Heinrich Hiesinger hat in seinen fünf Jahren als Chef von Thyssenkrupp schon einiges erlebt. Die ersten drei Jahre liefen wegen Managementfehlern in der Vergangenheit katastrophal, auf den Aktionärstreffen hagelte es regelmäßig Kritik. Der DAX-Konzern schlitterte von einem Skandal zum nächsten, von Bestechungsvorwürfen bis zu Preisabsprachen war alles dabei. Fehlinvestitionen in Übersee, vor allem im Stahlwerk in Brasilien, führten zu Rekordverlusten. In den Jahren 2011 bis 2013 belief sich das Minus auf insgesamt 8,4 Milliarden Euro.
Auf das diesjährige Aktionärstreffen am Freitag in Bochum dürfte sich der 55-Jährige deshalb geradezu freuen: Zwei Geschäftsjahre mit Gewinnen hat der Manager inzwischen abgeliefert. Im Vorjahr verbuchte der Stahl- und Industriegüterkonzern knapp 1,7 Milliarden Euro operatives Plus. Für die bis Ende September laufende Geschäftsperiode hat der Vorstandschef abermals ein positives Ebit versprochen. Die Essener schafften in der vergangenen Periode auch zum ersten Mal seit neun Jahren wieder einen positiven freien Mittelzufluss aus dem Geschäft. Sprich: Thyssenkrupp nahm operativ mehr ein, als es ausgab. Nur so bleibt nachhaltig Geld übrig, etwa für Dividendenausschüttungen. Man könnte das für selbstverständlich halten - bei Thyssenkrupp lief es aber lange Jahre ganz anders, das Unternehmen zehrte von der Substanz.
Gleichwohl ist Anlegern vor der Hauptversammlung nicht zum Feiern zumute. Im Branchenumfeld kriselt es, die Werkstoffsparten stehen unter Druck - wieder einmal. Die deutsche Rohstahlproduktion werde im kommenden Jahr wohl um drei Prozent auf 41,5 Millionen Tonnen sinken, warnte unlängst der Branchenverband, die Wirtschaftsvereinigung Stahl. "Die Branche befindet sich weltweit in der Krise, der sich auch die Stahlindustrie in Deutschland nicht entziehen kann", sagte deren Präsident, Hans Jürgen Kerkhoff. Das Übel liegt in Fernost: Die Hütten in China, dem größten Stahlproduzenten weltweit, werden wegen des Wirtschaftsabschwungs ihre Produkte auf dem Heimatmarkt nicht mehr los. Viele Hersteller produzieren aber trotz Verlusten unvermindert weiter und überschwemmen den Weltmarkt mit Material zu Dumpingpreisen. Beliebtes Exportziel: die Europäische Union, einer der wenigen Märkte weltweit, der noch nicht durch Importzölle oder Mengenbegrenzungen geschützt ist.
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Zittern vor den Quartalszahlen
Auf dem Treffen dürften Aktionäre deshalb drängende Fragen stellen: Wann ebbt die Importschwemme ab? Und wie stark belastet der Preisdruck die Konzernfinanzen? Denn die Bilanz der Essener ist alles andere als stahlhart: Die Eigenkapitalquote lag zuletzt noch unter zehn Prozent. Mit einigem Unbehagen blicken Anleger Richtung Quartalsbericht am 12. Februar. Von einem Rückgang des operativen Gewinns im Quartal um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr geht etwa die DZ-Bank aus. Demnach hätten die Werkstoffsparten von Oktober bis Dezember sogar einen Verlust verbucht. Die Industriegüterbereiche, also Anlagenbau, Komponenten etwa für die Automobilindustrie sowie die Fahrstuhlsparte, brächten Thyssenkrupp mit einer leichten Steigerung letztlich mit knapp 40 Millionen Euro operativ ins Plus.
Noch gibt es vom Unternehmen keine Details zum Quartalsverlauf. Die Jahresprognose aber lässt erkennen, dass das Geschäftsjahr nicht leicht wird. Zwischen 1,6 und 1,9 Milliarden Euro operativer Gewinn sind angepeilt. Die Spanne ist breit, weil die Unsicherheiten groß sind. "Die Prognose steht. Sie beruht aber auf der Annahme, dass sich die Werkstoffmärkte im zweiten Halbjahr stabilisieren. Wir halten diesen vorsichtigen Blick für angemessen, weil das Umfeld unsicherer wird", sagt Hiesinger.
Der Stahlbereich ist nicht die einzige Problemzone des Konglomerates. Im abgelaufenen Geschäftsjahr blieb der Auftragseingang im Anlagenbau um eine Milliarde Euro hinter der Planung zurück. Das Geschäft verlor überdies rund 600 Millionen Euro Cash. Viele Kunden kommen aus rohstoffnahen Branchen wie der Chemie, der Düngemittelindustrie oder dem Minengeschäft - und sie bestellten wegen hohen Preisdrucks und starker Marktschwankungen zögerlich.
Auf den Aufzugbereich, der im abgelaufenen Geschäftsjahr gut die Hälfte des operativen Ergebnisses brachte, kann sich der Chef hingegen verlassen. Zurzeit fahren die Fahrstühle und Rolltreppen elf Prozent operative Rendite ein. Hiesinger will mehr, 15 Prozent sind das Ziel. Das könnte klappen, zumal das Geschäft wegen des hohen Serviceanteils stabil und zuverlässig läuft.
Auf Seite 3: Autobranche wird zum Motor
Autobranche wird zum Motor
Zum Motor des Traditionskonzerns wird mehr und mehr die Automobilindustrie. Schon jetzt macht Thyssenkrupp rund ein Viertel des Umsatzes mit Kunden aus der Branche. In Mexiko haben die Essener vor knapp einem Jahr ein Werk für Lenkungskomponenten eröffnet, das den US-Markt beliefert. Auf das US-Geschäft setzt der Chef große Stücke. "Das läuft sehr robust", freut sich der Manager, der namhafte Großkunden wie Daimler mit Komponenten beliefert. Auch in China rollte der Autoabsatz trotz Konjunkturabkühlung zuletzt mit zweistelligen Zuwachsraten.
Aktionäre, die derzeit angesichts schlechter Konjunkturdaten nervös nach China blicken, beruhigt Hiesinger. "In China sehen wir zurzeit keine generelle Krise, sondern eine Abschwächung des Wachstums", sagt der Konzernchef. Eine Beruhigungspille ist auch die Dividendenerhöhung um ein gutes Drittel - wobei sich der Chef auf Forderungen nach mehr gefasst machen muss.