Vor vier Jahren war der Historiker Allan Lichtman so ziemlich der einzige Experte, der einen Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen prognostizierte. Ernst nahmen ihn die anderen Prognose-Institute nicht, obwohl sein in den 80er-Jahren entwickeltes Modell den Ausgang aller Präsidentschaftswahlen seit 1984 korrekt vorhergesagt hatte. Und dieses Mal? Die Zeit Trumps sei abgelaufen, sagt Lichtman. Biden werde die Wahl gewinnen.
Seine Einschätzung wird geteilt. Die Prognoseplattform FiveThirtyEight beispielsweise sieht die Siegchancen von Biden am 3. November bei 87 Prozent und eine demokratische Mehrheit im Senat bei 73 Prozent. Und laut "New York Times" werde Biden mit 319 Elektorenstimmen deutlich über der Mehrheit von 270 liegen.
"Blue Wave" nennen das die Amerikaner: Wenn es den Demokraten - Parteifarbe Blau - gelänge, neben dem Präsidentenamt quasi wellenartig den Senat zu erobern und die Kontrolle über das Repräsentantenhaus zu bewahren. Dann kontrollierten sie Legislative und Exekutive.
Mehr Geld für mehr Arbeit
Doch muss man als Anleger vor solch einem Szenario Angst haben - wenn es so kommt? Mit Biden werden bekanntlich immer wieder eine Anhebung der Körperschaftsteuer, drastische Änderungen am Gesundheitssystem sowie die Regulierung der größten Technologieunternehmen des Landes in Verbindung gebracht.
Doch die Beobachter sehen das inzwischen differenzierter. Bidens Trumpf ist seine geballte expansive Fiskalpolitik. "Setzen die Demokraten ihre Agenda vollständig um, dann schafft die US-Wirtschaft fast 19 Millionen Arbeitsplätze", ist in einer Auswertung von Moody’s Analytics zu lesen. Damit hätte man bis Mitte 2022 wieder Vollbeschäftigung erreicht. Dies ginge zulasten der Staatsausgaben, die bei einer Präsidentschaft von Biden wahrscheinlich steigen würden.
"Gerade die dann anstehenden Infrastruktur- und Umweltreformen erfordern höhere Steuern", sagt Bob Doll, Chefaktienstratege der Anlagegesellschaft Nuveen. Bidens Konzept sieht vor, in den kommenden zehn Jahren zusätzlich vier Billionen Dollar an Steuereinnahmen zu generieren. Gelingen soll dies primär durch eine Erhöhung der Körperschaftsteuersätze sowie die Abschaffung der Obergrenze für Sozialversicherungssteuern. Auf der anderen Seite müsse man aber auch davon ausgehen, dass die Bundesausgaben "wohl auch unter einer zweiten Trump-Periode steigen", so Doll. Unabhängig vom Wahlergebnis sei eine Rezession 2021 somit unwahrscheinlich."
Das gängige Vorurteil, Republikaner seien besser für die Börse, scheint ohnehin nicht gerechtfertigt. "Abseits schuldenfinanzierter Strohfeuer haben demokratische Präsidenten in den vergangenen 30 Jahren immer eine solidere Wirtschaftspolitik gemacht als republikanische", sagt Ivan Mlinaric, Geschäftsführer von Quant Capital Management. "Und das ist es, was den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen langfristig treibt."
Wichtigster Faktor ist dabei eine solide Haushaltspolitik. Dieses Bestreben, die Staatsfinanzen ins Gleichgewicht zu bringen, hätten seit den 90er-Jahren die Demokraten besser hinbekommen, so Mlinaric: "Die Politik der massiven Neuverschuldung, gerade unter den Präsidenten Bush Jr. und Trump, ist nicht nachhaltig." Seine Schlussfolgerung: "Wenn die Erfahrung uns etwas lehrt, dann dass wir unter einem Präsidenten Biden eine Umkehr in Richtung einer soliden Haushalts- und Wirtschaftspolitik erwarten dürfen." Und das wären langfristig betrachtet gute Aussichten für Aktienanleger.
Dass man inzwischen eher entspannt mit einem möglichen Sieg Bidens umgeht, zeigt auch die Börse selbst. Zwar schwanken die Kurse in der jüngsten Zeit wieder stärker, doch der marktbreite Leitindex S & P 500 zeigt sich weiterhin widerstandsfähig - vom Nasdaq-Index ganz zu schweigen, der trotz aller Befürchtungen um Regulierungsmaßnahmen weiterhin die Rally anführt. Vielleicht ist man sich klar geworden, dass es sowohl unter einer Trump- als auch unter einer Biden-Präsidentschaft Vor- und Nachteile geben wird.
Mehr Produktion zurück in die USA
Den kurzfristig "aktienfreundlichen" Effekten eines Trump-Gewinns - niedrigere Steuern, weniger Regulierung - stünden negative langfristige Effekte gegenüber, etwa der zunehmende Protektionismus. Im Gegensatz dazu sind die kurzfristigen Effekte eines Biden-Gewinns negativ für Aktien - höhere Steuern -, aber die Langfristeffekte positiv, weil die Verringerung der gesellschaftlichen Ungleichgewichte den Konsum ankurbelt.
Zudem gibt es Parallelen: Biden wie Trump sind dafür, Produktionskapazitäten zurückzuholen. "Hierfür gibt es überparteiliche Unterstützung, da dies zum Beschäftigungswachstum beitragen kann", sagt Grant Bowers, Fondsmanager von Franklin Templeton.
Positiv für die Börse ist, dass der Vorsitzende der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, entschlossen ist, die Zinssätze langfristig bei null Prozent zu belassen. Je nach Wahlausgang wird es aber wohl doch auch unterschiedliche Profiteure geben: bei Biden alternative Energien sowie Infrastrukturunternehmen, bei Trump eher Fluggesellschaften, Luft- und Raumfahrt und die meisten Unternehmen des Gesundheitswesens.
Apple: Diese Marke ist kaum zu stoppen
Der Technologiesektor hat in Washington D. C. gerade einen eher schweren Stand. In beiden politischen Lagern ist der Wille groß, gegen die enorme Marktmacht der IT-Riesen vorzugehen. Außerdem dürfte in den Staaten nach den Wahlen rasch das Thema einer internationalen Digitalsteuer wieder auf den Tisch kommen. Trotz des drohenden Gegenwinds führt für Anleger weiter kaum ein Weg am wichtigsten Sektor der US-Wirtschaft vorbei. Insbesondere Apple bleibt ein "Must Have" der Wall Street. Bei einem Cashbestand von knapp 200 Milliarden US-Dollar könnte der Konzern höhere Abgaben locker verkraften, ohne die Entwicklungsarbeit zu vernachlässigen. Dass der Innovationsdrang der Kalifornier ungebrochen ist, zeigt das iPhone 12. Mit der neuesten Auflage des Verkaufsschlagers steigt der Branchenriese in den Mobilfunkstandard 5G ein. Am 29. Oktober präsentiert CEO Tim Cook die Zahlen für das vierte Quartal der Fiskalperiode 2019/20 (per 30. September). Dann könnte er eine erste Indikation geben, wie die bereits verfügbaren Modelle bei der Kundschaft ankommen. Gleichzeitig wird der Bericht zeigen, dass Apple auch in der Corona-Krise gewachsen ist. Homeoffice und -schooling haben den Bedarf an Tablets und Mac-Computern angeschoben und gleichzeitig die Nutzung von App Store und Apple Cloud forciert. Klar, die Bewertungskennziffern sind ziemlich stark angeschwollen - mit gut 30 fällt das Kurs-Gewinn-Verhältnis der Apple-Aktie in etwa doppelt so groß aus wie vor zwei Jahren. Doch wir erachten diesen Preis für einen Konzern mit den skizzierten Qualitäten als gerechtfertigt.
Caterpillar: Mit schwerem Gerät durch die Krise
Wenig überraschend sind im Lockdown viele Bagger, Walzen und Muldenkipper erst einmal bei den Händlern stehen geblieben. Folgerichtig verbuchte Caterpillar im zweiten Quartal einen deutlichen Umsatz- und Gewinnrückgang. Die Wall Street störte das nicht sehr lange. Vielmehr drehte der Kurs bald nach dem Corona-Ausverkauf nach oben. In Euro hat die Aktie des weltgrößten Baumaschinenherstellers gerade ihr Allzeithoch von Anfang 2018 übertroffen. Neben der laufenden Geschäftsbelebung schiebt die Aussicht auf eine politische Sonderkonjunktur das Dow-Jones-Mitglied an. Caterpillar zählt zu der Gruppe von Unternehmen, die sowohl mit Donald Trump als auch mit Joe Biden als nächstem US-Präsidenten gut leben könnten. Beide Politiker sind davon überzeugt, dass sich die weltgrößte Volkswirtschaft mit groß angelegten Infrastrukturprogrammen aus dem tiefen Corona-Tal führen lässt. Joe Biden will 1,3 Billionen US-Dollar in die Hand nehmen und damit über einen Zeitraum von zehn Jahren unter anderem Highways, Flughäfen und Schulen auf Vordermann bringen. Auf dem alten Kontinent hat indes die Europäische Union einen 750 Milliarden Euro schweren Aufbauplan angestoßen mit dem Ziel, eine moderne und klimafreundliche Infrastruktur zu schaffen. Kurzum: In den kommenden Jahren dürften wieder deutlich mehr Maschinen mit dem bekannten CAT-Logo an die Bauindustrie ausgeliefert werden. Wie es dem Konzern zuletzt ergangen ist, haben Anleger am 27. Oktober (nach Redaktionsschluss) erfahren. Sofern Caterpillar keinen total enttäuschenden Quartalsbericht vorgelegt hat, dürfte der Aufwärtstrend des Dividendentitels - ungeachtet des Wahlausgangs - anhalten.
First Solar: Stromquelle der Stunde
Zwischen 2019 und 2024 könnte sich die Kapazität der weltweit installierten Photovoltaikanlagen gemäß den Schätzungen der US-Energiebehörde EIA mehr als verdoppeln. Sofern Joe Biden im Januar in das Weiße Haus einzieht, dürfte die "grüne Welle" - neben Sonnen- ist auch Windstrom rund um den Globus auf dem Vormarsch - noch einmal an Stärke gewinnen. Denn der Klimaschutz nimmt im Programm des Demokraten einen Schwerpunkt ein. Unter anderem möchte Biden acht Millionen zusätzliche Solardächer an das US-Netz bringen. Nicht selten dürften dabei die Module von First Solar zum Einsatz kommen. 2019 installierte der seit jeher auf die Dünnschichttechnologie fokussierte Branchenriese Anlagen mit einer Kapazität von 5,4 Gigawatt (GW) - ein neuer Rekord in der 20-jährigen Firmengeschichte. In der laufenden Periode möchte Firmenchef Mark Widmar den Absatz um ein weiteres knappes Zehntel steigern. Wegen der mit Covid-19 einhergehenden Unsicherheiten hat er die im Februar publizierte Gewinnprognose einkassiert. An der Wall Street gilt es aber als ausgemachte Sache, dass First Solar nach einem Minus im vergangenen Jahr in die schwarzen Zahlen zurückkehrt und 2021 weiter wächst. Am 27. Oktober (nach Redaktionsschluss) haben Anleger erfahren, ob der US-Branchenpionier auf Kurs ist. Möglicherweise liefert Widmar dann neben den Quartalszahlen wieder eine etwas ausführlichere Prognose. Zusätzlich zum operativen Momentum spricht die Charttechnik für die Ökostromaktie: First Solar hat eine mehrjährige Seitwärtsbewegung nach oben aufgelöst.
Norfolk Southern: Die Zukunft gehört der Schiene
Der US-Einzelhandel hat seine Lager rechtzeitig vor Thanksgiving und dem nach diesem Feiertag im November anlaufenden Weihnachtsgeschäft aufgefüllt. Nach Angaben der Association of American Railroads war der September im Intermodalverkehr der viertstärkste Monat in der Geschichte der US-Eisenbahnen. Norfolk Southern dürfte das erhöhte Warenaufkommen freuen - mit seinen mehr als 2500 Lokomotiven steuert das Eisenbahnunternehmen jedes bedeutende Containerterminal im Osten der USA an. Wenig überraschend war nach dem Lockdown auf dem rund 19 500 Meilen umfassenden Schienennetz des Logistikdienstleisters nicht mehr viel los: Im ersten Halbjahr brach der Umsatz von Norfolk Southern um 18 Prozent ein. Dabei schlug vor allem der um mehr als ein Drittel geschrumpfte Fahrzeugumschlag negativ zu Buche. Mittlerweile hat sich die Autoverladung jedoch V-förmig erholt. Einen diesem Buchstaben ähnelnden Rebound zeigte in den vergangenen Monaten auch die Norfolk-Aktie. Neben der Konjunktur- und Geschäftsbelebung sorgt ein möglicher Wahlsieg von Joe Biden bei dem Eisenbahntitel weiter für Schubkraft. Im Rahmen seiner ehrgeizigen Klimaschutz- ziele setzt der demokratische Präsidentschaftskandidat unter anderem auf den Schienenverkehr und dessen Elektrifizierung. Wenngleich diese Pläne nichts am zyklischen Charakter des Unternehmens ändern: Der auf rekordhohe 1,02 Milliarden US-Dollar gesteigerte freie Cashflow des ersten Halbjahres zeigt, dass Norfolk Southern selbst in der Krise ordentlich Geld verdienen kann.
Pfizer: Spitzenreiter im Impfstoffrennen
Ginge es nach Donald Trump, stünde in den USA noch vor dem Wahltag am 3. November ein Corona-Impfstoff zur Verfügung. Doch vor Kurzem hat Pfizer dieses präsidiale Ansinnen regelrecht vom Tisch geräumt. Zwar möchte der Pharmakonzern bereits Ende Oktober wissen, ob das zusammen mit der Mainzer Biontech entwickelte Vakzine BNT162b2 wirksam ist. Doch frühestens in der dritten November-Woche könnten genügend Daten zur Sicherheit vorliegen. Möglichst bald nach diesem Meilenstein würde Pfizer in den USA eine Notfallgenehmigung beantragen. So ärgerlich diese Meldung aus der Konzernzentrale am New Yorker East River für den Präsidenten war. An der nicht weit entfernten Wall Street sorgte sie gleich in zweierlei Hinsicht für Erleichterung: Die transatlantischen Forschungspartner schürten zum einen die Hoffnung auf eine rasche Eindämmung der Pandemie. Gleichzeitig unterstrich Pfizer die Spitzenposition im Rennen um einen Covid-19-Impfstoff. Eine erfolgreiche Markteinführung des Präparats könnte die Wachstumsaussichten des Branchenriesen deutlich verbessern. Noch hinkt er diesbezüglich der Konkurrenz hinterher. Allerdings zeigt die Pfizer-Aktie auch einen Bewertungsabschlag gegenüber anderen Sektorgrößen wie Eli Lilly, Roche oder Astrazeneca. Hinzu kommt eine überdurchschnittliche Dividendenrendite von rund vier Prozent. Nicht auszuschließende Rückschläge auf der Zielgeraden zum fertigen Impfstoff sowie die unabhängig vom Wahlausgang drohenden Eingriffe in das US-Preissystem für Medikamente sind zwei zentrale Risiken für den Large Cap. Gerade mit Blick auf einen möglicherweise harten "Corona-Winter" wiegen aus unserer Sicht die Chancen des defensiven Substanztitels jedoch deutlich schwerer.
Verizon: Telekomriese auf der 5G-Welle
Als einziger der hier vorgestellten US-Top-Picks hat Verizon bereits Zahlen für das dritte Quartal veröffentlicht. Bei einem leicht rückläufigen Umsatz konnte der Telekomkonzern das bereinigte Ergebnis je Aktie überraschenderweise auf dem Vorjahresniveau halten. Für 2021 stellt CEO Hans Vestberg nun einen um bis zu zwei Prozent wachsenden Überschuss in Aussicht. Bisher konnte er einen Rückgang nicht ausschließen. Die Prognoseerhöhung begründet der Schwede unter anderem mit der Einführung "neuer Geräte". Damit dürfte vor allem das iPhone 12 gemeint sein. Der Verkaufsschlager von Partner Apple soll Verizons Vorstoß in die 5G-Technologie anschieben. Mittlerweile kann der Konzern mehr als 200 Millionen US-Amerikaner mit dem neuen Mobilfunkstandard versorgen. Aber die Konkurrenz schläft nicht. Insbesondere T-Mobile US sitzt dem Primus im Nacken. Mit der Übernahme von Tracfone holt Verizon zum Gegenschlag aus. Im September legten die New Yorker eine 6,3 Milliarden US-Dollar schwere Offerte für den auf günstige Prepaidangebote spezialisierten Dienstleister vor. Im zweiten Halbjahr 2021 möchte Vestberg den Deal in trockene Tücher bringen. Auf kurze Sicht spielt der Erfolg des iPhone 12 für die Aktie eine Schlüsselrolle. Zusätzlichen Schwung könnte ein Wahlsieg von Joe Biden bringen. Der Demokrat möchte die ländlichen Regionen der USA mit schnellerem Internet respektive 5G versorgen. Anleger sollten keine Wachstumswunder erwarten. Den Reiz dieses Telekominvestments machen Solidität, Substanz und nicht zuletzt die Dividenden aus.