"Politische Börsen haben kurze Beine." So lautet eine bekannte Börsianer-Weisheit, die sich schon oft bewahrheitet hat. Trotzdem fragen sich derzeit viele Anleger, ob der Spruch auch für die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl gilt. Denn zum einen befinden wir uns volkswirtschaftlich in komplizierten Zeiten, und obwohl die Arbeitslosenquote in den USA offiziell niedrig ist, scheint die Gesellschaft gespaltener zu sein als in den vergangenen Jahrzehnten. Zum anderen ist keiner der beiden Kandidaten sonderlich beliebt bei den Wählern.
Laut einer Umfrage des Pew Research Center trauen nur 31 Prozent der Demokraten Hillary Clinton zu, eine großartige oder gute Präsidentin zu sein. 45 Prozent befürchten, sie könnte eine schwache oder sogar schreckliche Figur abgeben. Beim Republikaner Donald Trump ist die Erwartungshaltung mit 27 respektive 55 Prozent sogar noch negativer.
Wie wichtig das Wahlthema für viele Marktteilnehmer ist, zeigt eine Aussage von Heidi Richardson, Anlagestrategie-Chefin beim ETF-Anbieter iShares: "Gemessen an der Häufigkeit, mit der uns Kunden nach den Folgen der Wahlen fragen, hat dieser Einflussfaktor für viele, wenn nicht sogar für die meisten Anleger oberste Priorität."
Was die Investoren umtreibt, ist nicht nur das Persönlichkeitsprofil der beiden Amtsanwärter, sondern auch deren Wahlprogramm. Johnny Bo Jakobsen, US-Chefanalyst der skandinavischen Finanzgruppe Nordea, spricht mit Blick auf den "gefährlichen Donald" und die "verschlagene Hillary" von einem Zweikampf zwischen den beiden wohl unpopulärsten und am stärksten polarisierenden Kandidaten in der Geschichte der USA.
Aber wer von den beiden wäre besser für den Aktienmarkt? In der Vergangenheit entwickelte sich der marktbreite S&P500-Index unter demokratischen Präsidenten deutlich besser als unter der Führung eines Republikaners. Die Deutsche Bank hat zudem festgestellt: Gilt der Wahlausgang als unsicher, tendiert der Markt im Vorfeld typischerweise eher seitwärts. Nach der Entscheidung und befreit von der Unsicherheit startet er dann richtig durch.
Börsianer mögen Kontinuität
Viele Marktbeobachter gehen davon aus, dass ein Wahlsieg Clintons mit geringeren Kursschwankungen einhergehen würde als ein Triumph Trumps. Denn die Börse bevorzugt Kontinuität. Clinton dürfte die Politik von Barack Obama in vielerlei Hinsicht fortführen. Trump dagegen wird wohl neue Weichenstellungen anstreben.
Dazu passt das Kursverhalten nach Wahlen seit 1952. Siegte die Partei, die bisher den Präsidenten stellte, legte der Dow Jones in den folgenden zwölf Monaten um durchschnittlich neun Prozent zu. Bei einem Erfolg der Opposition ergab sich ein Minus von im Schnitt 1,6 Prozent. LBBW-Analyst Jan Hofmeister schlussfolgert daraus: "Neue Besen gefallen den Anlegern eher nicht, zumindest dann nicht, wenn mit dem Wechsel der Präsidentschaft auch ein Parteienwechsel verbunden ist. Da in solchen Fällen Gesetze häufig geändert oder gegebenenfalls sogar ganz kassiert werden, entsteht Unsicherheit, was den Anlegern oft nicht schmeckt."
Allerdings gibt es auch gute Gründe, den historischen Börsenergebnissen rund um die US-Wahlen keine allzu große Bedeutung beizumessen. HSH-Nordbank-Chefvolkswirt Cyrus de la Rubia hält die bessere historische Kursbilanz demokratischer Präsidenten für ein wenig nützliches Konzept. Schließlich hängt die Börsenperformance während der Amtszeit eines Präsidenten entscheidend von anderen, externen und wesentlich wichtigeren Einflussfaktoren ab: der Ölkrise etwa, der Internetblase, den Anschlägen vom 11. September oder der Finanzkrise.
Und noch etwas ist zu bedenken: Das Amt des US-Präsidenten mag bedeutend sein, doch seine Befugnisse sind begrenzt. Das gilt insbesondere dann, wenn die Machtverhältnisse im Weißen Haus und im Kongress zwischen Demokraten und Republikanern aufgeteilt sind. Wie schwer es ist, unter diesen Umständen die eigenen Vorstellungen umzusetzen, hat Barack Obama erfahren. Sollte es auch dieses Mal wieder eine Pattsituation geben, bleibt abzuwarten, wie viel Handlungsspielraum damit wirklich einhergeht. Zumal finanzielle Engpässe die Gestaltungsmöglichkeiten verringern: Die USA operieren schon lange an der Schuldenobergrenze. Weitere Anhebungen sind zwar möglich, aber kaum ohne politisches Tauziehen.
Anleger sollten sich vom Medienrummel um das Duell Clinton gegen Trump also nicht zu sehr ablenken zu lassen. Langfristig geben ganz andere Dinge als die Person des Präsidenten den Takt für den Kurs vor. Der Konjunkturverlauf und die Entwicklung der Unternehmensergebnisse sind für die Börse von weitaus größerer Bedeutung. Anleger sollten sich daher zuerst die Frage nach der wirtschaftlichen Entwicklung stellen. Die vergangenen drei US-Rezessionen gingen schließlich mit herben Kursverlusten nicht nur an der Wall Street einher, sondern auch an den Börsen in Europa und den Schwellenländern.
Was Anlegern Mut macht
Als hilfreich für die Beurteilung der volkswirtschaftlichen Lage hat sich der ISM-Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe erwiesen. Fiel dessen Wert unter die Marke von 45 Punkten, zog dies seit 1945 in elf von 13 Fällen eine Rezession nach sich. Die Gewinne der US-Unternehmen sanken dann laut Bank of America Merrill Lynch um mindestens fünf bis zehn Prozent. Im September ist der Index mit 51,5 Punkten über die Wachstumsschwelle von 50 Zählern gestiegen - ein ermutigendes Zeichen.
Von geldwertem Vorteil für Anleger ist es, die Korrelation zu kennen, die traditionell zwischen staatlicher Regulierung und Aktienkursen besteht. So weist die Hessische Landesbank basierend auf Daten, die bis 1910 zurückreichen, auf negative Kursfolgen bei zunehmender Regulierung hin. Sinkt die Regulierungswut, steigen die Kurse.
Der Regulierungsprozess läuft in starken zyklischen Wellenbewegungen ab. Kleine und mittelgroße US-Unternehmen nennen derzeit Überreglementierung und Steuern als ihre Hauptprobleme. Eine Deregulierungswelle wäre also hilfreich. In dieser Hinsicht ist aber wohl eher etwas von Trump zu erwarten als von Clinton.
Solange von Rezessionsrisiken und Regulierungstrends kein Ungemach droht, ist es sinnvoll, an einer langfristig orientierten Anlagephilosophie festzuhalten. In der Vergangenheit hat es sich bewährt, auf Aktien mit intakten langfristigen Aufwärtstrends zu setzen. Diese Dauerläufer, deren Kurse im Idealfall seit Jahrzehnten steigen, haben bereits eindrucksvoll bewiesen, dass sie unbeeindruckt von Präsidenten und Parteien nach oben marschieren.
BÖRSE ONLINE hat zehn Aktien herausgefiltert, die über verschiedene Präsidentschaftszyklen hinweg demonstriert haben, dass sie Kursgewinne erzielen können und langfristige charttechnische Aufwärtstrends vorweisen.
Der Multitechnologiekonzern 3M zählt dank 25 000 Patenten zu den innovativsten Unternehmen der Welt. Der Vorteil des Geschäftsmodells besteht laut der Ratingagentur Morningstar in einer hohen Profitabilität bei geringer Kapitalintensität. So sei es selbst in Rezessionsphasen gelungen, eine über den Kosten für das eingesetzte Kapital liegende Rendite zu erwirtschaften. Das Dow-Jones-Mitglied zahlt seit 99 Jahren ununterbrochen eine Dividende. In den vergangenen 57 Jahren stieg die Ausschüttung Jahr für Jahr.
UnitedHealth ist ebenfalls im Dow Jones enthalten. Es handelt sich um einen Krankenversicherer und eine Organisation für den Arzneimitteleinkauf. Das sorgt zusammen mit einer breit diversifizierten Kundschaft für große Wettbewerbsvorteile. Analysten trauen dem Konzern in den kommenden fünf Jahren Gewinnzuwächse von rund 15 Prozent je Aktie zu.
Besonders gute Wachstumsaussichten haben auch die Nasdaq-Mitglieder Activision Blizzard und Adobe Systems. Der erstgenannte Hersteller von Computerspielen hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er erfolgreiche Spiele erfinden und vermarkten kann. Analysten gehen im Schnitt für die nächsten fünf Jahre von einem Ergebnisplus je Aktie von 23,4 Prozent aus. Bei Adobe sollen es sogar 30,6 Prozent sein. Der Softwarekonzern hat es geschafft, seine Produkte zum Industriestandard im Kreativbereich zu machen. Die Quartalszahlen fielen zuletzt überzeugend aus. Und die Umstellung auf ein abonnementbasiertes Geschäftsmodell rechnet sich.
Dauerläufer aus dem Nasdaq
Bei den Nasdaq-Mitgliedern Fiserv, O’Reilly Automotive und Ross Stores fallen die erwarteten Wachstumsraten zwar geringer aus, trotzdem bewegen sie sich im zweistelligen Prozentbereich. Zudem sind die Bewertungen angesichts der starken Geschäftsmodelle vertretbar.
An Fiserv, einem Anbieter von Dienstleistungen im Zahlungsverkehr sowie Software für Banken und Einzelhändler, gefallen die für Kunden hohen Umstellungskosten. Außerdem generiert das Unternehmen erfolgreich freien Cashflow. Der Autoteilehändler O’Reilly Automotive hat mit fast 4500 Geschäften in 43 Bundesstaaten gegenüber den Konkurrenten einen Größenvorteil und damit zudem mehr Preismacht beim Einkauf. Der Preis ist auch beim Discounthändler Ross Stores im Kampf um Kunden das ausschlaggebende Argument. Die Markteintrittsbarrieren sind hier zwar relativ gering, aber die Verantwortlichen schafften es bisher, mithilfe eines ausgeklügelten Warenbestandsmanagements, engen Beziehungen zu den Zulieferern und einem effizienten Einkaufsteam, ihren Wettbewerbsvorteil zu verteidigen.
Die übrigen drei Aktien kommen aus dem S&P500-Index. Der Rüstungskonzern General Dynamics hat von 2006 bis 2015 eine Rendite auf das eingesetzte Kapital von durchschnittlich 16 Prozent erwirtschaftet. Laut Morningstar ist das eine reife Leistung, weil von 2008 bis 2015 die US-Rüstungsausgaben um 25 Prozent gesunken sind. Zuletzt ist der Auftragsbestand wieder gestiegen, wobei für das Management aber die Gewinnspannen gegenüber den Umsätzen Vorrang haben.
C.R. Bard, ein Hersteller medizinischer Produkte, verfügt über eine große Angebotsvielfalt. Ein Vorteil dabei ist der hohe Anteil von Erzeugnissen für den einmaligen Gebrauch wie Katheter. Diese machen rund 90 Prozent des Umsatzes aus und sorgen für regelmäßige Ersatzbestellungen. Das Medizintechnikunternehmen Becton, Dickinson & Co. stellt ebenfalls medizinische Einmalartikel her, aber auch Gerätesysteme und Reagenzien. Bei Spritzen und Nadeln sorgt die schiere Größe dafür, dass Konkurrenten mit dem Marktführer beim Preis kaum mithalten können. Sowohl C.R Bard als auch Becton erhöhten in den vergangenen 44 Jahren stets die jährliche Dividendenzahlung.
Wie sich das für echte Dauerläufer gehört, haben alle Titel in diesem Jahr bereits neue Kursrekorde markiert. Das beweist: Von den US-Präsidentschaftswahlen lassen sich Marathonläufer nicht bei ihrer Rekordjagd stören.
Welche Branchen von wem profitieren
Beim Blick auf die Wahlprogramme der beiden Kandidaten drängt sich der Eindruck auf, dass nach dem Urnengang unabhängig vom Ausgang mehr Populismus und mehr Protektionismus ins Weiße Haus einziehen wird. Beide Amtsanwärter befürworten höhere Ausgaben für Infrastrukturprojekte. In anderen Bereichen gibt es sehr deutliche Unterschiede.
In Sachen Umweltschutz beispielsweise nehmen die beiden Wahlkämpfer laut Stratege Hendrik König von der Privatbank Metzler völlig gegensätzliche Positionen ein: "Clinton will die USA in eine Supermacht bei sauberer Energie verwandeln, Trump dagegen legt seinen Fokus auf konventionelle Energiequellen."
Vor diesem Hintergrund verwundern die vielen Gedanken kaum, die sich Anleger über die Auswirkungen des Wahlergebnisses auf einzelne Branchen machen. Julius-Bär-Analyst Christoph Riniker sieht, egal ob nun Clinton oder Trump siegt, Infrastrukturtitel und Werte aus den Branchen Luft- und Raumfahrt als Gewinner. Die vermeintlichen Folgen für die Pharmaindustrie stuft er dagegen als gemischt und abhängig von einzelnen Sektoren ein.
Ein Clinton-Erfolg wäre aus seiner Sicht negativ für die Finanzbranche, während ein Trump-Sieg eher positiv sein dürfte. Beim Thema Immigration dürfte sich dagegen ein Präsident Trump negativ auswirken und eine Präsidentin Clinton positiv.