ende 2022 40.000 Fahrzeuge pro Woche zu produzieren. In Deutschland will Tesla 2022 die Verkäufe verdoppeln. Und: Bis 2030 will es 20 Millionen Elektrofahrzeuge produzieren – pro Jahr! Realistisch? Klar. Ein Auto besteht aus 30.000 Teilen. Ein Tesla Model 3 aus 10.000. Das macht die Produktion nicht nur günstiger, auch schneller. Dazu baut Tesla immer mehr Giga-Factories. Tesla hat im dritten Quartal zwar weniger Autos ausgeliefert als erwartet. Das lag vor allem daran, dass sich zum Ende des Quartals noch einige Fahrzeuge im Transit zu den Kunden befanden. Im Vergleich zum Vorjahr produzierte Tesla aber 54 Prozent mehr Fahrzeuge und schuf mit 343.830 Auslieferungen immer noch einen neuen Rekord. Laut EV Volumes und Yahoo Finance soll Tesla seinen Vorsprung mit einem Marktanteil von 21 Prozent mit Abstand beibehalten. Volkswagen würde nach der Schätzung erst mit zwölf Prozent auf Platz zwei landen.
Contra: Mitten im Konkurrenzkampf
Während Tesla in den USA zwar Marktführer für E-Autos ist, muss es sich in Europa Volkswagen und in Asien Wuling geschlagen geben. Bloomberg Intelligence geht davon aus, dass Tesla 2024 seine globale Vormachtstellung an Volkswagen verliert. Auch, weil die Giga-Factories in Berlin und Texas bislang weniger produktiv sind, als erhofft. In China sorgen der einheimische Elektro-Boom und politische Einfluss dafür, dass die chinesischen Hersteller immer weiter wegziehen. BYD verkauft schon heute mehr Plugin-Autos als Tesla weltweit – und ist dabei noch nicht mal auf dem amerikanischen und europäischen PKW-Markt aktiv. Zudem hält Tesla auf einem umkämpfteren Markt seine eigenen Versprechen nicht ein und spielt auf Zeit. Das beste Beispiel: der Cybertruck. Eigentlich sollten die ersten Modelle 2020 auf der Strasse sein. Das Problem: die Konkurrenz hat nicht geschlafen. Das Alternativ-Angebot hat in diesem Segment mittlerweile stark zugenommen.
Bewertung von Tesla
Pro: Diese Faktoren werden Bewertung senken
Tesla ist kein purer Autokonzern. Es bringt nichts, einen innovativen US-Tech-Konzern mit den Bewertungen eines 85 Jahre alten Autobauern aus Wolfsburg zu vergleichen. Die Bewertung verbessert sich rapide. Ende 2020 lag sie bei über 1000. Für 2022 könnte ein Gewinn von 4,2 Dollar je Aktie winken – KGV von 63! Immer noch hoch, aber: Auf was will man warten? Einsteigen, wenn die Bewertung niedrig genug und der Kurs dafür umso höher ist? Beides wird eintreten. Denn neben E-Autos, Batteriespeichern und Solarsystemen hat Tesla drei weitere Asse im Ärmel. 1: Laut einem Schreiben könnte Tesla mit dem Bau einer Lithiumhydroxid-Raffinationsanlage in den USA beginnen. Da der Preis des Metalls so stark stieg, betonte Musk mehrfach: „Es ist eine Lizenz zu Gelddrucken.“ Werden die Pläne genehmigt, könnte der Bau noch im vierten Quartal und der kommerzielle Betrieb Ende 2024 starten. 2: Mitte August verabschiedete die Regierung den Inflation Reduction Act (IRA). Dadurch winken Verbrauchern beim E-Auto-Kauf hohe Steuergutschriften. Derzeit sind die Subventionen auf 200.000 Fahrzeuge je Hersteller begrenzt. Diese Marke hat Tesla längst durchbrochen, dadurch einen Wettbewerbsnachteil. Tritt das Gesetz Anfang 2023 in Kraft, kann können Tesla-Käufer wieder profitieren. Und: Das IRA will Autos vom Gesetz ausschließen, die ihre Batterien und andere Teile teilweise oder ganz aus dem Ausland haben. Gut, dass Tesla über zwei Fabriken in den USA verfügt. 3: Semi, Teslas vollelektrischer LKW, der noch dieses Jahr verkauft und ausgeliefert werden soll. Bei E-LKWs gelten die Gesamtbetriebskosten weit niedriger als bei normalen Diesel-Trucks. Pepsico, Fedex und UPS haben bereits vorbestellt. Die LKW-Sparte könnte in kürzester Zeit einen Milliardenumsatz bringen.
Contra: Viel zu teuer im Vergleich zur Konkurrenz
Knapp 900 Milliarden US-Dollar soll ein Unternehmen Wert sein, dass 2021, dem “Jahr des Durchbruchs”, einen Gewinn von 5,5 Milliarden Dollar einfahren konnte? Und das, während Volkswagen einen Gewinn von über 15 Milliarden Euro (2021) bei einer Marktkapitalisierung von 85 Milliarden Euro auf die Waage bringt? Was kann eine solche Diskrepanz rechtfertigen? Das autonome Fahren? Andere Hersteller sind im Wettrennen um das vollautonome Auto mittlerweile weiter. Im Mai hat Mercedes als erster Autohersteller weltweit die Zulassung für ein hochautomatisiertes "Level-3"-Fahrzeug erhalten – vor Tesla! Die Mercedes-Aktie gibt es zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von fünf zu kaufen und nicht bei über 100. Was bleibt noch? Die Powerwall oder das Solardach? Zweifelsohne spannende Projekte. Aber sie tragen aktuell noch absolut gar nichts zum Ergebnis bei. Tesla ist ein Automobilkonzern und kein Techkonzern und muss sich früher oder später dem kritischen Vergleich mit seiner Peer-Group stellen. Die Aktie ist überteuert. Wie soll Tesla im traditionell margenschwachen Autogeschäft in diesem umkämpften Markt in Zukunft derart viele Autos verkaufen, das ein KGV von über 100 rechtfertigt? Und selbst im Vergleich zu Technologiewerten mit Microsoft oder Alphabet liegt Teslas KGV deutlich drüber.
Elon Musk
Pro: Musk treibt Aktienkurs
Zweifelsohne polarisiert Elon Musk und man muss freilich auch kein Fan seiner Ansichten sein. Auf die Tesla-Aktie bezogen ist er jedoch nicht unbedingt Risiko, sondern Kurstreiber. Leute kaufen sich auch deshalb einen Tesla, um selbst ein wenig vom Musk-Zauber abzubekommen. Zudem handelt es sich bei Elon Musk nicht mehr um einen unerfahrenen Jungunternehmer. Sondern um einen 51 Jahre alten Mann, der bereits vier Firmen zu über einer Milliarde Dollar Marktwert verhalf: Tesla, Paypal, SpaceX und Solar City. Man muss vielleicht nicht a la Cathie Wood ein Kursziel von 4600 Dollar für 2026 anpeilen (Kursziel vor Aktiensplit). 400 Dollar erscheinen bei diesem Umsatzwachstum, den starken operativen Margen, der guten Wettbewerbsposition und den zahlreichen Wachstumsfeldern, in denen sich Musk mit Tesla bewegt, aber durchaus realistisch. Für einen CEO wie Elon Musk gibt es nach oben keine Grenzen. Erst kürzlich am AI-Day von Tesla stellte er den humanoiden Roboter „Optimus“ vor, den er millionenfach produzieren und für unter 20.000 Dollar auf den Markt bringen will. Spätestens 2027 soll es soweit sein – Zukunftsmusik pur.
Contra: Musk ist für die Aktie ein Risiko
Musks Erfolg und seine zum Teil unorthodoxen Ansätze sind anzuerkennen. Dennoch birgt sein „anders sein“ ein gigantisches Risiko für Anleger. Musk agiert durch sein Verhalten ständig außerhalb der Komfortzone des Marktes. Er ist unberechenbar – damit war langfristig gesehen niemand an der Börse erfolgreich. Und gerade eine solche unsichere Zeit wie diese könnte einen Turning Point auch für Musk markieren. Etwaige Twitter-Eskapaden sind auch für die Tesla-Aktie ein hohes Risiko. Allen voran die Twitter-Übernahme. Ein weiterer Faktor: Was ist mit den Vanguards und BlackRocks dieser Welt, die ihre Entscheidungen rechtfertigen müssen? Wie lange sind Sie bereit, dieses Risiko mitzugehen? Die Diskrepanz der Finanzwelt zu Musk ist auf Dauer einfach zu groß.