Es kriselt weiter und weiter: ThyssenKrupp-Chef Guido Kerkhoff muss erneut die Prognose nach unten schrauben, wie der Manager am Donnerstag bei Vorlage der Quartalszahlen in Essen mitteilte. Im Geschäftsjahr 2018/19 (per Ende September) erwartet der Industriekonzern beim operativen Gewinn (bereinigtes Ebit) nur noch 800 Millionen Euro - davor waren die Essener von 1,1 Milliarden bis 1,2 Milliarden Euro ausgegangen. Im Jahr zuvor hatten sie einen Gewinn von 1,4 Milliarden Euro erzielt.
Zudem geht ThyssenKrupp nun von einem höheren freien Kapitalabfluss (negativer freier Cashflow) vor Zu- und Verkäufen aus. Bei dieser von Analysten stark beachteten Kennziffer erwartet das Unternehmen nun einen Abfluss von mehr als einer Milliarde Euro. Zuvor wurde ein negativer freier Cashflow im hohen dreistelligen Millionen Euro-Bereich prognostiziert.
Unter dem Strich dürfte ThyssenKrupp im laufenden Geschäftsjahr rote Zahlen schreiben. Im dritten Quartal stand ein Minus von 77 Millionen Euro. Das war allerdings eine Verbesserung um 32 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Umsatz stagnierte bei 10,8 Milliarden Euro.
ThyssenKrupp im Umbau - Minus 6.000 Stellen
Kerkhoff zieht Bilanz. "Mit der Geschäftsentwicklung in den ersten neun Monaten können wir insgesamt nicht zufrieden sein", so der Konzernchef. Im dritten Quartal fiel das bereinigte Ebit um fast ein Drittel auf 226 Millionen Euro. Das lag sogar leicht unter den Erwartungen der Analysten, die mit 229,5 Millionen Euro gerechnet hatten.
Für den Rückgang maßgeblich verantwortlich: Das schwächelnde Stahlgeschäft. Hier brach das bereinigte Ebit von April bis Juni auf eine Millionen Euro ein - von zuvor 227 Millionen Euro. Überkapazität, deutlich gestiegene Rohstoffkosten insbesondere für Eisenerz sowie schwächere Nachfrage durch die abschwächende Konjunktur verhagelten das Ergebnis.
Nachdem die Fusion mit dem europäischen Geschäft von Tata Steel geplatzt ist, arbeitet der Dax-Konzern an einem Restrukturierungsplan. So sollen im Stahlgeschäft 2.000 Stellen abgebaut werden. Insgesamt will ThyssenKrupp um die 6.000 Stellen streichen.
Doch damit nicht genug. Im Zuge des Umbaus werden auch weitere Sparten auf den Prüfstand gestellt, die derzeit Geld verbrennen - und damit für den hohen negativen Cashflow mitverantwortlich sind. So stellen die Essener die Geschäfte mit Federn und Stabilisatoren und den Bau von Produktionsanlagen für die Automobilindustrie sowie mit Grobblechen zur Disposition. Denn: Diese drei Bereiche machen nur rund vier Prozent des Konzernumsatzes aus, stehen aber für ein Viertel des im laufenden Geschäftsjahr zu erwartenden Kapitalabflusses.
Ziel des Umbaus sei, die Leistungsfähigkeit von ThyssenKrupp wieder zu steigern. So soll die Zentrale verschlankt werden, Kosten gesenkt und den übrig gebliebenen Geschäften mehr Freiraum eingeräumt werden.
Aufzugsparte vor dem Börsengang
Ein wichtiger Baustein im Zuge des Umbaus und ein Lichtblick des Industriekonzerns: Die profitable Aufzugsparte. Mit einem Gewinn im dritten Quartal von 239 Millionen Euro verdiente das Segmente sogar mehr als der gesamte Konzern zusammen.
Diese will Kerkhoff im kommenden Geschäftsjahr an die Börse bringen und sieht sich zeitlich gut im Plan. Allerdings gäbe es auch vorliegende Bekundungen potenzieller Interessenten, erklärte der Chef. Mit der Sparte liebäugeln Medienberichten zufolge unter anderem der finnische Konkurrent Kone. Auch Finanzinvestoren sollen bereits Interesse geäußert haben.
Dax-Abstieg vorprogrammiert
Neben den Problemen im operativen Geschäft hat ThyssenKrupp noch mit einer anderen Baustelle zu kämpfen. Denn das könnte es jetzt gewesen sein für den Industriekonzern im Leitindex Dax. Ende August überprüft die Deutsche Börse die Zusammensetzung. Kriterien sind Marktkapitalisierung des Streubesitzes und Börsenumsatz. Stand heute müsste ThyssenKrupp den Dax verlassen. Und auch Analysten wie Uwe Streich von der LBBW stufen die Wahrscheinlichkeit für einen Verbleib der Essener als ziemlich gering ein.
Geeignete Nachfolger aus dem MDax gibt es bereits. Lange Zeit galt der Wohnungskonzern Deutsche Wohnen als Aufstiegsfavorit, doch jetzt gibt es einen ernsthaften Konkurrenten: Den Triebwerkshersteller MTU Aero. "Stand jetzt würde MTU Aero für ThyssenKrupp in den Dax aufsteigen", so Streich. ThyssenKrupp wiederum würde in den MDax absteigen. Die Chance, dass doch der Immobilienkonzern in den Leitindex aufsteigt, sei nur unwesentlich kleiner. "Das Rennen dürfte erst in allerletzter Sekunde entschieden werden", sagt Streich.
Einschätzung der Redaktion
Die vorgelegten schlechten Quartalszahlen kamen bei den leidgeprüften Aktionären erstaunlicherweise gut an. Vor allem die Umbaupläne überzeugten die Investoren, so dass sich die ThyssenKrupp-Aktie zum Mittag mit mehr als drei Prozent im Plus einen der vorderen Plätze im Dax sicherte. Doch das ist noch lange kein Grund zur Freude. Seit Jahresanfang büßte die Aktie des Industriekonzerns fast 28 Prozent ein und ist damit das schwächste Dax-Mitglied. Der Leitindex hatte im vergleichbaren Zeitraum gut elf Prozent gewonnen. Der Abstieg aus dem Dax ist also so gut wie besiegelt - es bräuchte schon eine starke Kurserholung, um das noch abzuwenden.
Charttechnisch betrachtet sieht man das gesamte Übel. Das Papier notiert weit unter der viel beachteten 200-Tagelinie bei rund 13,90 Euro. Erst zur Wochenmitte hatten die Anteilsscheine mit 10,34 Euro ein weiteres Tief seit Sommer 2003 erreicht. Damit hat die Aktie unseren Stopp bei 10,45 Euro gerissen. Wir stufen das Papier deshalb auf Beobachten zurück.
Anleger und mögliche Neuinvestoren sollten dennoch auf dem Schirm haben: Ob Verkauf oder Börsengang, ThyssenKrupp wird Kapital aus der Aufzugsparte ziehen. Sollte das passieren, könnte der Kurs stark ansteigen.
Empfehlung: Beobachten
Mit Material von ehr/dpa-AFX