Für die Aktienmärkte war es wie ein Naturgesetz: Auf die Dividende von Royal Dutch Shell ist Verlass. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der Ölriese zuverlässig Geld ausgeschüttet. Allein im Jahr 2019 über 15 Milliarden Dollar - und damit mehr als jedes andere Unternehmen auf der Welt. Dann kam die Pandemie und das eigentlich Unvorstellbare: Nach einem Dreivierteljahrhundert hat Shell die Dividende erstmals gekürzt, und zwar drastisch um fast zwei Drittel. Von einer "monumentalen" Entscheidung sprach Konzernchef Ben van Beurden.

Für Dividendensammler ist das nicht der einzige Schock des Corona-Jahres 2020. Rund um den Globus haben Unternehmen ihre Zahlungen zusammengestrichen. Allein im DAX hat jedes dritte Unternehmen den Rotstift angesetzt. Die Investmentgesellschaft Janus Henderson kalkuliert, dass die Ausschüttungen weltweit im vergangenen Jahr um bis zu 20 Prozent gesunken sind. Das optimistische Szenario sieht einen Rückgang von 17,5 Prozent auf 1,20 Billionen Dollar. Damit würden die Steigerungen von drei kompletten Jahren ausradiert. Einen so extremen Absturz gab es zuletzt vor etwas mehr als zehn Jahren im Schatten der großen Finanzkrise.

Auch in Europa sieht es trist aus: Dort brachen die Dividenden nach Berechnung der Vermögensverwaltung Allianz Global Investors im vergangenen Jahr um fast 20 Prozent auf 290 Milliarden Euro ein. Der Anteil der zahlenden Unternehmen ging von mehr als 90 Prozent auf knapp drei Viertel zurück.

Aktionäre haben sogar doppelt gelitten, weil auch die Kurse unter Druck geraten sind. Nach Berechnung des Finanzdiensts Bloomberg waren Dividendenstrategien im vergangenen Jahr die schlechtesten Performer am Aktienmarkt. Für Anleger bedeutete das Stress und viel Arbeit. "Wir hatten selten ein so aktives Jahr wie 2020. Es gab ungewöhnlich viele Unternehmen, bei denen wir die Dividende infrage stellen mussten", blickt Jörg de Vries-Hippen, CIO Equity Europe bei Allianz Global Investors, zurück.

Die gute Nachricht: Auch für Dividendenjäger ist die schlimmste Phase der Corona-Krise wohl überstanden. Volkswirte gehen davon aus, dass sich die Weltwirtschaft in diesem Jahr deutlich erholt. Das wäre die Basis für steigende Unternehmensgewinne und damit auch steigende Ausschüttungen. Bloomberg Intelligence kalkuliert, dass in Europa bis auf den Energiesektor alle Branchen ihre Zahlungen erhöhen könnten.

Der Heilungsprozess wird sich dennoch wohl etwas länger hinziehen: "Die Mutationen des Virus zeigen, dass die Pandemie noch nicht besiegt ist. Wenn wir erst im April oder Mai zur Normalität übergehen können, wird die Wirtschaft entsprechend gebremst. Ich gehe darum nicht davon aus, dass wir schon in diesem Jahr das Dividendenniveau von 2019 erreichen. Da werden wir mindestens bis 2022 warten müssen", kalkuliert Fondsmanager de Vries-Hippen, der unter anderem den Allianz European Equity Dividend betreut.

Tektonische Verschiebung

Die Corona-Krise hat die Statik des Dividenden-Universums verändert. Einige Branchen haben auch jetzt wieder ihre Widerstandskraft demonstriert, anderen sind dagegen nachhaltig erschüttert worden. "Es gab Unternehmen, die keine Dividende gezahlt haben, weil sie es nicht konnten. Es gab aber auch Unternehmen, die aus Vorsicht nicht zahlen wollten oder nicht zahlen durften, weil Aufsichtsbehörden es verboten haben", bilanziert Fondsmanager Jonathan Crown, der mit dem Threadneedle Global Equity Income weltweit in Dividendentitel investiert.

Vor allem die Ölkonzerne, lange ein Eckpfeiler in vielen Depots, haben es schwer: Die Rohstoffpreise sind im historischen Vergleich weiterhin niedrig, die Konkurrenz durch erneuerbare Energien wird immer stärker. Der britische Ölkonzern BP ist dem Beispiel von Shell gefolgt und hat seine Dividende halbiert. Das schont die Bilanz und gibt dem Vorstand mehr Möglichkeiten, in saubere Geschäfte zu investieren.

Hartnäckig auf Kurs bleibt dagegen der US-Riese ExxonMobil, der auch im vergangenen Jahr wieder 15 Milliarden Dollar verteilte und damit einer der größten Dividendenzahler der Welt bleibt. Das Problem: Exxon lebt über seine Verhältnisse. Laut Bloomberg-Datenbank haben die Texaner zuletzt 2018 operativ genug Geld erwirtschaftet, um Investitionen und Dividende aus eigener Kraft zu finanzieren. Ohne ein deutliches Comeback des Ölpreises ist das nicht durchzuhalten.

Der Druck der Regulierer

Turbulent geht es auch im Finanzsektor zu, der traditionell eine der wichtigsten Bargeldquellen für Aktionäre ist. Die Regulierungsbehörden haben der Branche in der Pandemie strenge Auflagen zur Dividende und zu Aktienrückkäufen gemacht. Das soll sicherstellen, dass die Finanzwelt genug Reserven hat, um mögliche Kreditausfällen verkraften zu können. Inzwischen wurden diese Auflagen gelockert. Der US-Finanzriese JP Morgan, mit mehr als elf Milliarden Dollar im vergangenen Jahr sogar einer der größten Dividendenzahler der Welt, hat bereits neue Aktienrückkäufe angekündigt.

Gut gehalten haben sich Versicherungskonzerne. Auch dort gab es Druck durch die Regulierer, die den Unternehmen aber Schlupflöcher ließen. Nach Berechnung der Investmentbank Morgan Stanley wurden im europäischen Versicherungssektor 82 Prozent der für das Jahr 2019 angekündigten Dividenden auch wirklich ausgeschüttet. Standhaft waren die beiden deutschen Branchenriesen: Allianz und Munich Re haben wie geplant gezahlt. Als Zugeständnis an die Aufsichtsbehörden wurden lediglich die Aktienrückkäufe gestoppt. Eine Normalisierung von Dividenden und Aktienrückkäufen wird auch im Finanzsektor in der zweiten Jahreshälfte erwartet. Die Prozentzahlen sollten dann insbesondere bei den Banken anspringen.

Während alte Dividendenriesen unter Druck stehen, stürmen die Technologiekonzerne weiter nach vorn. Der größte Dividendenzahler der Welt ist erstmals Microsoft. Der Softwarekonzern, eines der Urgesteine der Techindustrie, zahlte erstmals 2003. Seitdem wird regelmäßig aufgestockt. 2019 bereits die Nummer 4 in der Weltrangliste, hat Microsoft seine Dividende zuletzt um knapp zehn Prozent angehoben und schüttete 15,8 Milliarden Dollar aus. Auch andere Techies entdecken die Dividende: Apple ist mit 13,9 Milliarden Dollar nach Berechnung von Janus Henderson vom fünften auf den vierten Platz vorgerückt. Die Beträge sind umso bemerkenswerter, da Big Tech nebenbei enorme Summen für den Rückkauf eigener Aktien ausgibt. Allein bei Microsoft waren es im vergangenen Jahr fast 20 Milliarden Dollar.

Für Anleger, die über Bargeldausschüttungen ihren Lebensunterhalt finanzieren, taugen die Techfirmen als Investment trotzdem nur begrenzt, weil die Bargeldausschüttungen gemessen am Börsenwert niedrig sind. Bei Microsoft und Apple liegt die Dividendenrendite bei knapp einem Prozent. Etwas üppiger ist die Relation beim Chiphersteller Taiwan Semiconductor, der auf knapp zwei Prozent Dividendenrendite kommt. Auch dort steht für Anleger aber die Aussicht auf Kurssteigerungen im Vordergrund.

Renditenotstand

Zuverlässige und ansprechend hohe Dividenden werden immer wichtiger, aber auch schwieriger aufzuspüren. Weil die Zinsen am Kapitalmarkt historisch niedrig sind und Anleihen solider Emittenten kaum noch oder keine Rendite abwerfen, werden immer größere Beträge in den Aktienmarkt umgeschichtet. Steigen die Kurse schneller als die Dividenden, schrumpfen die Dividendenrenditen. Die Prozentzahl des DAX beispielsweise liegt aktuell bei 2,6 Prozent und damit knapp einen halben Prozentpunkt unter dem Schnitt der vergangenen zehn Jahre.

Mit Einzelaktien ist, zumindest auf dem Papier, deutlich mehr drin: 25 Unternehmen aus dem europäischen Aktienindex Stoxx 600 kommen in den Schätzungen der Analysten derzeit sogar auf Dividendenrenditen von mehr als sieben Prozent, darunter die deutsche Telekomfirma Freenet. In den USA bringt es der Telekomriese AT & T auf mehr als sieben Prozent.

Solch hohe Prozentzahlen sind verlockend, oft aber ein Alarmsignal. Shell kam kurz vor der Dividendenkürzung rechnerisch auf eine Dividendenrendite von mehr als zehn Prozent. Nach der Kürzung waren es dann plötzlich weniger als vier Prozent. Zusätzlich stürzte nochmals der Aktienkurs ab. "Außergewöhnlich hohe Dividendenrenditen gibt es verbreitet in Branchen, die strukturelle Probleme haben. Wir hingegen finden Aktien mit Dividendenrenditen von aktuell rund drei bis fünf Prozent in vielen Sektoren, die es schaffen, ihre Free-Cashflows nachhaltig zu steigern", erklärt Threadneedle-Fondsmanager Crown einen wichtigen Eckpfeiler seiner Strategie.

€uro am Sonntag hat einen Blick in die Depots der erfolgreichsten europäischen und globalen Dividendenfonds geworfen. Prominent vertreten ist erwartungsgemäß der Pharma- und der Konsumgütersektor. Beide Bereiche sind weitgehend unabhängig vom Zustand der Weltwirtschaft. Der Getränkekonzern Coca-Cola, die Nahrungsmittelhersteller Unilever und Nestlé werfen Dividendenrenditen von rund drei Prozent ab. Außerdem dürften sie ihre Ausschüttungen in den kommenden Jahren kontinuierlich steigern. Das entspricht dem klassischen Beuteschema von Dividendenjägern.

Ähnlich ist das Profil der Pharmakonzerne Roche, Sanofi und Pfizer. Mehr Prozente, aber wohl auch weniger Wachstumspotenzial gibt es bei der amerikanischen Biotechfirma Abbvie (siehe Investor-Info).

In Europa stehen Versorger aus Südeuropa bei den Fondsmanagern auffallend hoch im Kurs: Enel aus Italien und die spanische Iberdrola. Beide investieren in erneuerbare Energien. Das bringt neben der Dividendenrendite von rund vier Prozent Kursfantasie.

Ein besonderes Problem

Deutsche Unternehmen spielen in Dividendenportfolios nur Nebenrollen. Das erklärt sich dadurch, dass viele der börsennotierten Unternehmen aus der Bundesrepublik aus zyklischen Branchen stammen. Die Corona-Krise hat zudem tiefe Spuren hinterlassen. Die Autokonzerne, die bis dahin hohe Summen auszahlten, haben kräftig gekürzt. Selbst Siemens hat erstmals in diesem Jahrhundert den Rotstift angesetzt. So ist nur ein DAX-Wert in den Depots der besten Dividenden-Fondsmanager vorn dabei - die Allianz. Der Versicherungsriese ist mit rund vier Milliarden Euro der mit Abstand größte Dividendenzahler im Index.

Die Redaktion hat sechs Aktien mit einer attraktiven Dividendenrendite aus verschiedenen Branchen ausgewählt. Diese Titel werden in den Investor-Boxen näher vorstellt. Die Dividendenrenditen liegen dabei aktuell in etwa zwischen 3,5 und fünf Prozent, der Durchschnitt knapp über vier Prozent.
 


INVESTOR-INFO

Abbvie

Lukrativer Lückenfüller

Die Biotechfirma aus Chicago erzielt zuletzt rund 40 Prozent ihres Umsatzes mit dem Rheumamittel Humira. Weil der Patenschutz des Blockbusters ausläuft, werden die Humira-Umsätze ab 2023 deutlich sinken. Andere Medikamente wie das Krebspräparat Imbruvica und Zukäufe sollen die Lücke auffüllen. Die Aktie von Abbvie ist mit einem einstelligen Kurs-Gewinn-Verhältnis niedrig bewertet. Analysten sehen Potenzial für moderate Dividendensteigerungen.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 100,00 Euro
Stoppkurs: 70,00 Euro

Allianz

Lieferheld im DAX

Katastrophen gehören für Versicherer zum Geschäft. Trotzdem ist Covid auch für die Allianz eine große Herausforderung: Der Konzerngewinn lag nach neun Monaten 15 Prozent unter Vorjahresniveau. Die Dividende sollte trotzdem auf dem Vorjahresniveau von 9,60 Euro je Aktie bleiben. Damit würde die Ausschüttung über die angestrebte Quote von 50 Prozent hinausgehen, wäre aber seriös zu finanzieren. Die Dividendenrendite ist etwas höher als bei Munich Re.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 220,00 Euro
Stoppkurs: 130,00 Euro

BHP Group

Dividende ausbuddeln

Der britisch-australische Bergbaukonzern verdient sein Geld vor allem mit Eisenerz und Kupfer. Da Rohstoffpreise stark schwanken, ist auch die Dividende bei BHP beweglich. Analysten rechnen laut Konsensschätzungen ab 2023 mit einer sinkenden Ausschüttung. Selbst dann aber würde das BHP-Papier ausgehend vom aktuellen Kursniveau eine überdurchschnittliche Dividendenrendite abwerfen. Langfristig sollte vor allem das Wachstum der Schwellenländer die Nachfrage nach Rohstoffen antreiben.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 27,00 Euro
Stoppkurs: 18,00 Euro

Deutsche Telekom

Versteckte Werte

Im Vergleich zu den Konkurrenten aus den USA ist die Dividendensumme der Deutschen Telekom bescheiden: Knapp drei Milliarden schütteten die Rheinländer zuletzt an ihre Aktionäre aus. Analysten erwarten im neuen Jahr eine Zahlung von 60 Cent pro Papier. Das würde einer Dividendenrendite von rund vier Prozent entsprechen. Kurspotenzial bieten daneben die schnell wachsende Mobilfunktochter T-Mobile US und mögliche Beteiligungsverkäufe im Konglomerat.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 18,00 Euro
Stoppkurs: 12,50 Euro

Unilever

Starkes Portfolio

Zwölf Marken aus dem Portfolio des Konsumgüterkonzerns erzielen mehr als eine Milliarde Euro Umsatz, darunter Knorr, Dove und Lipton. In der Pandemie haben sich vor allem Hygieneprodukte von Unilever gut verkauft. Nach der Verschlankung der Konzernstruktur dürfte der Vorstand bald das Portfolio anpassen, um sich stärker auf margenstarke Produkte zu konzentrieren. Analysten gehen davon aus, dass die Dividende bei Unilever um jährlich rund fünf Prozent wächst.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 60,00 Euro
Stoppkurs: 43,00 Euro

Novartis

Eindrucksvolle Serie

Seit 1996 hat der Schweizer Pharmakonzern seine Dividende durchgehend angehoben. Für das vergangene Jahr soll die Ausschüttung leicht um 0,05 auf glatt drei Franken steigen. Für das operative Geschäft ist Novartis zunächst vorsichtig: Wegen der Pandemie gehen derzeit weniger Menschen zum Arzt. Die Nachfrage nach Medikamenten werde sich erst in der zweite Jahreshälfte normalisieren. Bis 2025 will Novartis jedes Jahr Umsatz und Gewinn steigern. Das spricht für eine Fortsetzung der Dividendenserie.



Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 95,00 Euro
Stoppkurs: 69,00 Euro

Dividendenfonds

Ertragsbringer im Verbund

Mit Fonds kann man breit gestreut in Dividendenwerte anlegen. Das Portfolio der Allianz ist eines der größten für europäische Titel, schwächelte in den vergangenen zwei Jahren aber etwas. Besser lief’s für den Dividenden- ETF von iShares und den Threadneedle Pan European Equity Dividend. In der Kategorie weltweit überzeugen der Fidelity Global Dividend und der ETF von WisdomTree (WT).

Name ISIN Kursentw. 3 J. in %
Allianz Eur. Eq. D. LU0414045822 -12,5
Fidelity Glob. Div. LU0772969993 27,7
iSh. Eur. Sel. Div. 1) DE0002635299 7,2
Threadn. Pan Eur. LU1829334819 11,4
WT Gl. Qual. Div. 1 IE00BZ56SW52 40,2

1) ETF; Kursentwicklung: Ausschüttungen sind jeweils mit eingerechnet; Quelle: fondsweb