Der Sommer steht bevor - für viele wintergeplagte Mitteleuropäer die schönste Zeit des Jahres. Und für die Tourismusbranche die wichtigste. Die Stimmung in dem Sektor könnte eigentlich gut sein: Marktforscher trauen ihm ein Wachstum von rund vier Prozent pro Jahr bis 2020 zu, gemessen an der Zahl der Touristen. In den vergangenen beiden Jahren hatten die Zuwächse mit rund sechs Prozent pro Jahr diese Erwartungen sogar deutlich übertroffen.

Selbst ein reifer Markt wie der europäische Tourismussektor legte im vergangenen Jahr um 5,6 Prozent zu. Traditionell halten die Industrienationen in Europa und Nordamerika den größten Anteil am weltweiten Tourismus. Doch die aufstrebenden Regionen Asien/Pazifik, Mittel- und Osteuropa, Mittlerer Osten, Afrika und Lateinamerika konnten zuletzt überdurchschnittliche Wachstumsraten vorlegen. Die Bedeutung des Sektors für die globale Wirtschaft ist nicht zu unterschätzen: Der Weltorganisation für Tourismus UNWTO zufolge steht die Tourismusbranche für zehn Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, sieben Prozent des globalen Handels sowie für jeden zehnten Job.

Trotz dieser starken Rahmenbedingungen sind die Aktienkurse der Tourismusunternehmen Thomas Cook und TUI in den zurückliegenden Monaten massiv unter die Räder gekommen. Billigfluglinien und Reisevermittler im Internet ohne teure Ladengeschäfte machen ihnen schon seit Jahren das Leben schwer. Zuzsätzlich sorgte im vergangenen Sommer die Hitzewelle in Mitteleuropa für weniger Buchungen. Zudem halten sich viele Briten wegen der unabsehbaren Folgen des Brexits mit Buchungen zurück.

So verfehlte Thomas Cook im Geschäftsjahr 2018 die eigenen Prognosen deutlich, obwohl der britische Konzern seine Ziele im Laufe des Sommers ohnehin schon zweimal reduziert hatte. Unter dem Strich verbuchte der Reiseanbieter 2018 einen Nettoverlust in Höhe von 163 Millionen Pfund. Der Schuldenberg wuchs auf 389 Millionen Pfund an. Branchenkenner befürchten nun, die Folgen eines harten Brexits könnten Thomas Cook in eine ähnlich prekäre Situation wie 2011 bringen. Damals war das Unternehmen in finanzielle Schieflage geraten und musste sich gleich zweimal innerhalb weniger Wochen jeweils 100 Millionen Pfunden bei Banken leihen.

Die bedrohliche Lage spiegelt sich im Börsenkurs wider. Mit rund 25 Pence notiert die Aktie so niedrig wie zuletzt 2012. Gegenüber dem im Mai 2018 erreichten 52-Wochen-Hoch hat sie um mehr als 80 Prozent an Wert verloren.

Dicke Kursverluste gibt es auch bei TUI. Erreichte der Aktienkurs oberhalb von 20 Euro im Frühjahr 2018 noch das höchste Niveau seit mehr als zehn Jahren, hat sich der Börsenwert seither mehr als halbiert. Der Titel ist genau auf dem Kursniveau angekommen, zu dem vor gut sechs Jahren Friedrich Joussen den Vorstandsvorsitz von seinem Vorgänger Michael Frenzel übernommen hatte.

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Hotels und Kreuzfahrtschiffe


TUI kämpft mit den gleichen Problemen Thomas Cook, hat aber einen entscheidenden Vorteil. Weil der weltweit größte Tourismuskonzern schon länger verstärkt auf den Ausbau des eigenen Hotelportfolios und der Kreuzfahrtflotte setzt, schlagen die Schwierigkeiten als Reisevermittler nicht ganz so stark auf das Ergebnis durch. Dennoch musste TUI gleich zweimal in diesem Jahr die Erwartungen zurückschrauben. Erst wurden der heiße Sommer 2018 und Überkapazitäten in Spanien als Gründe genannt, weshalb man nur noch einen Gewinn auf Vorjahresniveau erwartet.

Im März sorgte dann das Flugverbot für die 737-Max-Maschinen des Herstellers Boeing für eine zweite Gewinnwarnung. Zunächst bis voraussichtlich Mitte Juli müssen die 15 TUI-Flieger dieses Typs am Boden bleiben. In den vergangenen Monaten waren zwei Max-Jets der Fluggesellschaften Ethiopian Airlines und Lion Air vermutlich wegen Softwareproblemen abgestürzt, insgesamt starben 346 Menschen.

Das Startverbot belastet das Ergebnis von TUI mit mindestens 200 Millionen Euro. "Es ist nicht schön, aber es wird uns nicht umhauen", sagte Konzernchef Joussen im Club Wirtschaftspresse München. Er verwies auf die Bilanz, die er seit seinem Amtsantritt 2013 nach und nach gestärkt hat. Die Kosten entstehen, weil TUI Ersatzflugzeuge inklusive Besatzung mieten muss. "Wir können die Flüge nicht einfach ausfallen lassen", sagte Joussen. Das zeigt auch die Risiken des vertikal integrierten Reiseveranstalters: Wenn die Flugzeuge nicht fliegen, bleiben die Zimmer in den TUI-eigenen Hotels leer.

Für Morgan Stanley sind die jüngsten Entwicklungen indes längst im Aktienkurs eingepreist: Die US-Investmentbank stufte die TUI-Aktie auf "Übergewichten" herauf. Die Analysten erwarten für das laufende Jahr einen Gewinn von 1,15 Euro je Aktie, was einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von gerade einmal 7,4 entsprechen würde. Hält der Konzern seine Ausschüttung wie erwartet konstant, winkt zudem eine Dividendenrendite von mehr als acht Prozent. Das Chartbild überzeugt noch nicht, doch risikobewussten Anlegern bietet sich auf dem aktuellen Niveau eine Kaufchance.

Boeing will indes die Software des Unglücksmodells überarbeiten. Damit könnte das Flugverbot für den betroffenen Flugzeugtyp zumindest in den USA schon etwas früher wieder aufgehoben werden. Ob sich der jüngste Kursrücksetzer um rund 15 Prozent als ähnlich gute Einstiegschance erweist wie 2013, ist indes fraglich. Damals mussten Maschinen des Typs 787 Dreamliner vorübergehend am Boden bleiben, nachdem in einem Flieger nach der Landung ein Feuer ausgebrochen war.

Die langfristigen Aussichten für Flugzeugbauer sind trotz des 737-Debakels exzellent. Branchenkenner erwarten, dass sich die Zahl der Flugzeuge bis 2035 verdoppeln wird. Dazu dürften in diesem Zeitraum bis zu zwei Drittel der momentan im Betrieb befindlichen Maschinen ersetzt werden. Entsprechend voll sind die Auftragsbücher der Hersteller.

Boeing-Konkurrent Airbus meldete zum Jahreswechsel Bestellungen über 7577 Maschinen im Gegenwert von etwa einer Billion Euro. Ende März folgte ein weiterer Großauftrag aus China. Wir hatten wegen Überhitzungsgefahr zuletzt zu Gewinnmitnahmen geraten und stufen den Wert nun mit "Beobachten" ein.

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