Mitten in San Francisco, ganz nah am Technologie-Mekka Silicon Valley, hat die de­mokratische US-Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren vor einigen Wochen ein Plakat aufhängen lassen: "Break up Big Tech" ("Zerschlagt Big Tech") steht unter anderem in großen Lettern darauf. Big Tech, das sind die vier Technologieriesen Amazon, Apple, Alphabet und Facebook. Die Senatorin aus Massachusetts ist eine der schärfsten und prominentesten Kritikerinnen der großen Vier, seit Monaten macht sie Stimmung gegen die Konzerne - in den USA ist allerdings auch schon wieder Wahlkampf. Aber sie ist damit nicht allein. Die Größe und die Marktmacht, die die Konzerne mittlerweile erreicht haben, gefallen vielen nicht. Auch aus der Politik kommen nun Forderungen. Sie reichen von strengeren Gesetzen bis zur Zerschlagung der Konzerne.

Anlegern dagegen gefallen die Konzerne als Ganzes sehr gut. Zum 24. Mal hat €uro eine Liste der 500 wertvollsten Unternehmen der Welt nach Börsenwert erstellt. Die Big Techs belegen die Plätze zwei bis fünf. Getoppt wurden sie nur von Microsoft und damit einem weiteren Techunternehmen. Microsoft und Amazon an der Spitze haben im Vergleich zur Auswertung des Vorjahres noch einmal deutlich an Wert gewonnen. Am anderen Ende der Top-500-Liste ist die Einstiegshürde für Unternehmen höher geworden. 2018 war ein Börsenwert von knapp 24 Milliarden Euro nötig, um in die Liste aufgenommen zu werden. Dieses Jahr ging Platz 500 an das US-Pharmaunternehmen Alexion Pharmaceuticals mit einer Bewertung von rund 25,9 Milliarden Euro. Sehen Sie hier, welche Unternehmen in der Rangliste aufgeführt sind.

Statt 21 deutscher Konzerne finden sich dieses Jahr nur noch 17 in der Liste (siehe Tabelle auf Seite 47). Das wertvollste deutsche Unternehmen an der Börse ist wieder der Softwarekonzern SAP. Mit einem Börsenwert von rund 148 Milliarden Euro und Platz 51 ist er allerdings weit von der Spitze entfernt. Auch dieses Jahr sind zahlreiche Neueinsteiger in die Riege der Top 500 zu verzeichnen. Wertvollster Neuling ist Fahrdienstleister Uber, der nach seinem Börsengang im Mai auf Platz 130 eingestiegen ist. Andere prominente Namen aus dem Technologiebereich wie Twitter oder Spotify haben es dagegen nicht mehr geschafft. Gewinner dieses Jahres waren unter anderem Markenartikler wie ­Nestlé oder Procter & Gamble. Für sie ging es einige Plätze nach oben, ihr Börsenwert legte deutlich zu. Sie profitieren unter anderem von den niedrigen Zinsen.

In der kompletten Rangliste (ab Seite 52) hat €uro zudem neben dem Börsenwert die Kursentwicklung über ein Jahr sowie wichtige Kennzahlen aufgelistet: Umsatz, Gewinn, Dividendenrendite und das geschätzte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für 2019. Zudem gibt es Einschätzungen, ob eine Aktie auf Basis dieser Zahlen eher günstig, teuer oder fair bewertet erscheint. Zehn Aktien aus der Rangliste wurden wie immer für das Top-Ten-Depot (ab Seite 48) ausgewählt. Mit Facebook ist auch ein Big-Tech-Konzern mit von der Partie, doch haben die drei anderen Big-Tech-Konzerne aus Sicht der Redaktion ebenfalls Potenzial.

Der Druck nimmt zu. Der Widerstand gegen die großen Vier von der US-Westküste erhöht sich allerdings. Missbrauchen sie ihre Marktmacht, behindern sie Wettbewerb, müssen die Verbraucher besser geschützt werden? In den vergangenen Jahren haben die EU-Wettbewerbshüter etwa bereits Strafen von insgesamt über acht Milliarden Euro gegen die Alphabet-Tochter Google verhängt. Mehr als die Hälfte davon aufgrund eines Gerichtsurteils, das das Betriebssystem Android betraf. ­Google habe seine Marktmacht missbraucht - nie hat die EU-Kommission eine höhere Wettbewerbsstrafe verhängt. Zusätzlich musste Alphabet Teile des Geschäftsmodells modifizieren.

Auch im Heimatland der Big Techs könnte es nun knifflig werden. Das US-Repräsentantenhaus hat im Juni eine Untersuchung eingeleitet, um sich ein Bild vom Wettbewerb im Techsektor zu machen und zu prüfen, ob gegen das Kartellrecht verstoßen wird. Es geht dabei vor allem um Alphabet, Amazon und Facebook. Auch die Federal Trade Commission und das US-Justizministerium wollen wohl ­Ermittlungen durchführen, wenngleich diese noch nicht offiziell bekannt gegeben wurden. Frédéric Fayolle, Fondsmanager des Technology Typ O Fonds bei der DWS, hält dies in den kommenden Monaten für wahrscheinlich. Dann werde man auch wissen, was den Konzernen konkret vorgeworfen werden könnte. Denn das ist bisher eher schwammig. "Das ist der spannende Punkt: Man kann es nicht genau definieren", sagt Andreas Wagenhäuser, Manager des Fonds Deka-­Digitale Kommunikation. "Die Big-Tech-­Konzerne sind in kurzer Zeit sehr stark geworden und beherrschen die Domänen, die sie selbst geschaffen haben."

Die Konzerne sind in vielen Bereichen stark. So könnte es bei Google zum Beispiel um die Suchmaschine gehen, aber auch um den App Store, das Betriebs­system Android oder Werbung. Und Amazon hat laut Zahlen von eMarketer am US-Onlinehandel einen Marktanteil von rund 38 Prozent - doch es gibt noch viele andere Spieler. Legt man zudem als relevanten Markt den gesamten Einzelhandel, nicht nur das Internet­geschäft zugrunde, sieht es noch einmal anders aus. Und mit der Cloud-­Sparte AWS verdient Amazon zwar das Geld, um andere Geschäfte querzufinanzieren, aber auch in diesem Bereich gibt es große Konkurrenten wie Google oder Microsoft. Einer der Hauptvorwürfe in der ­Öffentlichkeit zielt wohl auf die großen Datenmengen ab, die Konzerne auch nutzen können, um ihre Geschäftsmodelle zu erweitern. So haben die Daten­skandale um Facebook mit seinen etwa 2,4 Milliarden Nutzern nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in die Sicherheit der Nutzerdaten zu stärken. Zudem besitzen die Riesen viel Geld und können mögliche Konkurrenten früh aufkaufen.

Kaum überschaubare Risiken. Was würde geschehen, wenn Gesetze strenger oder die Firmen zerschlagen würden? "Das hängt vom Unternehmen und der Ausgestaltung ab", sagt Wagenhäuser. Aus Sicht der Anleger müsste eine Zerschlagung nicht per se negativ sein. Teile der Konzerne, etwa Waymo, Alphabets Tochter für autonomes Fahren, gehen in der Bewertung des Konglomerats unter, könnten allein aber sehr hoch ­bewertet werden. Auch Amazons AWS könnte allein viel höher bewertet werden als heute. Ein Beispiel: Ebay spaltete vor vier Jahren seinen Bezahldienst Paypal freiwillig ab. Der kann solo mehr Kunden gewinnen. Resultat: Paypal ist heute mit rund 118 Milliarden Euro deutlich mehr wert als Ebay mit 30,3 Milliarden.

Hinzu kommt: "Die Konzerne würden sich vermutlich selbst umstrukturieren, um eine Zerschlagung zu verhindern", sagt Deka-Experte Wagenhäuser. Neu wäre solch ein radikales Vorgehen allerdings nicht: 1911 wurde der damals weltgrößte Erdölkonzern Standard Oil zerschlagen. Die von John D. Rockefeller und einigen Partnern 1870 gegründete Gesellschaft beherrschte den Ölmarkt und war den Regulierern zu mächtig geworden. Teile von ihr existieren heute etwa in Exxon Mobil, BP oder Shell. Ähnlich erging es in den 1980ern dem Telekommunikationskonzern AT & T.

Dass sich die Geschichte bei den Big Techs wiederholt, gilt als eher unwahrscheinlich. Zudem würde sich das Verfahren über Jahre hinziehen. Auch Microsoft drohte vor 20 Jahren ein ähnliches Schicksal. Der Prozess, der über Jahre dauerte, endete aber mit einem Vergleich. Teile des Geschäfts wurden modifiziert, doch das hinderte den Softwarekonzern nicht am steten Wachstum bis hin zur wertvollsten Firma der Welt.

Fayolle sieht zwar in einer Veränderung der Geschäftspraxis von Big Tech, hervorgerufen durch strengere ­Gesetze, vom heutigen Standpunkt aus ein begrenztes Risiko, schätzt mögliche Effekte für die Unternehmen aber als mäßig ein. Zudem griffen einige der Konzerne bereits vor und würden Einzelheiten ändern. Anders sähe es aus, wenn Übernahmen erschwert würden. "Das könnte für das langfristige Wachstum einiger Unternehmen durchaus problematisch sein", sagt Fayolle. Letztlich heißt es aber abwarten, welche Geschäftsfelder der vier großen Technologiekonzerne konkret ins Visier der US-Kartellwächter geraten.

Megakonzerne: Die besten bei Umsatz und Gewinn


Die Ölmultis kommen bei den Gewinnen trotz höherer Umsätze nicht unter die Top Ten. Dort ist Apple unerreicht. Hier darf man gespannt sein, ob der Konzern dieses Level beibehalten kann. Nachdem Microsoft Apple beim Börsenwert überholt hat, holt der Softwareriese nun auch bei den Gewinnen auf. Das Geschäftsmodell skaliert. Sollte Microsoft dank seiner Cloud-Produkte ­weiter wachsen, wird Apple wohl bald auch beim Gewinn nur noch Zweiter sein . Dass bei Chinas Großbanken trotz Konjunkturschwäche und Immobilienproblemen die Gewinne steigen, verstehen wahrscheinlich nur Experten kreativer Bilanzkosmetik.



Börsengewinner: Microsoft ist der große Gewinner


Lediglich der Schweizer Nahrungsmittelhersteller Nestlé kann sich in die Phalanx der zehn absolut höchsten Vermögenszuwächse einordnen. Ansonsten wird das Bild von US-Firmen beherrscht. Dabei dominiert Microsoft. Innerhalb von zwei Jahren schaffte der Konzern einen Vermögenszuwachs von mehr als 430 Milliarden Euro, 415 waren es im Übrigen bei Amazon. Stärkster Neuaufsteiger ist der Fahrdienstvermittler Uber Techno­logies. Hier darf man gespannt sein, ob die ­Firma die Vorschusslorbeeren verdient. Bei den Kursgewinnern ist das Bild durchwachsen. Es zeigt das Comeback von Brasilien mit zwei Banken unter den Top Ten, aber vor allem kleinere Tech-Herausforderer aus Australien, ­Argentinien und Kanada.



Börsenverlierer: Wer andere kauft, verliert


Die Fusion von DuPont und Dow Chemical mit späterer Aufspaltung war bisher kein Erfolg. Selbst wenn der Wert der Abspaltung Dow (Rang 383) berücksichtigt wird, wäre DuPont weit oben in der Verliererliste. Hier stechen zudem noch drei Werte ins Auge: Bayer, Kraft Foods und Baidu. Bayer verlor nach der Übernahme des Konkurrenten Monsanto 30 Milliarden Euro an Wert. Gleiches gilt für die Fusion von Heinz und Kraft, in die auch Warren Buffett involviert ist. Während er seine Schäfchen hier schon im Trockenen hat, verlieren die Anleger nun im zweiten Jahr in Folge Milliarden. Bei der chinesischen Internetsuchmaschine Baidu haben sich die Wachstumsraten deutlich verlangsamt. Der Absturz der Aktie könnte aber übertrieben sein.



Deutsche Werte: Drei Absteiger und ein Emigrant


Die Deutschen schnitten 2019 schwach ab. Continental, Fresenius Medical Care und Infineon waren zu klein für die Top 500. Linde hat nach dem Zusammenschluss mit Praxair nun einen irischen Sitz. Auch wenn die Aktie im DAX gelistet ist, muss sie umgruppiert werden. SAP als größter Wert konnte den Vorsprung sogar ausbauen. Der Walldorfer Softwarekonzern ist im Moment der ­einzige deutsche Wert, der international an die ganz Großen heranreichen kann. Erfreulich ist die Entwicklung von Allianz. Der Versicherungsriese ist nun unter den Top 100. Eine starke Entwicklung zeigt auch die Aktie von Adidas. Der Sportartikelhersteller fordert dabei zunehmend den großen Wettbewerber ­Nike heraus. Das Potenzial: Beide Werte trennen in der Rangliste noch 126 Plätze. Während BASF vor allem unter der Konjunktur ­leidet, ist der Absturz von Bayer ­haus­gemacht. Die Übernahme von ­Monsanto entwickelt sich wegen ­möglicher Schadenersatzzahlungen zum ­Desaster.