Herr Abu Rashed, im August verzeichneten Aktien aus den Schwellenländern mit einem Minus von neun Prozent den größten monatlichen Verlust seit drei Jahren. Lässt sich die aktuelle Situation mit früheren Krisen der Schwellenländer, etwa im Jahr 1994, vergleichen?
Es ist eine heftige Korrektur, es gibt dennoch keine Parallelen zu 1994. Seinerzeit lag das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis von Aktien aus den Schwellenländern bei 22. Dem Abschwung war eine kräftige Rally vorausgegangen. Zudem waren viele Währungen fest an den Dollar gekoppelt. Von der damaligen Zinserhöhung waren die Staaten unmittelbar betroffen, der Schuldendienst erhöhte sich deutlich.
Nun steht wieder eine Zinserhöhung in den USA an. Sind da nicht doch neue Turbulenzen zu erwarten?
Ausschließen kann man weitere Kursverluste deswegen sicher nicht. Doch die Zinswende kommt im Gegensatz zu 1994 für die Marktteilnehmer nicht überraschend, sondern sollte eingepreist sein. Auch kann von einer vorangegangenen Übertreibung an den Schwellenländermärkten wahrlich keine Rede sein.
Der MSCI Emerging Markets hat seit Jahresanfang zwölf Prozent verloren.
Richtig. Aktien aus den Schwellenländern sind aktuell im Schnitt mit einem KGV von elf bewertet. Zudem muss man die erste Zinserhöhung seit neun Jahren nicht nur negativ sehen. Sie zeigt doch vielmehr, dass die US-Wirtschaft sich erholt, wovon auch der Rest der Welt profitieren kann. 2004 beispielsweise erhöhte die Fed die Zinsen und trotzdem zogen danach die EMBörsen stark an.
Was ist, wenn die US-Notenbank die eigentlich für September anvisierte Zinsentscheidung nun doch verschiebt?
Dies könnte sich sogar negativ auswirken, die Zweifel über die Stärke der US-Wirtschaft, aber auch der globalen Konjunktur würden wieder wachsen. Es wäre besser, die Fed würde die Unsicherheit beenden, die Investoren brauchen Klarheit. Dies würde wesentlich zur Beruhigung an den Märkten beitragen.
In Erwartung der Zinswende in den USA haben Investoren Geld aus den Schwellenländern abgezogen. Darunter leiden die Währungen der Emerging Markets massiv. Sind Zinserhöhungen die richtige Maßnahme, um die Währungen zu stützen?
Das mag kurzfristig helfen, langfristig ist dies keine Lösung. Damit wieder vermehrt Zuflüsse aus dem Ausland an die Börsen fließen, müssen die Staaten beherzt Reformen anpacken, die zu deutlichen Produktivitätssteigerungen führen.
Vor ein paar Jahren galten die aufstrebenden Länder noch als Motoren der Weltwirtschaft. Investmentgesellschaften warben für einen Einstieg. Hohe Wachstumszahlen, steigender Konsum und eine günstige Demografie würden die Börsen treiben. Gelten die Argumente nicht mehr?
Die Aussagen waren seinerzeit sicherlich zu optimistisch gefärbt. Es war klar, dass auf Aufschwung- auch Abschwungphasen folgen müssen. Zudem wurde wohl zu wenig differenziert. Korea oder Taiwan weisen mit Staaten wie Brasilien oder Indien keine Gemeinsamkeiten auf. Jedes Schwellenland hat seine spezifischen Chancen, aber auch Risiken. Dies gilt es bei der Allokation zu berücksichtigen.
Aktuell aber verlieren die Märkte auf breiter Front.
Nicht alle, Indien hält sich noch sehr gut. Doch auch wenn die wirtschaftliche Dynamik nach den Boom-Jahren in vielen Staaten nicht mehr so stark ist, bleiben die Schwellenländer langfristig eine attraktive Anlageklasse. Demografie, wachsende Mittelschicht - das spricht weiterhin für ein Engagement. Zudem finden sich in jedem Land, auch wenn das Bruttoinlandsprodukt nicht so stark wächst, Unternehmen mit interessanten Geschäftsmodellen. Der Medienkonzern Naspers ist ein gutes Beispiel. Durch seine globale Aufstellung leidet er kaum unter dem schwachen Wachstum in seinem Heimatland Südafrika.
Haben die Regierungen in den Schwellenländern Fehler gemacht, über die Anleger lange Zeit hinweggesehen haben, die nun aber umso stärker zum Vorschein kommen?
Ja, in Brasilien etwa hat man Industrien nach dem Gießkannenprinzip gefördert, anstatt sich auf wirklich wettbewerbsfähige Branchen zu konzentrieren. Auch fielen die Subventionen zu hoch aus. In Russland hat man sich zu sehr auf Öl und Gas verlassen. Die Regierungen sind nun aber schon aufgrund sinkender Rohstoffeinnahmen zu Einsparungen und Reformen gezwungen. Ohne Schmerzen wird das nicht gehen. Letztendlich birgt der Anpassungsprozess für Anleger aber auch neue Chancen.
Ist China auf einem guten Weg?
Der strukturelle Umbruch ist im Gang, man will die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden und zu enormen Überkapazitäten geführt haben, korrigieren. Das Wachstum soll nachhaltiger ausfallen, der Inlandskonsum gestärkt, Staatsunternehmen effizienter werden. Das Ziel ist erkannt, doch es werden nicht immer die richtigen Mittel eingesetzt, um es zu erreichen. Die vielen kleinen Stimulierungsmaßnahmen aber lassen hoffen, dass Peking eine harte Landung vermeiden kann. Kommt es doch dazu, würden die übrigen Schwellenländermärkte dies doch deutlich spüren.
Welches Land erfüllt seine Reformaufgaben am besten?
Indien. Die Regierung modernisiert die Infrastruktur. Sie geht auch intelligent gegen Korruption vor. So hat sie unter anderem eine Kontenpflicht für alle Bürger eingeführt. All diejenigen, die Hilfe vom Staat erhalten, bekommen die Mittel nun direkt überwiesen. Da nun Zwischenstationen entfallen, können Gelder nicht mehr abgezweigt werden. Der Staat kann so bei den Sozialausgaben erheblich sparen.
Wie reagieren Sie als Fondsmanager auf die aktuelle Situation, haben Sie die Cashquote erhöht?
Nein, wir sind voll investiert und nutzen günstige Bewertungen zum Einstieg. Die jüngsten Verluste sind natürlich schmerzhaft, wir hoffen aber zumindest einen Teil bis zum Ende des Jahres wieder wettzumachen.
Im Profil
Omar Abu Rashed ist seit Februar 2009 im Portfoliomanagement Aktien bei Union Investment tätig. Im Team Emerging Markets managt er zwei Aktienfonds und ist zudem verantwortlich für das Research zu den Regionen Mittlerer Osten und Afrika sowie der Türkei, Indien und Lateinamerika. Zuvor arbeitete Abu Rashed als Aktienfondsmanager bei Frankfurt- Trust. Er studierte Betriebswirtschafslehre an der WHU Koblenz und an der Otto Beisheim Graduate School of Management.