"Wir fordern ein Jahrzehnt Sicherheit für Beschäftigung, Standorte, Anlagen und Investitionen. Darum wird es bei den folgenden Verhandlungen gehen", sagte der stellvertretende Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel Europe, Detlef Wetzel, am Donnerstag bei einer Großdemonstration von Stahlkochern im rheinland-pfälzischen Andernach. Unterstützung bekamen sie von der Chefin der SPD-Bundestagsfraktion, Andrea Nahles, die eigens zur Protestveranstaltung angereist war: "Thyssenkrupp will einfach nicht die Karten auf den Tisch legen und das jetzt schon seit Monaten", rief sie der Menge zu. "Aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlangen zu recht, dass hier Transparenz geschaffen wird."

Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger treibt die Pläne trotz des Widerstands aus der Belegschaft voran. Für ihn ist das Stahlgeschäft zu konjunkturabhängig, auch wenn es zuletzt überraschend gut lief und maßgeblich zum Gewinnanstieg des Konzerns im abgelaufenen Geschäftsjahr beitrug. Natürlich freue er sich über das derzeit positive Marktumfeld für die Schwerindustrie, sagte Hiesinger auf der Bilanzpressekonferenz in Essen. "Aber davon lassen wir uns nicht blenden." Die strukturellen Probleme der Branche in Europa seien ungelöst. Im Flachstahlbereich gebe es immer noch erhebliche Überkapazitäten.

Hiesinger setzt weiter auf eine einvernehmliche Lösung mit den Arbeitnehmervertretern, damit er das Stahlgeschäft wie geplant bis Ende 2018 - mitsamt einer Schulden-Mitgift von vier Milliarden Euro - in das Joint Venture auslagern kann. Sollten die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die Pläne geschlossen ablehnen, könnten sie dennoch in einer Kampfabstimmung durchgesetzt werden. Der Konzern setzt aber traditionell auf gemeinsame Lösungen mit den Gewerkschaften.

Zusammen kommen Thyssen und Tata auf 48.000 Mitarbeiter und würden den zweitgrößten Stahlkonzern Europas nach ArcelorMittal schmieden. Die Grundsatzvereinbarung wurde im September besiegelt. Demnach rechnen die Konzerne bereits damit, dass insgesamt bis zu 4000 Jobs wegfallen könnten.

"FÜR DIE MENSCHEN IST NICHTS GEREGELT"



Nach Gewerkschaftsangaben protestierten nahezu 8000 Stahlarbeiter in Andernach, wo Thyssenkrupp ein Weißblechwerk betreibt. Thyssen und Tata hätten vieles vereinbart, schimpfte der frühere IG-Metall-Chef Wetzel. "Nur für die Menschen ist nichts, aber auch gar nichts geregelt." Das sei unfassbar, aber wahr. "Wenn wir von Sicherheit reden, dann meinen wir nicht Sicherheit für einen Augenblick. Wir wollen Sicherheit für einen langen Zeitraum und wir fordern, dass Thyssenkrupp uns das garantiert."

"Wir sind verhandlungsbereit", hatte kurz zuvor Personalvorstand Oliver Burkhard in Essen betont. "Daraus kann man wahrscheinlich entnehmen, dass auch wir Zusagen eingehen werden, wie wir es üblicherweise auch bei früheren Tarifverträgen getan haben", fügte der frühere IG-Metall-Chef von NRW hinzu. Aktuell bestehe ja im Stahlbereich noch ein Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2021. "Dazu stehen wir." Später twitterte Burkhard: "Gute Nachrichten: Morgen beginnen die Verhandlungen zum Stahl-Joint-Venture mit der Mitbestimmung."

DER SPARKURS KOMMT SOWIESO



Hiesinger machte deutlich, dass er seine Pläne auf jeden Fall vorantreiben will. Daran ändere sich auch durch die Gewinnsteigerung der Stahlsparte nichts. Diese hatte im Geschäftsjahr 2016/17 (per Ende September) dank gestiegener Preise ihren operativen Gewinn um rund Dreiviertel auf über eine halbe Milliarde Euro gesteigert. Sie trug damit maßgeblich dazu bei, dass der Konzern sein operatives Ergebnis um knapp ein Drittel auf 1,9 Milliarden Euro verbesserte.

In dem Joint Venture mit Tata würden keine Maßnahmen ergriffen, die es nicht ohnehin geben würde, bekräftigte Hiesinger. Die Belastungen würden aber zusammen mit dem Partner wohl geringer ausfallen. "Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir im Dialog mit den Arbeitnehmervertretern eine gute Lösung finden werden."

Mit seinem operativen Konzernergebnis übertraf Thyssenkrupp zwar die Markterwartungen. Wegen hoher Abschreibungen beim Verkauf des Stahlwerks in Brasilien stand unter dem Strich aber ein Verlust von 649 Millionen Euro zu Buche. Die Aktionäre sollen dennoch eine unveränderte Dividende von 15 Cent je Papier erhalten. Für 2017/18 stellte Hiesinger einen operativen Gewinn von 1,8 bis 2,0 Milliarden Euro in Aussicht und einen deutlich positiven Überschuss. Dieser werde über 321 Millionen Euro liegen.

GROSSAKTIONÄR CEVIAN KRITISIERT HIESINGER SCHARF



Der Großaktionär Cevian kritisierte Hiesinger scharf. "Die Strategie hat bisher nicht das geliefert, was man versprochen hat", sagte Cevian-Mitgründer Lars Förberg dem "Handelsblatt" laut Vorabbericht (Freitagsausgabe). "Die Ergebnisse sind besorgniserregend." Der Vorstand des Industriekonzerns habe sich vor vier Jahren operative Margenziele von sechs bis sieben Prozent gesetzt, schaffe derzeit aber gerade mal die Hälfte. "Seit vier Jahren warten wir damit auf sichtbaren Fortschritt."