Um ihr Selbstbestimmungsrecht muss vor allem die US-Notenbank kämpfen. Die konjunkturschädigenden Attacken des amerikanischen Präsidenten zwingen die Fed zu zinspolitischen Abwehrreaktionen. Das bringt ihr im Zweifel den Vorwurf ein, Trumps Erfüllungsgehilfe zu sein. Ungeachtet der Politisierungsverdächtigungen räumt sie jedoch dem Kampf gegen Abschwung und Inflationsschwäche - gemäß ihrem Auftrag - Priorität ein. Zurzeit preist der Finanzmarkt sogar mehr als zwei US-Leitzinssenkungen ein.

Dem Politisierungsdruck kann sich die Fed verweigern…


Die Kritik der US-Regierung an der US-Notenbank reißt nicht ab. US-Handelsminister Wilbur Ross wirft der Fed auch noch vor, für die jüngste US-Dollar-Aufwertung u.a. gegenüber dem chinesischen Renminbi mitverantwortlich zu sein. Mit diesem politischen Druck soll die Fed in den Währungsabwertungskrieg gegen China und Europa eintreten. Festzustellen ist, dass die jüngste Abwertung des chinesischen Renminbi tatsächlich nur der Höhepunkt einer seit Anfang 2018 schleichenden Schwäche gegenüber wichtigen Handelswährungen ist. Und sicher hat der US-Dollar auch wegen der neun US-Notenbankzinserhöhungen gegenüber wichtigen Handelswährungen aufgewertet. Insgesamt gerieten damit US-Exporteure im globalen Preiswettbewerb in die Defensive.

US-Präsident Trump fordert zur US-Konjunkturentlastung "Leitzinssenkungen um mindestens einen Prozentpunkt, begleitet von ein bisschen geldpolitischer Lockerung (QE)". Offensichtlich hält er amerikanische Geldpolitik für ein - besser, sein - Wunschkonzert. Trotz einer sich handelsseitig abschwächenden Weltkonjunktur, die über Umsatzeinbußen internationaler US-Konzerne auch als Bumerang in die USA zurückkommt, kämpft die Fed mit verbalakrobatischer Zinssenkungsrhetorik noch gegen die Vorwürfe der politischen Beeinflussbarkeit und des Wahlhelfers an. Tatsächlich regt sich noch offener Widerstand vereinzelter Fed-Mitglieder gegen verstärkte Zinserleichterungen.

…dem Rezessionsdruck nicht


Auf das schwierige Konjunkturszenario muss die Fed mit Blick auf ihren Auftrag jedoch frühzeitig reagieren. Laut Protokoll ihrer letzten geldpolitischen Sitzung (Fed Minutes) diente bereits die Zinssenkung im Juli als Versicherung gegen eine Verlangsamung der Investitionsbereitschaft amerikanischer Unternehmen, die explizit unter dem Handelsstreit zu leiden haben. Der binnen Jahresfrist markante Dynamikverlust in der US-Industrie wird immer stärker durch zunehmende Eintrübungen im US-Dienstleistungssektor ergänzt. Beide Entwicklungen lassen die Fed zinspolitisch nicht kalt.

Ansteckungseffekte für die US-Binnenkonjunktur bleiben nicht aus. Die sich eintrübende Beschäftigungssituation in der Industrie verfehlt ihre Wirkung auf nachgebende Verbrauchererwartungen nicht mehr. Schwächelt der Arbeitsmarkt, schwächelt schließlich auch der Konsum als wichtigster amerikanischer Wirtschaftsfaktor.

Vor diesem Hintergrund liegt die Rezessionswahrscheinlichkeit in Amerika laut New York Fed bereits bei deutlich über 30 Prozent. Das ist ein Niveau, das die vergangenen beiden Rezessionen 2001/2002 und 2008/2009 treffsicher vorhergesagt hat. Insofern muss die US-Notenbank für durchgreifende Zinsreduktionen bereitstehen.

Die mangelnde Preissetzungsmacht der amerikanischen Zulieferer unterstreicht ohnehin die Desinflationierung Amerikas.

Daher haben die Finanzmärkte auf der kommenden Fed-Sitzung am 18. September eine weitere Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte fest eingepreist. Anschließend rechnen sie mittlerweile mit jeweils zwei weiteren Zinsnachlässen auf 1,5 Prozent bis Anfang 2020 und 1,0 Prozent bis Anfang 2021. Nach der politischen Konjunkturschädigung muss die Geldpolitik wieder Aufbauarbeit leisten.

Die Fed selbst bereitet eine weitere Runde quantitativer Lockerung vor. Laut Fed Minutes kommt die US-Notenbank zu der Einschätzung, dass sie ihre Liquiditätsschwemme in den vergangenen zehn Jahren sogar "noch aggressiver" zur Konjunkturstabilisierung hätte einsetzen können, weil manche befürchteten ökonomischen Kosten ausgeblieben seien. Infolgedessen könnte dieses Instrument zukünftig bestimmter und vorausblickender eingesetzt werden, wenn es die wirtschaftlichen Umstände rechtfertigen. Wenn das kein Türöffner ist.

Marktstimmung - Zaghafte Gegenbewegung


Der Anlegerfokus liegt momentan auf der angeschlagenen Konjunktur. Die deutsche Industriestimmung befindet sich auf dem Niveau der Euro-Krise von 2012, leidet also an Depressionen. Die Entlassungen in den klassischen Industriebranchen passen in das eingetrübte Bild. Auch der bislang so robuste Dienstleistungssektor schwächelt zunehmend. Laut Bundesbank ist die deutsche Wirtschaft in der Rezession angekommen.

Dass sich die Bundesregierung jetzt unter immensem Handlungsdruck sieht, verdeutlicht der Umgang mit der "schwarzen Null". War diese vor zwei Wochen noch eine heilige Kuh, betätigen sich immer mehr Politiker als Messerschleifer.

Es rächt es sich bitter, dass Berlin in den guten Konjunkturjahren über Wirtschaftsreformen keine Vorsorge für schlechte Zeiten getroffen hat. Die Sozialprogramme werden von nun an zu schweren Fixkosten. Das hinter vorgehaltener Hand in Windeseile von Bundesfinanzminister Scholz vorbereitete 50-Mrd.-Konjunkturpaket zur Standortverbesserung ist viel zu klein, kommt zu spät und setzt zu wenig auf schnelle (Unternehmens-)Steuersenkungen, mit denen Deutschland wieder konkurrenzfähig würde. Um den jahrelangen Investitionsstau zu beheben reicht keine Kosmetik. Es geht vielfach um Kernsanierung. Wenn es mit negativen Zinsen im Augenblick Brei vom Himmel regnet, muss die Wirtschafts- und Finanzpolitik einen ganz großen Löffel haben und essen, essen, essen. Wer bei diesen Konditionen, die in anderen Ländern sogar "Zinsneid" auslösen, nicht ordentlich in die deutsche Infrastruktur, in das volkswirtschaftliche Vermögen und damit in die Zukunftsfähigkeit - aber nicht in wahlpopulistischen Schnick-Schnack - investiert, hat den Nobelpreis für ökonomische Ignoranz verdient.

Planwirtschaftliche Instrumente wie Mietpreisbremse und Mietpreisdeckel lindern übrigens nicht die Wohnungsnot. Im Gegenteil, sie sind ein Investitionshindernis für private Investoren, die dann z.B. Sanierungsmaßnahmen zum Klimaschutz immer weniger stemmen können. Man hätte schon vor Jahren die Liegenschaften des Bundes, der Länder und der Kommunen für den Wohnungsbau freigeben und das Baurecht aus seinem bürokratischen Jahrhundertschlaf wecken müssen. Denn in der Marktwirtschaft gilt: Gibt es mehr Angebot, fallen die Preise.

Und statt vor den drei ostdeutschen Landtagswahlen wahlpopulistische Diskussionen über die Verhinderung von Negativzinsen für Anleger anzuzetteln, hätte die Politik schon längst die deutsche Vermögensbildung kernsanieren müssen. Das haben selbst Länder in Europa gemacht, die nicht der "Marktradikalität" verdächtig sind. Sie wissen, dass diätöses Zinssparen der sichere Weg für zukünftig erhöhte staatliche Sozialleistungen ist. Denn auch Nullzinsen verhindern keine Altersarmut. Die ideologischen Scheuklappen müssen abgenommen und die Vorsorge mit Aktien gefördert werden. Allein schon aus Sicht der Dividendenrendite lohnen sich Aktienengagement.

Ebenso bleibt die politische Unsicherheit in Europa hoch. Mit seinem Vorschlag, den Backstop - Notlösung, die die Briten in einer Zollunion an die EU bindet, wenn Zollkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland anders nicht zu verhindern sind - neu zu verhandeln, beißt Boris Johnson bei der EU auf Granit. Die von Merkel und Macron in den Raum gestellte und von Johnson mit "Wir schaffen das" ebenso aufgeworfene Lösungsfindung binnen 30 Tagen ist reine Utopie. Sie dient beiden Seiten vor allem der Suggestion der Kompromissbereitschaft, um nach einem No Deal-Brexit am 31. Oktober die Hände jeweils in Unschuld zu waschen. Johnson geht es primär darum, die Conservative Party bei der nächsten Wahl nicht zum Vorteil der Brexit Party untergehen zu lassen. Unmittelbare ökonomische und soziale Folgeschäden durch hohe Zölle für EU-Exporte, einem Logistikchaos an den Grenzen, Engpässen bei Lebensmitteln sowie Medikamenten und steigender Arbeitslosigkeit verniedlicht die britische Regierung bislang. Ohne Lösung im Brexit-Streit wird Halloween in diesem Jahr besonders grauenvoll.

In Italien stehen die Zeichen offenbar auf eine neue Regierung aus 5-Sterne-Bewegung und Sozialdemokraten (PD). Dieses Bündnis ist eine Notallianz von zwei zerstrittenen Parteien, die aber eint, Neuwahlen zu verhindern, bei der die Lega von Matteo Salvini nach Umfragen deutliche Zuwächse erzielen würde. Grundsätzlich wird diese Koalition weder in puncto Stabilität noch Wirtschaftsreformen große Sprünge machen. Die Finanzmärkte betrachten die italienische Regierungskrise mit Gelassenheit. Sie erwarten ohnehin, dass die EU ihr Spardiktat gegenüber Italien lockert, um einem Konfrontationskurs mit folgender römischer Finanzkrise und dann Eurosklerose aus dem Weg zu gehen. Als Staatsschulden-Financier wird die EZB liquiditäts- und zinspolitisch ebenso in Erscheinung treten wie die Fed und damit den Aktienmarkt - wie derzeit zu beobachten - stützen.

Aus Sentimentsicht bleibt die Verunsicherung unter den Anlegern grundsätzlich hoch, was in einer niedrigen Investitionsquote von US-Fondsmanager und Kursabsicherungen institutioneller Anleger zum Ausdruck kommt. Abgesehen von technischen Gegenreaktionen ist es für das Ende der aktuellen Korrektur noch zu früh.

Charttechnik DAX - Nervöse Stabilisierung


Bei fortgesetzter Erholung trifft der DAX auf Widerstände bei 11.866 und 11.926 Punkten. Werden diese durchbrochen, nimmt der Index Kurs auf die Marke bei 12.115. Setzt sich die Korrektur fort, trifft der Index an der 200-Tage Linie bei aktuell 11.656 sowie der Marke 11.621 auf erste Unterstützungen. Darunter folgen weitere Haltelinien bei 11.450 und 11.190 sowie 11.111 Punkten.

Der Wochenausblick für die KW 35 - ifo meldet weiter deutsche Konjunkturmisere


In China stehen die Industriegewinne weiter unter Druck. Auch wenn sich in den USA die Auftragseingänge langlebiger Güter zuletzt stabilisieren konnten, signalisiert der Einkaufsmanagerindex der industriereichen Region Chicago keine wesentliche Erholung. Auch die Konsumentenstimmung nimmt laut University of Michigan und Conference Board immer mehr Schaden.

In der Eurozone bleibt das Wirtschaftsvertrauen laut EU-Kommission stark angeschlagen. Entsprechend hartnäckig hält sich im August die Desinflation.

In Deutschland unterstreicht der ifo Geschäftsklimaindex den desolaten deutschen Konjunkturzustand. Verschärft wird diese Misere durch eine laut Einzelhandelsumsätzen und GfK Konsumklimaindex allmählich auch an Rückenwind verlierende Binnenkonjunktur.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.