Vor fast zwei Monaten trat die ehemalige Bosch-Managerin Martina Merz an die Spitze von Thyssenkrupp. Damit wäre sie beinahe die erste Frau im Vorstand eines DAX-Unternehmens geworden - wäre der kriselnde Mischkonzern nicht einen Monat zuvor aus dem deutschen Leitindex in den MDax abgestiegen. Auch mit der jüngsten Bilanz konnte der Konzern keine Erfolge verkünden. Stattdessen hat Thyssenkrupp nach hohen Verlusten bekanntgegeben, dass die Dividende gestrichen wird. Zuletzt hatten die Aktionäre 15 Cent je Aktie erhalten. Die Anleger zogen sich in der Konsequenz zurück und der Titel verlor mehr als elf Prozent.
Der Nettoverlust des Stahl- und Industriekonzerns hat sich im Geschäftsjahr 2018/2019 auf 260 Millionen Euro ausgeweitet. Im Vorjahr waren es noch zwölf Millionen Euro. Im nächsten Jahr soll das Minus noch deutlich größer sein, hieß es. So ist für die Restrukturierungsmaßnahmen ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag im laufenden Geschäftsjahr eingeplant. Das Geld dafür soll aus der gesteigerten Performance sowie dem anstehenden Verkauf der Aufzugssparte beziehungsweise deren Börsengang stammen, erklärte die Vorstandsvorsitzende auf der Bilanzpressekonferenz.
Vor diesem Hintergrund legt der neu formierte Vorstand die Prioritäten auf die Steigerung der Performance, die Elevator-Transaktion, die Zukunftsfähigkeit des Stahlgeschäfts und die Weiterentwicklung der Organisation. "Dieses Unternehmen und seine Geschäfte hat viel Potenzial und ich bin überzeugt vom Erfolg des Transformationsprozesses", unterstrich die neue Thyssenkrupp-Chefin die Pläne. Schon jetzt sei der Konzern in vielen Geschäften unter den führenden Unternehmen. Nun gelte es, auch die anderen Bereiche wieder auf Kurs zu bringen.
Diese Bereiche sind betroffen
Davon sind insbesondere die Bereiche Industrial Solutions (Industrieanlagenbau), System Engineering (Autozulieferer-Geschäft) und Stahl betroffen. So wird sich Industrial Solutions auf den operativen Turnaround fokussieren. Gleichzeitig sieht der Konzern Chancen, die verschiedenen Geschäfte im Anlagenbau gemeinsam mit Partnern oder unter einem neuen Dach weiterzuentwickeln. Dazu werden aktuell Informationen zu den Geschäften vorbereitet, um zeitnah Gespräche mit potenziellen Interessenten konkretisieren zu können.
Bei System Engineering hat der Restrukturierungsprozess bereits begonnen. Dort wird es zu einem Abbau von rund 640 Stellen kommen.
Außerdem will der Konzern die strukturellen Herausforderungen im Stahlbereich angehen. Ziel sei es, dem Stahl eine langfristige Perspektive zu geben. Hierzu arbeitet der Stahlvorstand derzeit an einem Zukunftskonzept, das im Dezember zunächst im Aufsichtsrat der thyssenkrupp Steel Europe AG vorgestellt und mit der Mitbestimmung besprochen wird.
Dass Chefin Merz nur für zwölf Monate aus dem Aufsichtsrat als Vorstand entsendet wurde, schürt Zweifel am Erfolg der Restrukturierung, die mindestens zwei bis drei Jahre dauern wird. Sie selbst sieht das unproblematisch. Gemeinsam mit dem Gesamtvorstand will sie die Zeit nutzen, um die Restrukturierung anzustoßen und die neue Richtung vorzugeben. Dass sie selbst nicht für den gesamten Zeitraum des Prozesses Vorstandsvorsitzende sein wird, sei zweitrangig.
Unsere Einschätzung:
Wird die Aufzugssparte verkauft, gibt Thyssenkrupp sein Kerngeschäft ab. Übrig bleiben dann Geschäfte, die derzeit nur teilweise zufriedenstellend laufen. Laut Konzernchefin Merz habe hier bislang der Fokus gefehlt. Durch neue Strukturen soll sich das nun ändern. Gelingt der neuen Unternehmensspitze der Turnaround, kann der Konzern durchaus wieder zu Höchstformen gelangen. Anleger sehen die Entwicklungen des Mischkonzerns jedoch kritisch. Die Aktien stürzten um mehr als elf Prozent ab. Dennoch dürfte es sich lohnen, die Papiere im Blick zu behalten. Risikofreudige Anleger könnten die niedrigen Kurse als günstige Einstiegsgelegenheit nutzen.