Seit 19 Jahren regiert Recep Tayyip Erdogan die Türkei. Sein anfänglicher Reformeifer als Ministerpräsident motivierte Investoren zum Kauf. Fonds oder ETFs mit Schwerpunkt Türkei stiegen kräftig. Dann aber wechselte Erdogan 2014 ins Amt des Staatspräsidenten und änderte die türkische Verfassung in ein Präsidialsystem. Seit 2018 ist er Staatsoberhaupt und Regierungschef. Seine zunehmend autoritäre Politik, vor allem der Druck auf die eigentlich unabhängige Notenbank, die Leitzinsen zu senken - im vergangenen Jahr gleich vier Mal -, ließ ausländische Anleger aus türkischen Aktien fliehen. Obwohl das Bruttoinlandsprodukt vermutlich um neun Prozent zugelegt hat, verlor der auf Dollar lautende iShares MSCI Turkey ETF rund 26 Prozent.
Bis zum Jahr 2023 wird Erdogan ein entscheidender Einflussfaktor auf Wirtschaft und Börse bleiben. Möglicherweise auch darüber hinaus. Der 67-Jährige will die spätestens nächstes Jahr im Juni stattfindenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gewinnen.
Düstere Prognose
Ob er die Mehrheit der Stimmen erhält, ist derzeit fraglich. Die Bevölkerung leidet unter massivem Kaufkraftverlust. Im Dezember betrug die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahresmonat 36 Prozent - der höchste Stand seit 19 Jahren. Die Teuerung macht auch den Unternehmen zu schaffen, die sich auf den Binnenmarkt konzentrieren. Die Bedienung von in Dollar oder Euro aufgenommenen Schulden wird immer schwerer. Exportorientierte Unternehmen dagegen profitieren. Sie sind im BIST-100-Index gelistet. Das Börsenbarometer legte im vergangenen Jahr 37 Prozent zu. Türkische Anleger nutzten die Börse als Inflationsausgleich.
Es droht dramatisch zu werden. Das Istanbuler Analysehaus Spinn Consulting schließt einen Preisanstieg bis auf 50 Prozent nicht mehr aus. Verantwortlich für die Geldentwertung sind die hohe Importabhängigkeit des Landes sowie der Verfall der türkischen Lira (TRY). Aktuell müssen für einen Euro 15,07 Lira gezahlt werden. Vor einem Jahr waren es lediglich 9,12 TRY.
Zinserhöhungen würden die türkische Währung stärken. Erdogan aber lehnt diese mit Verweis auf den Koran ab. Noch dazu sind seiner Ansicht nach hohe Zinsen der wahre Grund für Inflation. Dagegen fördere ein günstiger Lira-Kurs den Export, baue das Handelsbilanzdefizit ab und treibe die Konjunktur an, sagt er. Zudem werde sich die Währung durch verstärkte Tourismuseinnahmen spätestens im Sommer wieder stabilisieren. Erdogan forderte die Bürger auf, ihre Lira-Ersparnisse zu behalten, und versprach staatliche Kompensation für weitere Währungsverluste. Auch sollten sie Devisen oder Gold in Lira tauschen. Darauf reagierten Währung und Aktienmarkt positiv. Doch ob der staatliche Ausgleich genügt, die Lira-Talfahrt zu stoppen, lässt sich kaum prognostizieren.
Erdogan jedenfalls hält an seinen Überzeugungen fest und malt zugleich ein positives Bild. Entgegen der "kapitalistischen Logik" des Westens - damit meint er die Zinsen - müsse die Türkei ähnlich wie China einen eigenen wirtschaftlichen Weg gehen. Dieser werde, da ist sich die Nummer 1 der Türkei sicher, das Land zügig unter die zehn größten Volkswirtschaften führen. Aktuell rangiert die Türkei auf Platz 19.
Sprechen Erdogans Kurs und die aktuelle Währungsschwäche gegen einen Einstieg? Nicht zwingend. Doch nur risikobereite Investoren sollten sich engagieren und zunächst nur mit kleinen Einsätzen starten. An langfristigem wirtschaftlichem Potenzial fehlt es der Türkei sicher nicht. In den kommenden Jahren wird laut Economist Intelligence das wirtschaftliche Wachstum höher ausfallen als in Ländern wie China oder Brasilien. Zudem finden sich in der Türkei starke, gut gemanagte Unternehmen wie etwa die Koc Holding oder der Stahlkonzern Eregli Demir Ve Celik.
Ein weiteres Motiv spricht für ein Engagement am Bosporus: Sollte sich die Lage verschlimmern, wird auch Erdogan seine Zinspolitik ändern müssen. Oder er verliert die Wahlen. Garantiert eine neue Regierung die Unabhängigkeit der Notenbank, sind kräftige Kurssteigerungen zu erwarten.
INVESTOR-INFO
iShares MSCI Turkey ETF USD
Riskante Wette
Ausländische Anleger können nicht direkt in türkische Aktien investieren. Als Alternative bieten sich aktiv gemanagte Fonds oder ETFs an. Der iShares MSCI Turkey ETF USD enthält elf Werte wie etwa Eregli Demir Ve Celik oder die Koc Holding. Die beiden Finanzwerte Akbank und Turkiye Garanti Bankasi sind mit 20 Prozent gewichtet. Auf Sicht von fünf Jahren verlor der ETF auch wegen des Drucks auf die Notenbank 46 Prozent. Mutige Investoren setzen auf eine allmähliche Erholung.