Es ist wie ein Wettlauf zum Himmel: Mehr als 1.000 Meter hoch soll der Jeddah Tower in der Wüste von Saudi-Arabien in die Höhe ragen. Wird der Turm tatsächlich fertiggestellt, würde er den bisherigen Rekordhalter, den Burj Khalifa in Dubai, um knapp 200 Meter überragen. Seit der Jahrtausendwende sind bereits zehn Wolkenkratzer höher als 500 Meter in den Himmel geschossen. Das Empire State Building in New York, im vergangenen Jahrhundert lange das höchste Gebäude der Welt, ist mit 381 Metern mittlerweile unspektakulär.
Wie ein Zwerg im Vergleich zu den Megatürmen wirkt die Konzernzentrale von Thyssenkrupp in Essen. Rund 50 Meter ragt der mit einer großen Glasfassade versehene Kubus in die Höhe. In Deutschland vor allem als Stahlkocher bekannt, ist der Ruhrpottkonzern einer der Ingenieure des globalen Höhenrauschs. Die Aufzugsparte (Elevator Technology) ist der mit Abstand wertvollste Bestandteil des traditionsreichen Industriekonglomerats - und für Thyssenkrupp damit der wohl aussichtsreichste Fluchtweg aus einer existenziellen Krise.
Ein Blick in den Geschäftsbericht des DAX-Konzerns zeigt die Bedeutung der Sparte: Elevator Technology erwirtschaftete im vergangenen Geschäftsjahr einen bereinigten operativen Gewinn von 866 Millionen Euro und damit mehr als die Hälfte der Gesamterträge des Konzerns.
Börsianer stellen bemerkenswerte Rechnungen auf: 15 Milliarden Euro sei die Sparte als eigenständiges Unternehmen wert, kalkuliert der Finanzdienst Bloomberg. Das wäre rund doppelt so viel, wie die Aktienmärkte derzeit dem kompletten Thyssenkrupp-Konzern zugestehen. Die anderen vier Sparten, darunter das europäische Stahlgeschäft, hätten demnach einen deutlich negativen Wert. Thyssenkrupp ist aus Sicht der Finanzmärkte ein Lehrbuchbeispiel für die destruktive Kraft eines Konglomerats.
Viele Investoren bevorzugen Unternehmen mit schlanken Strukturen und einer klaren Wachstumsstory. Genau das kann die Aufzugsparte bieten. Treibende Kraft für das operative Geschäft ist die demografische Entwicklung. Nach Hochrechnung der Vereinten Nationen werden Mitte des Jahrhunderts mehr als zwei Drittel der Menschheit in Großstädten leben. Schließlich gibt es dort die meisten Jobs und viele andere Annehmlichkeiten, die insbesondere junge Menschen anziehen. Die Auswirkungen dieser Völkerwanderung sind schon heute deutlich: Weil immer mehr Menschen auf engem Raum leben und arbeiten, steigen die Immobilienpreise. Ein Ausweg: höhere Gebäude. Genau dafür werden leistungsstarke Aufzüge oder auch Rolltreppen gebraucht.
Je höher die Türme werden, desto anspruchsvoller wird die Technologie. Allein das Gewicht der Kabel und deren Vibrationen werden mit jedem Meter Höhe zu einer größeren Herausforderung für die Aufzughersteller. Durch neue Materialien wie Kohlefasern lässt sich beispielsweise das Gewicht der Seile reduzieren und deren Stabilität erhöhen. Eine ganz neue Technologie testet Thyssenkrupp in einem Turm nahe Rottweil: Die Kabinen werden durch Magnetschwebetechnik bewegt und können, weil sie nicht an Seilen hängen, auch horizontal abbiegen.
Auf Seite 2: China schiebt an
China schiebt an
Neue Anlagen verkaufen die Aufzughersteller vor allem in den asiatischen Raum. Dort wachsen die Städte besonders stark. Eine Nation sticht heraus: In China stehen mittlerweile zehn der 20 höchsten Gebäude der Welt, darunter der 632 Meter hohe Shanghai Tower als die weltweite Nummer 2. Anders ist die Marktsituation in den Industrienationen: In Europa stehen bereits viele Hochhäuser, die meisten aber sind alt. Mehr als die Hälfte der Fahrstühle und Rolltreppen sind seit über 20 Jahren im Einsatz, und es geht vor allem darum, sie am Laufen zu halten. Serviceleistungen sind der lukrativere Teil des Geschäfts, weil sie über einen langen Zeitraum relativ zuverlässige Einnahmen bringen. Voraussetzung für steigende Serviceaufträge ist allerdings ein erfolgreiches Neugeschäft.
Der Aufstieg der Schwellenländer hat das Geschäft der Aufzughersteller seit der Jahrtausendwende angetrieben. Zuletzt aber stockte das Neugeschäft. Auch steigende Rohstoffkosten und ungünstige Währungseffekte belasten die Hersteller. Die Marge der Aufzugsparte bei Thyssenkrupp schrumpfte zuletzt leicht auf 10,6 Prozent. Der Abwärtsdruck könnte nach Einschätzung von Experten die Konsolidierung der Branche vorantreiben. Thyssenkrupp dürfte dabei eine zentrale Rolle spiele.
Um den wahren Wert der Aufzugsparte zu heben, will Konzernchef Guido Kerkhoff Elevator Technology aufs Börsenparkett hieven. Das hätte gleich mehrere Vorteile: Durch den Verkauf von Aktien würde der Mutterkonzern frisches Geld einnehmen. Thyssenkrupp würde nach einem Börsengang weiterhin die Mehrheit der Aktien der Aufzugsparte behalten. Deren Wert wäre anhand des Börsenkurses aber klar ersichtlich und würde, sofern die Tochter annähernd jene von Analysten errechneten 15 Milliarden Euro erreicht, auch den Aktienkurs des Mutterkonzerns beflügeln.
Finnisches Finale
Es gibt aber noch eine andere Option. Dem Vernehmen nach prüft der finnische Konkurrent Kone, Thyssenkrupp die Aufzugsparte abzukaufen. Kone wird schon seit Längerem ein Interesse nachgesagt. Die entscheidende Frage dürfte sein, wie viel Geld Kone auf den Tisch legen will. Eine Komplettübernahme würde die Finanzen der traditionell eher konservativ wirtschaftenden Finnen strapazieren. Wahrscheinlicher ist daher ein Szenario, in dem Thyssenkrupp einen Teil des Kaufpreises in Aktien erhalten würde.
Bei Kone selbst will man sich zu konkreten Szenarien nicht äußern. Die Finnen haben aber eine klare Meinung zur Branche: "Wir sagen seit Jahren, dass eine Konsolidierung notwendig ist. Daran hat sich nichts geändert."
Ein Deal zwischen Thyssenkrupp und Kone würde die Machtverhältnisse in jedem Fall verschieben. Beide Unternehmen zusammen würden in der stark fragmentierten Branche den bisherigen Marktführer Otis verdrängen. Dessen Gründer, der Mechaniker Elisha Graves Otis, hatte Mitte des 19. Jahrhunderts eine Sicherheitsvorrichtung entwickelt, die Aufzüge vor dem Absturz schützen. Damit ebnete er der massenhaften Nutzung des bis dahin riskanten Transportmittels den Weg. Heute ist Otis Teil des US-Industriekonglomerats United Technologies. Der Amerikaner haben unter anderem die Aufzüge im Burj Khalifa in Dubai installiert.
Der laut "Guinness-Buch der Rekorde" längste Aufzug der Welt fährt übrigens an einem extrem finsteren Ort: In der Mponeng-Mine des Bergbaukonzerns AngloGold in Südafrika befördert er in einem Schacht die Arbeiter mehr als zwei Kilometer in die Tiefe.
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Investor-Info
KONE
Stark in China
Die Finnen sind klarer Profiteur der Urbanisierung. Jeweils rund die Hälfte des Umsatzes entfällt auf Neugeschäft und Service. Mehr als 25 Prozent kommen aus China. Analysten trauen Kone Gewinnsteigerungen von jeweils rund acht Prozent bis zum Jahr 2021 zu. Eine Allianz mit Thyssenkrupp wäre strategisch sinnvoll, würde bei den Wettbewerbshütern in Europa aber wohl auf Widerstand stoßen. Auch ohne Fusion ein gutes, wenngleich zyklisches Investment.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 58,00 Euro
Stoppkurs: 43,00 Euro
Thyssenkrupp
Am Wendepunkt
Das Industriekonglomerat leidet auch unter der Schwäche der Autoindustrie. Der operative Gewinn von Thyssenkrupp schrumpfte in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres um 48 Prozent. Ein Börsengang der Aufzugsparte, vermutlich im Jahr 2020, würde frisches Geld bringen und helfen, die Probleme in den anderen Sparten anzupacken. Die Aussicht auf einen Börsengang der Aufzugsparte bietet für Aktionäre die Chance auf einen Turnaround. Riskant!
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 16,00 Euro
Stoppkurs: 9,90 Euro
United Technologies
Vor Aufspaltung
Das US-Konglomerat spaltet sich in drei Bereiche auf: United Technologies will sich künftig auf die Luftfahrt, dort unter anderem auf die Herstellung von Turbinen konzentrieren. Der Fahrstuhlhersteller Otis und der Klimaanlagenspezialist Carrier sollen ausgegliedert und wohl Anfang des kommenden Jahres an die Börse gebracht werden. Der Gesamtkonzern hat seine Prognose zuletzt leicht angehoben. Deutschen Anlegern bringen die Spin-offs aber steuerliche Nachteile.
Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 135,00 Euro
Stoppkurs: 105,00 Euro