Während der Diesel-Skandal nicht nur in der VW-Bilanz deutliche Bremsspuren hinterlässt, können sich andere Unternehmen freuen. Dabei sollten Anleger besonders die Aktie von Twintec im Auge behalten. Keine Frage, der Chart sieht desaströs aus: Mitte 2014 kosteten die Papiere des Spezialisten aus Königswinter bei Bonn noch 1,50 Euro, aktuell werden 0,63 Euro aufgerufen. Inzwischen steht der Kurs am Tief aus 2012 und 2013. Ausgehend von dieser guten Unterstützung könnte sich die Aktie nun ähnlich wie vor drei Jahren erneut wie Phönix aus der Asche erheben.
Wichtig zu wissen: Die Twintec von heute ist nicht mehr vergleichbar mit dem Unternehmen der vergangenen Jahre. Unter neuer Leitung erfolgte ab 2012 eine komplette Neuausrichtung. Ein sehr langwieriger und teurer Prozess, der sich nun aber auszahlen dürfte. Früher lag der Fokus auf dem Nachrüsten von Fahrzeugen mit Katalysatoren und Partikelfiltern. Inzwischen ist aus dem krisengeschüttelten Nischenanbieter ein breit aufgestellter Komplettanbieter geworden, der aus mehreren Gründen ein enormes Potenzial bietet.
Das Fundament ist gelegt
Mit der Zusammenführung dreier Abgas- und Entwicklungsspezialisten hat sich Twintec dem veränderten Marktumfeld perfekt angepasst und ist zu einem der wichtigen Anbieter im Bereich der Abgasnachbehandlung und der Motorenentwicklung aufgestiegen. Dabei decken die Niederrheiner die gesamte Wertschöpfungskette ab: Beginnend mit der Entwicklung, Konstruktion, Simulation und Validation von emissionseffizienten Motoren und Abgasnachbehandlungssystemen, über katalytische Beschichtungsleistungen bis hin zum Testen und Messen von Abgasen und Abgassystemen. Anders formuliert: Früher war Twintec nur als Nachrüster in Erscheinung getreten, nun agiert das Unternehmen auch als Erstausrüster (OEM). Dank der Basis an namhaften Referenzkunden hat der Spezialist gute Voraussetzungen, um das Potenzial bestmöglich zu nutzen.
Besonders die Aussicht auf den serienmäßigen Einbau von Twintec-Lösungen könnte die Aktie schon bald in andere Kursregionen hieven. Dank stetiger Forschung sind die Rheinländer auch technologisch in den Startlöchern: Die Bezeichnung B-NOx SCR-System ist zwar sperrig, besitzt nach Einschätzung von SMC-Research-Analyst Adam Jakubowski aber Blockbuster-Potenzial. Stickstoffoxide können so deutlich effizienter aus den Abgasen eliminiert werden. Bereits jetzt verzeichnet Twintec ein reges Interesse, denn mit dem neuen System werden Motorenhersteller in die Lage versetzt, die kommenden Abgasnormen auch nach dem neuen Prüfzyklus und bei mobilen Tests im realen Verkehr zu erfüllen.
Inzwischen sind mehrere Projekte in verschiedenen Phasen, in denen mit dem Partner die Serientauglichkeit vorbereitet wird. Im vergangenen Jahr hat sich Twintec große Entwicklungs- und Prüfkapazitäten gesichert, um die Geschwindigkeit zu erhöhen bei geringeren Kosten. Anleger brauchen aber einen langen Atem, erste Serienstarts für das B-NOx SCR-System sind frühestens ab der zweiten Jahreshälfte 2017 zu erwarten. Nicht auszuschließen wäre auch, dass die Bonner künftig als Dienstleister für mobile Emissionsmessungen auftreten, mit denen die Abgase von Neuwagen in der EU ab 2017 unter realen Bedingungen gemessen werden sollen.
Zu Risiken und Nebenwirkungen…
Nicht zu unterschätzen sind auch die Vorteile aus der verstärkten Internationalisierung. Bereits im laufenden Jahr ist mit signifikanten Umsätzen in den USA zu rechnen. Zudem wird China, das mit massiven Luftverschmutzungen kämpft, ein sehr interessanter Markt. Hier lohnt sich ein Blick auf die Aktionärsstruktur: Cleantech ist nicht nur als einer von drei Ankeraktionären dabei, sondern dürfte auch die Türe für den chinesischen Markt öffnen. Denn hinter Cleantech steht ein chinesischer Investor, mit dem Twintec bereits geschäftlich verbunden ist.
Die Dieselgate-Affäre bei Volkswagen könnte sich somit als Wachstumsbeschleuniger für Twintec erweisen. Nach der massiven Umstrukturierung in den vergangenen Jahren kommt der Skandal genau zu richtigen Zeit. Dennoch sollten Anleger auch die Risiken beachten. Die kürzlich gemeldeten 2015er-Zahlen zeigten deutlich die Nachwirkungen der Neuausrichtung, anders als erwartet hat sich die Ergebnissituation noch nicht verbessert. Auch die Prognose für das laufende Jahr liegt nun tiefer, weil Kunden bei der Entscheidungsfindung mehr Zeit benötigen. Die deutliche Belebung des Auftragseingangs stimmt zwar optimistisch, Anleger sollten dennoch keine Wunder erwarten. Die neue B-Nox SCR-Technologie bietet viel Fantasie. Aber erst ab dem nächsten Jahr dürfte klar sein, ob sich der erhoffte Markterfolg auch einstellen wird.
Trotz der starken Perspektiven bleibt die Twintec-Aktie daher nur etwas für sehr spekulative Anleger. Starke Kursschwankungen sind die Regel, zudem muss das geringe Handelsvolumen berücksichtigt werden. In den vergangenen drei Monaten wechselten Papiere im Volumen von rund 30.000 Euro pro Tag auf Xetra den Besitzer. Small-Cap-Fans sollten daher nur kleine Summen auf die heiße Turnaround-Story setzen. SMC Research veranschlagt den fairen Wert mit 1,60 Euro, was einem Potenzial von rund 150 Prozent entspricht. Bereits eine Rückkehr zur 1-Euro-Marke wäre aber schon ein Volltreffer.
Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast beim Deutschen Anlegerfernsehen (DAF), Gastautor bei n-tv und gern gesehener Vortragsredner. Er hält regelmäßig Webinare, referierte unter anderem beim Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD) und betreute mehrere Jahre für die Commerzbank den Zertifikate-Newsletter ideas daily. www.index-radar.de