An der Börse konnte die Vereinbarung nur kurzzeitig überzeugen. Der Kurs der Thyssenkrupp-Aktie rutschte am Vormittag mit 0,8 Prozent ins Minus. Zwar räumten Marktbeobachter ein, dass mit der Einigung ein wichtiges Hindernis auf dem Weg zur Stahlfusion aus dem Weg geräumt sei. Analysten monierten jedoch die hohen Zugeständnisse an die Gewerkschaft IG Metall.
Analyst Christian Obst von der Baader Bank sprach von "weitreichenden Zusagen". Damit bleibe der Status Quo im Stahlgeschäft wohl noch mindestens bis ins Jahr 2026 bestehen. Weitere, über die derzeitigen Ziele hinausgehende Synergien dürften erst langfristig erzielbar sein. Vorerst dürfte die Integrationsarbeit einschließlich der damit verbundenen Kosten bei dem neuen Joint Venture die Agenda beherrschen.
Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger und sein Personalvorstand Oliver Burkhard sprachen hingegen von einer "ausbalancierten" Lösung. "Mit dem heute erzielten Ergebnis haben wir eine wesentliche Voraussetzung dafür geschaffen, unsere strategische Zielsetzung zu erreichen und gleichzeitigen Interessen unserer Beschäftigten gerecht zu werden", sagte Hiesinger. Burkhard sprach von einem "schwierigen Verhandlungsprozess", dessen Lösungen beiden Seiten etwas böten. Wichtig sei eine gemeinsame Lösung mit der Arbeitnehmerseite gewesen, der den Beschäftigten Sicherheit biete und andererseits für das Joint Venture eine gute Zukunftsperspektive schaffe.
Wesentlicher Bestandteil der Einigung ist eine Beschäftigungssicherung bis zum 30. September 2026. An dem Abbau von bis zu 2000 Stellen im Zuge der Fusion hält Thyssenkrupp dabei fest. Dieser soll jedoch sozialverträglich umgesetzt werden. Auch die Mehrheit der Standorte sollen bis dahin gesichert sein.
Thyssenkrupp will sich auf lange Sicht von dem schwankungsanfälligen Geschäft lösen. Trotz jüngster Preiserholung sieht der Konzern weiter strukturelle Probleme im Stahlgeschäft, das noch immer von Überkapazitäten geprägt ist. Thyssenkrupp und Tata erhoffen sich durch die Zusammenlegung ihrer Geschäftsteile hohe Einsparungen - früheren Angaben zufolge 400 bis 600 Millionen Euro jährlich. An dem Gemeinschaftsunternehmen sollen Thyssenkrupp und Tata je 50 Prozent besitzen.
Allerdings könnte es in den kommenden Jahren zu einer Verschiebung der Eigentümerstruktur kommen - und Thyssenkrupp könnte seinen Anteil schrittweise reduzieren. "Mindesten sechs Jahre" will der Konzern zwar an dem Gemeinschaftsunternehmen beteiligt bleiben. Gleichzeitig betonte Thyssenkrupp, dass währenddessen eine Veränderung der Struktur nicht ausgeschlossen sei. Dabei nannte der Konzern einen Börsengang als Option. Ein Verkauf an einen anderen Investor sei dagegen nicht durchgespielt worden, sagte Burkhard in einer Telefonkonferenz.
Dabei könnte der Anteil von Thyssenkrupp in diesem Zeitraum auch auf bis zu 25 Prozent sinken. Fest vereinbart sei, dass die Essener sowie Tata zusammen die Mehrheit von 50,1 Prozent behielten, wobei jede der beiden Parteien davon die Hälfte halten werde, so Burkhard. Was danach kommt, bleibt zunächst offen. Grundsätzlich könnte am Ende auch ein Komplettausstieg stehen. Burkhard wollte dies nicht ausschließen, sieht das Thema jedoch zunächst nicht auf der Agenda.
Nach Abschluss der derzeit laufenden wirtschaftlichen Prüfung des Vorhabens soll der Vertrag über das neue Gemeinschaftsunternehmen möglichst Anfang kommenden Jahres unterzeichnet werden. Der Vollzug wird nach Freigabe der Kartellbehörden Ende 2018 angestrebt. Damit bekräftigte Thyssenkrupp den bestehenden Zeitplan.
Für die Mehrheit der Standorte sei eine Sicherung bis 2026 vorgesehen, hieß es nach den Verhandlungen mit den Arbeitnehmern weiter. Allerdings sei innerhalb dieser Vereinbarung die "Anpassung einzelner Anlagen und Aggregate weiterhin möglich". Für einzelne Betriebsteile in Bochum, Eichen und Hüttenheim soll es Ende 2020 eine Wirtschaftlichkeitsprüfung über eine mögliche Fortführung geben. Unabhängig davon gelte für diese Bereiche eine Standortsicherung bis Ende 2021. Zudem soll der Erhalt der Montanmitbestimmung in Deutschland in den Tarifvertrag aufgenommen werden.
Thyssenkrupp will dabei auch weiter in die deutschen Stahlstandorte investieren - rund 400 Millionen Euro jährlich will der Konzern dafür bereitstellen und damit das derzeitige Niveau halten.
Die IG Metall will im Januar das Ergebnis an den Stahlstandorten zur Abstimmung stellen. Die Tarifkommission der Gewerkschaft hat dabei empfohlen, das Verhandlungsergebnis anzunehmen.
Die Arbeitnehmervertreter befürchten bei einer Fusion der bisherigen Konkurrenten den Abbau von deutlich mehr als den vom Unternehmen angekündigten 2000 Jobs. Zudem sorgen sie sich um Werksschließungen und kritisieren die von Thyssenkrupp anvisierte Verlegung des Sitzes der Stahlsparte in die Niederlande.
Das Management unter Heinrich Hiesinger steht unter Druck - nicht nur von Seiten der Gewerkschaften, sondern auch der Anteilseigner. Besonders Großaktionär Cevian geht der Umbau nicht schnell genug. Dessen Chef Lars Förberg hatte jüngst in einem Zeitungsbericht sogar eine Zerschlagung des Konzerns ins Spiel gebracht - die von Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Ulrich Lehner umgehend zurückgewiesen wurde.
Die Stahlfusion soll Hiesinger nun die Luft verschaffen, den Konzern eher auf die Industriesparte mit Geschäften wie Aufzügen und Autokomponenten zu konzentrieren. Dieser Bereich macht mittlerweile ohnehin den Löwenanteil des Geschäfts des Konzerns aus./nas/stw/das
dpa-AFX