DAS PASSIERT BEI THYSSENKRUPP:
Der Konzern ist weiter auf Chefsuche. Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner hatten vor einigen Monaten kurz hintereinander ihre Jobs überraschend hingeworfen. Mit dem früheren Telekom-Chef René Obermann hat unterdessen ein weiterer Aufseher das Kontrollgremium verlassen. Hintergrund sind Unstimmigkeiten mit den Großaktionären, der Krupp-Stiftung sowie dem Finanzinvestor Cevian. Vor allem Cevian war in der Vergangenheit immer wieder durch öffentliche Kritik an dem Kurs bei Thyssenkrupp aufgefallen, die Krupp-Stiftung hielt sich dabei im Hintergrund - offenbar zu sehr. Zudem ist mit dem Hedgefonds Elliott ein unangenehmer, aktivistischer Aktionär in das Unternehmen eingestiegen. Immer wieder machten Gerüchte über eine Zerschlagung des Unternehmens die Runde.
Es sind daher unruhige Zeiten für Thyssenkrupp - auch operativ. Noch immer leidet der Essener Konzern an den Folgen einer milliardenschweren Fehlinvestition. Auch operativ läuft es nicht rund: Das größte Sorgenkind ist die schwächelnde Sparte Anlagenbau, bei der Projektverschiebungen und höhere Kosten zu einer Gewinnwarnung im Konzern geführt haben. Aber auch andere Bereiche hinken den Renditeanforderungen hinterher. Dazu kommt: Die Stahlfusion mit Tata ist zwar mittlerweile beschlossen, aber immer noch nicht vollzogen.
Für den Posten des Vorstandsvorsitzenden wurde mit Finanzchef Guido Kerkhoff eine Zwischenlösung gefunden. Doch Experten sind sich eigentlich einig, dass eine neue Strategie für den Konzern her muss. Und dies kann aus ihrer Sicht nur ein neuer Manager bewerkstelligen. Dass Kerkhoff jedoch keine "lahme Ente" ist, die den Status Quo verwaltet, bewies er kürzlich, als er die Abspaltung des Marinegeschäfts vom schwächelnden Anlagenbau verfügte. Mit diesem Schritt sowie einem neuen Management will er die Sanierung im Anlagenbau schneller vorantreiben.
Der Posten des Chefaufsehers ist jedoch vakant - und offenbar will diesen angesichts der Gemengelage niemand übernehmen. Thyssenkrupp holte sich offenbar reihenweise Absagen prominenter Manager ein. Die Befürchtung, zwischen den beiden Großaktionären womöglich zerrieben zu werden, erscheint ihnen dem Vernehmen nach zu groß.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Auch an der Börse macht sich Ungeduld breit. Analysten beklagen die Hängepartie bei der Neubesetzung der Posten: Ohne neues Management kein Fortkommen in der strategischen Entwicklung, heißt es übereinstimmend.
Experten etwa von der Bank Credit Suisse bezeichneten die Neubesetzungen als "Kernfrage" des Unternehmens. Kerkhoff habe zwar mittelfristige Ziele bis 2021 ausgegeben, die Experten sehen diese allerdings ohne Neustart als schwierig zu erreichen an. Der Druck aller Beteiligten habe zugenommen, stellte Holger Fechner von der NordLB fest.
UBS-Analyst Carst Riek sieht es als entscheidend an, einen externen Kandidaten für den Vorstandsvorsitz zu finden, um einen Neustart für das Unternehmen zu signalisieren. Bei den Analysten von Jefferies heißt es, jedwede Art von Verkäufen würde nicht vor der Neubesetzung durchgeführt. Dabei wären Verkäufe strategisch durchaus sinnvoll.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Dem Aktienkurs bekommt das ganze Hickhack überhaupt nicht. Vom Jahreshoch im Januar bei über 26 Euro brachen die Papiere um bis zu 30 Prozent ein. Anfang September fielen sie auf den niedrigsten Stand seit mehr als zwei Jahren. Zuletzt hat sich die Aktie wieder etwas berappelt: Die Reparaturarbeiten im Anlagenbau sowie ein Großauftrag ausgerechnet in diesem Geschäft heiterten die Stimmung von Investoren wieder etwas auf. Die Titel konnten sich wieder über die 20-Euro-Marke hieven. Vom Jahreshoch ist das Papier jedoch ebenso noch ein gutes Stück entfernt wie vom durchschnittlichen Kursziel der Analysten, das bei gut 27,60 Euro liegt.
Mehrheitlich empfehlen die im dpa-AFX-Analyser zusammengefassten Experten die Aktien angesichts der im Vordergrund stehenden Restrukturierungsgeschichte zum Kauf. Aber auch sechs Halteempfehlungen gibt es - sowie einen Rat, die Aktie zu verkaufen./nas/bek/tav